Bundeswehr-Bericht Im Stich gelassen an der Front

Soldaten bei Kunduz: "Die Zahl der Einsätze steigt, die der Bundeswehrärzte sinkt"
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSBerlin - kommt aus dem hohen Norden der Republik. Die Menschen dort oben sind nüchtern, sie machen keine großen Worte. Und wenn es doch mal einer tut, wie der Wehrbeauftragte an diesem Dienstagvormittag, dann rummst es so richtig. "Bitte verstehen Sie das nicht als Paukenschlag", sagt der Ostfriese Robbe zwar noch hinterher - aber da ist es schon zu spät: Die Situation im Sanitätsbereich der habe sich "von Jahr zu Jahr verschlechtert", hat Robbe zuvor erklärt, obwohl er die Mängel in jedem seiner bisher vier Wehrberichte angesprochen habe. Unter Führung des Generaloberstabsarztes Kurt-Bernhard Nakath sei der Sanitätsdienst nach Meinung vieler Experten "regelrecht vor die Wand gefahren" worden. "Das ist ein klares Versagen des zuständigen Inspekteurs." Mit anderen Worten: Robbe hält Nakath für überfällig.
Und weiter: Die Strukturen der Bundeswehr seien in einem miserablen Zustand, sagt Robbe. "Die Realität in den Streitkräften ist gekennzeichnet durch unübersichtliche Führungsverantwortung, zu viel Bürokratie, Reibungsverluste durch Trennung von Truppe und Truppenverwaltung sowie veraltete Personal- und Materialplanung", heißt es im Wehrbericht. "Um nur die wichtigsten Stichworte zu nennen."
Und das zu einem Zeitpunkt, wie Robbe sagt, in dem die Bundeswehr vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte stehe: Der Afghanistan-Einsatz mit 4500 Soldaten, die sich verschärfende Sicherheitslage am Hindukusch - gleichzeitig die innenpolitische Debatte, zuletzt befeuert durch Kunduz-Affäre und den entsprechenden Untersuchungsausschuss.
Fünf Jahre lang war Robbe Anwalt der rund 250.000 deutschen Soldaten und gleichzeitig deren oberster vom Bundestag bestellter Kontrolleur. Nun, mit seinem Abschied vor Augen - die schwarz-gelbe Koalition will mit dem FDP-Politiker Hellmut Königshaus lieber einen Wehrbeauftragten aus ihren Reihen - sieht er offensichtlich klarer als je zuvor. Nun klagt er auf 100 Seiten zum letzten Mal an:
- Thema Sanitätsdienst: Im Inland sei dieser von zunehmendem Personalmangel und Arbeitsüberlastung gekennzeichnet, eine gute medizinische Versorgung der Soldaten könne hier nur noch mit Hilfe ziviler Ressourcen sichergestellt werden. Bei Auslandseinsätzen wiederum fehlten ausreichend Rettungsmediziner, Chirurgen und Anästhesisten. Personalengpässe gebe es auch bei der Augenheilkunde und den Zahnärzten. 600 Ärzte fehlen der Bundeswehr aktuell laut Robbe - bei rund 3000 Dienstposten insgesamt. Im Wehrbericht heißt es: "In der Truppe hört man oft die resignierende Feststellung: 'Die Zahl der Einsätze steigt, die der Bundeswehrärzte sinkt.'" Mit annehmender Sanitätsversorgung sinke auch die Moral der Truppe, sagt Robbe.
- Thema Strukturprobleme: Er reagiere "zugegebenermaßen ungehalten", schreibt Robbe, "wenn mir Soldaten beispielsweise berichten, dass es bis zum heutigen Tage nicht gelungen ist, die infanteristischen Truppenteile, die im vergangenen Jahr die Hauptlast der schweren Gefechte im Raum Kunduz zu tragen hatten, mit der ausreichenden Zahl von geschützten Fahrzeugen auszustatten". Das Hauptaugenmerk dürfe dabei nicht nur auf der Unterfinanzierung der Bundeswehr liegen, sagt Robbe. Das Problem seien mindestens so sehr die Strukturen: "Dieses System ist unflexibel." Allerdings seien die Beharrungskräfte nicht nur in der militärischen Führung zu suchen, sagte Robbe. "Es spielt auch der politische Wille eine Rolle, an den Dingen etwas zu ändern."
- Thema Einsatzfolgen: Laut Robbe wurden im vergangenen Jahr 466 Soldaten wegen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt (fünf Soldaten fielen im Einsatz, 36 wurden verwundet). Damit hat sich die Anzahl der Erkrankten im Vergleich zu 2008 fast verdoppelt, fast 90 Prozent der erkrankten Soldaten gehörten zur Internationalen Schutztruppe Isaf in Afghanistan. Dabei mahnt der Wehrbeauftragte allerdings nicht nur eine bessere Versorgung und Betreuung der PTBS-Opfer durch die Bundeswehr an - sondern auch mehr Sensibilität und Offenheit in der Gesellschaft. Er schreibt: "Was unsere Soldaten erwarten, ist mehr Empathie, mehr menschliche Zuwendung."
- Aber Robbe lobt auch in seinem letzten Bericht - und zwar in erster Linie die Soldaten. Die seien zwar durch die Debatte wegen der und den verantwortlichen Offizier verunsichert. Im übrigen "konnte ich in den Reihen der Streitkräfte keine einzige Stimme vernehmen, die sich nicht solidarisch zeigte mit Oberst Georg Klein", heißt es im Bericht. Dennoch würden die Soldaten einen "großartigen Job" leisten und durch ihr "Improvisationstalent" viele Defizite ausgleichen. Die Bundeswehr-Soldaten bräuchten "keinen Vergleich mit anderen Armeen in der Welt zu scheuen".
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg
Ihr oberster Dienstherr will die heftige Kritik von Robbe ernst nehmen: lobte den Bericht des Wehrbeauftragten am Dienstagnachmittag, den von ihm aufgezeigten Missständen werde man nachgehen.
Robbes designierte Nachfolger Königshaus sollte sich das gut merken.