Bundeswehr-Kommando Spezialkräfte "Es würde ein Blutbad geben"

Bisher war die Elitetruppe für Aufklärungsmissionen und zur Festnahme von Kriegsverbrechern auf dem Balkan im Einsatz. Jetzt soll das "Kommando Spezialkräfte“ gegen Terroristen eingesetzt werden. SPIEGEL ONLINE sprach mit KSK-Chef Brigadegeneral Reinhard Günzel über eine mögliche deutsche Beteiligung an einem Einsatz gegen Osama Bin Laden und seine Kämpfer.

SPIEGEL ONLINE:

Experten im Verteidigungsministerium halten eine Anforderung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) für den vom US-Präsidenten Bush angekündigten "Feldzug" inzwischen nicht mehr für ausgeschlossen. Gehört Terrorismusbekämpfung künftig zu Ihrem Betätigungsfeld?

Reinhard Günzel: Das gehörte schon immer zu unserem Aufgabenspektrum. Angesichts der aktuellen Entwicklung könnte dies sogar zur Hauptaufgabe der Zukunft werden. Seit Ende des Kalten Krieges hat sich der Charakter bewaffneter Reaktionen verändert, weg von der militärischen Masse, hin zu Spezialkräfte-Operationen.

SPIEGEL ONLINE: Da versagen Militärschläge nach traditionellem US-Muster?

Günzel: Ein Bombardement oder ein Einsatz von Cruise Missiles gegen ein solches Camp wie das des als Drahtzieher verdächtigten Bin Laden in Afghanistan könnte nach guter Aufklärung Erfolg haben. Doch würden dabei auch viele Unschuldige sterben und die Verantwortlichen vor der Welt als die Killer mit blutigen Händen dastehen. Das ist sicher die schlechtere Lösung.

SPIEGEL ONLINE: Was ist die Alternative?

Günzel: Einen Mann wie Osama Bin Laden durch eine Spezialkräfte-Operation zur Strecke zu bringen, ist allemal besser. Doch halte ich dies, ohne erhebliche eigene Verluste in Kauf zu nehmen, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt für so gut wie unmöglich. Das ist unter den Spezialkräften Amerikas, Israels, Frankreichs und Großbritanniens weitgehend übereinstimmende Auffassung.

SPIEGEL ONLINE: Wie riskant wäre ein solcher Einsatz für Ihre Soldaten?

Günzel: Bin Laden umgibt sich mit einem Schutzkräfte-Kordon von bestimmt hundert bis zweihundert Mann, die alle bereit sind, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Spezialkräfte kommen leicht bewaffnet, ungeschützt, es würde ein Blutbad geben. Keine Spezialeinheit der westlichen Welt könnte einem solchen Einsatz zustimmen. Wir entschließen uns immer erst zum Zugriff, wenn wir bei der Risikoanalyse eine 90-prozentige Erfolgsquote ansetzen können. Denn selbst wenn Spezialkräfte-Operationen bis zum letzten Griff minutiös geplant werden, bleibt noch immer ein unproportional hohes Risiko.

SPIEGEL ONLINE: Lassen sich Terroristen also aus militärischer Sicht nur mit Spezialkräften bekämpfen?

Günzel: Eigentlich ja. Doch ist eine Armee wie die unsere, mit westlicher Einsatzphilosophie, bei solchen Einsätzen bislang eigentlich nicht bereit, den Verlust von Menschenleben hinzunehmen. Deshalb haben wir gegen Männer, die ihr Leben bereitwillig im Kampf einsetzen, wenig Chancen. Doch die Welt hat sich verändert seit dem Anschlag vergangene Woche, und ich vermute damit auch die Risikobereitschaft der Politiker. Wenn es künftig darum geht, das Leben von Tausenden zu retten, wird wohl eher der Tod von speziell zur Terrorismusbekämpfung ausgebildeten Soldaten in Kauf genommen.

SPIEGEL ONLINE: Die Geheimdienste Amerikas und Israels wissen seit Jahren, wo sich Bin Laden in Afghanistan aufhält. Warum ist es selbst bestens ausgebildeten Spezialkräften bisher nicht gelungen, ihn zu fassen?

Günzel: An Versuchen hat es nicht gemangelt. Doch Bin Laden genießt die materielle, personelle und strategische Unterstützung von Staaten wie Irak, Libyen und selbstverständlich Afghanistan. Einen durch sympathisierende Länder gedeckten Mann dingfest zu machen, ist ungleich schwerer als etwa die Festnahme eines Kriegsverbrechers in einem Land wie Bosnien, in dem die Nato Operationsfreiheit hat.

SPIEGEL ONLINE: Was sind die größten Probleme?

Günzel: Amerikaner und Europäer sind in diesen Regionen vergleichsweise hilflos. Aufklärung am Boden, also nicht über Satelliten-Technik sondern durch menschliches Personal, ist für sie besonders schwierig, sie werden sofort erkannt. Die Anwerbung von lokalen Helfern wird versucht, ist aber mühsam, weil die Loyalität der Leute zu ihren Glaubensbrüdern enorm hoch ist.

SPIEGEL ONLINE: Kann da nicht die Technik helfen?

Günzel: Auch die hat Grenzen. Bin Laden hat wie alle Gejagten einen sechsten Sinn für die Gefahr entwickelt und wechselt ständig die Aufenthaltsorte. Die Israelis könnten bei einem eventuellen Zugriff noch am ehesten Erfolg haben. Sie haben auch in jüngster Zeit Erfahrung mit der Bekämpfung des Terrorismus gemacht und können sich in der islamischen Kultur unauffällig bewegen. Doch selbst wenn es gelingen würde, Bin Laden auszuschalten, ist der Gewinn aus meiner Sicht fraglich. Der Mann mit seiner Organisation ist wie eine neunköpfige Hydra. Hinter ihm stehen so viele fanatisierte Anhänger, dass sofort ein anderer an seine Stelle treten würde.

SPIEGEL ONLINE: Wie würde denn ein Sonderkommando-Einsatz geplant und durchgeführt?

Günzel: Eine Operation von Spezialkräften, an der Deutsche beteiligt sind, hieße immer eine gemeinsame Unternehmung mit befreundeten Nationen. Das eine Land könnte die Logistik stellen, das andere die Transportmittel, das dritte den äußeren Sicherungsring bilden. Doch der Zugriff bliebe immer in der Hand eines Landes. Da geht es um Abläufe, die zwischen den Männern über viele Jahre eingeübt sind und blindes Vertrauen voraussetzen. Nebenbei bräuchten uns die Amerikaner bestimmt nicht dazu. Eine deutsche Beteiligung wäre mehr ein politisches Signal.

SPIEGEL ONLINE: Wie könnte eine solche Operation konkret aussehen?

Günzel: Spezialkräfte agieren grundsätzlich ähnlich. Beim so genannten chirurgischen Schnitt kommen sie mit so wenigen Leuten wie möglich. Wenn eine Annäherung auf dem Landweg nicht möglich ist, käme zum Beispiel auch ein Sprungeinsatz aus großer Höhe in Frage. Das heißt, die Soldaten springen mit Fallschirmen aus etwa 10.000 Metern ab und gleiten dann entweder über viele Kilometer an das Zielobjekt heran oder springen direkt darüber ab, um den Schirm so spät wie möglich zu öffnen. Entscheidend ist der operative Überraschungsmoment. Doch selbst wenn der Zugriff gelingt, bleibt der Abtransport des Gefangenen ein schwer lösbares Problem.

SPIEGEL ONLINE: Ist Bin Laden also nicht zu fassen?

Günzel: Jeder Mensch ist irgendwann zu fangen, er wird leichtsinnig, macht einen Fehler oder er wird verraten.

Das Interview führte Susanne Koelbl

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