Raketenabwehr "Meads" Von der Leyens Steuerproblem

Von der Leyen in der Türkei (Archiv): Deutsche "Patriot"-Raketen im Einsatz
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaVerteidigungsministerin Ursula von der Leyen wollte in dieser Woche endlich die missliche Debatte über Ausrüstungsmängel, Pannen und Geldverschwendung in der Bundeswehr hinter sich lassen. Mittwoch und Donnerstag lud sie über 200 Führungskräfte zur Bundeswehr-Tagung nach Berlin ein. Dabei hielt sie eine Grundsatzrede, mit der sie den Blick nach vorne richten wollte: Es sollte um das Attraktivitätsprogramm zur Anwerbung neuer Soldaten gehen und um den Plan, gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein Weißbuch zur Sicherheitspolitik zu verfassen.
Doch die negativen Schlagzeilen holen sie immer wieder ein. Erst waren es die großen Löcher, die offensichtlich in ihrem Haushalt klaffen. Jetzt ist es ein großes Risiko, das in einem ihrer wichtigsten neuen Wehrbeschaffungsprojekte steckt. Dabei geht es um ein taktisches Luftverteidigungssystem, mit dem das Land sich vor anfliegenden Raketen schützen will.
Bislang ist dafür das völlig veraltete "Patriot"-System zuständig, das derzeit auch in der Türkei stationiert ist. Doch der Nachfolger, unter dem Namen "Meads" bekannt, birgt ein beachtliches finanzielles Risiko: Es droht die Zahlung von 590 Millionen Euro Einfuhrumsatzsteuer, falls sich die Bundeswehr dazu entschließt, "Meads" in Deutschland weiterzuentwickeln.
Spektakuläre Tests mit dem Prototyp
Lange Zeit wurde die völlig neuartige Raketenabwehr von einem amerikanisch-europäischen Konsortium erforscht. Das Programm erzielte Forschungs- und Entwicklungsergebnisse im Wert von vielen Milliarden Euro. Doch die USA stiegen schon vor einigen Jahren aus dem Konsortium aus. Nun ist der Plan, das Projekt unter Führung des deutschen Rüstungskonzerns MBDA fortzuführen. Das macht es nötig, Entwicklungsergebnisse unter anderem aus den USA einzuführen. Doch dabei könnte die Zahlung eben jener Einfuhrumsatzsteuer fällig werden.
In einem Bericht der Unternehmensberatung KPMG, den die Verteidigungsministerin zur Untersuchung von Beschaffungsprojekten in Auftrag gab, heißt es: "Das Einfuhrumsatzsteuerrisiko sollte zwingend belastbar geprüft werden." Wie aus dem vertraulichen Bericht hervorgeht, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist das zur Verblüffung der Wirtschaftsprüfer nicht passiert.
Bislang vertraute das Ministerium darauf, sich mit einem Trick um die Steuer drücken zu können. Demnach sollten die Entwicklungsergebnisse offiziell einer Nato-Organisation in Luxemburg übertragen werden. Die sollte sie dann der Firma MBDA mit Sitz im bayerischen Schrobenhausen zur Verfügung stellen.
Rätselhafter Brief
Doch die KPMG-Prüfer hegen große Zweifel, ob dieses Konstrukt wirklich dazu führt, die Einfuhrumsatzsteuer zu umgehen. Im Ministerium fanden sie zur Abschätzung des Risikos lediglich ein Word-Dokument vor, das vom Bundesfinanzministerium stammen soll - was aber "weder den Briefkopf" des Ministeriums noch "Datum oder einen Verfasser erkennen lässt", bemängeln die Unternehmensberater. Es entfalte "keinerlei Bindungswirkung" und gehe auf das Kernproblem überhaupt nicht ein.
Die Kritik ist wenig schmeichelhaft für das Ministerium, weil sie einmal mehr beweist, mit wie viel Dilettantismus die Beamten bei Milliarden-Projekten offensichtlich agieren. Über einen ähnlichen Fall berichtet der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe: Bei der Beschaffung von Spionagesatelliten des Systems SARah werden bis zum Jahre 2020 rund 155 Millionen Euro Umsatzsteuer fällig.
Das Verteidigungsministerium erklärt zum Raketenabwehrsystem gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Das Steuerrisiko ist eines der im Gutachten erwähnten Risiken, die vor einer Auswahlentscheidung für ein taktisches Luftverteidigungssystem zu klären sind." Industrie und Bundeswehr haben allerdings in den vergangenen Wochen erheblichen Druck aufgebaut, schnell zu einer Entscheidung über die weitere Zukunft von "Meads" zu kommen. Das Ministerium plant, im ersten Quartal 2015 so weit zu sein.
"Ich habe große Bedenken, dass bis dahin schon genügend Klarheit über das Steuerrisiko hergestellt ist", sagt der Verteidigungsexperte der Grünen, Tobias Lindner, gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Mit einer vorschnellen Entscheidung begibt man sich in das nächste große Beschaffungsabenteuer, das am Ende erheblich teurer werden kann."