CDU-Chefin zur Zukunft der GroKo Merkel setzt auf Gelassenheit, die SPD auf Chaos

Bei den Sozialdemokraten herrscht blankes Chaos - aber auch in der CDU hält sich der Unmut über Parteichefin Angela Merkel. Die gibt sich im ZDF-Interview gelassen. Aber ist die Koalition von SPD und Union noch zu retten?
Merkel im ZDF

Merkel im ZDF

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Sie konnte ein bisschen durchschnaufen in den vergangenen Tagen, das merkt man ihr an: Nach der Einigung mit Union und SPD am Mittwoch war Angela Merkel sichtbar am Ende ihrer Kräfte gewesen - an diesem Abend ist sie im Interview beim ZDF sogar schon wieder zum Scherzen aufgelegt. Was sie denn zu dem Spruch des SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil sage, der am Sonntag lästerte, "wenn wir noch einen halben Tag länger gemacht hätten, dann hätten die uns wahrscheinlich das Kanzleramt auch noch gegeben"? Da lächelt die CDU-Chefin und sagt dann ganz gelassen: "So ein SPD-Generalsekretär muss auch mal ein paar nette Worte sagen in diesen Tagen."

Gelassenheit.

Das ist überhaupt die Botschaft, die Merkel mit ihrem TV-Auftritt setzen will. Während die SPD förmlich implodiert und die Kritik aus ihrer eigenen Partei am Verhandlungsergebnis und auch an der CDU-Vorsitzenden selbst immer lauter wird, gibt sich die geschäftsführende Kanzlerin demonstrativ entspannt: Wird schon.

Aber stimmt das wirklich?

Merkel kann sich keineswegs sicher sein, dass die SPD-Basis - insbesondere nach den Ereignissen der vergangenen Tage - dem Koalitionsvertrag per Mitgliederentscheid zustimmt. Und natürlich ist da in der CDU etwas aufgebrochen, eine schon länger gärende Unzufriedenheit mit der Vorsitzenden. Dass die plötzlich von so vielen und so laut geäußert wird, muss ihr zu denken geben.

  • Wie geht es jetzt in der SPD weiter?

Die Lage bei den Sozialdemokraten ist so chaotisch, dass man kaum noch den nächsten Tag vorherzusagen wagt - das dürfte selbst für die Personen in der SPD-Führung gelten, die für die Geschicke der Partei verantwortlich sind.

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Gabriel gegen Schulz: Vom Freund zum Feind

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"Wir sind kein Nonnenkloster, aber wie die Union miteinander umgeht, da kann man schon Mitleid bekommen." Diesen Satz sagte Martin Schulz am Donnerstag der "Bild am Sonntag". Da ahnte er noch nicht, dass der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel ihm noch am selben Abend endgültig die Freundschaft mit heftigen öffentlichen Anschuldigungen kündigen würde. Da ahnte der Noch-SPD-Chef nicht, dass er am folgenden Tag - wegen des massiven Drucks aus der Partei - den Verzicht auf das von ihm avisierte Außenministerium ankündigen würde. Und da ahnte Schulz nicht, dass er wohl nun schon am Dienstag den Parteivorsitz kommissarisch an Fraktionschefin Andrea Nahles übergeben wird - und damit deutlich früher als geplant.

Schulz wird auch nicht mehr bei der Basis-Werbetour dabei sein, mit der die sozialdemokratische Führung bei den Mitgliedern für Zustimmung zum Koalitionsvertrag werben wird. Schulz ist quasi schon wieder Geschichte in der SPD. Und das, nachdem er der Union Mitte vergangener Woche einen Koalitionsvertrag inklusive Ressortverteilung abgetrotzt hat, auf den seine Partei stolz sein kann.

Ist nun also die designierte Parteichefin Nahles die neue starke Figur bei der SPD - und wird sie die Basis von der GroKo überzeugen können?

Im Video: SPD-Spitzenfrau Nahles

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Beides ist längst nicht ausgemacht: Es gibt bereits deutliche Kritik aus der Partei an der Art und Weise, wie Nahles im kleinsten Kreis als Vorsitzende ausgekungelt wurde, zudem halten sich gegen die frühere Parteilinke beim konservativen Flügel der SPD Vorbehalte - und manche verbliebenen Schulz-Fans dürften sie als Meuchlerin sehen. Forderungen nach einer Urwahl über den Parteivorsitz machen bereits die Runde.

Nahles will unbedingt SPD-Chefin werden - und sie wird für die Basis-Zustimmung zur GroKo kämpfen. Denn sollten die Mitglieder dagegen votieren, stünde der Partei ein radikaler personeller Neuanfang bevor, auch Nahles wäre dann schon wieder Geschichte.

Wie der Mitgliederentscheid ausgeht, wagt - siehe oben - im Moment keiner vorauszusagen. Die Chancen auf eine Pro-GroKo-Mehrheit dürften sich nach den Turbulenzen der vergangenen Tage jedenfalls nicht verbessert haben.

  • Was passiert in der CDU?

Die Unzufriedenheit über den Koalitionsvertrag, insbesondere über die Verteilung der Ressorts, ist bei den Christdemokraten weiterhin groß, offenbar vor allem an der Basis. Im ZDF räumt Merkel ein, dass sie die "Schmerzen" nachvollziehen könne, aber anders sei eine Einigung eben nicht möglich gewesen. Dass der Bundesparteitag am 26. Februar deshalb gegen die neue Koalition mit CSU und SPD stimmt, gilt dennoch als ausgeschlossen - dafür ist die CDU immer noch zu sehr "Kanzlerwahlverein". Zudem werden die Delegierten vor allem von Abgeordneten und mittleren Funktionären gestellt, einfache Mitglieder sind da kaum vertreten.

Genauso wenig muss Parteichefin Merkel einen Umsturz fürchten: Dafür sind sie und ihre Vertrauten noch zu mächtig - und ihre Gegner zu schwach. Wenn sich jetzt ihr einstiger Widersacher Roland Koch per "FAZ"-Interview aus der Versenkung wagt, so wie zuvor schon Friedrich Merz, der einst ebenfalls als Unterlegener das Feld räumte, zeigt das nur den Mangel an echten Alternativen.

Was die CDU-Vorsitzende allerdings fürchten muss, ist die dramatische Beschleunigung ihres Autoritätsverlusts - auch wenn sie im ZDF beteuert, dass sie das anders sehe. Wenn es der Plan Merkels war, sich nochmals zur Kanzlerin wählen zu lassen und dann in Ruhe ihren Abgang zu organisieren - wie es noch keinem deutschen Regierungschef gelungen ist -, wird das nun immer schwieriger.

Im ZDF kündigt sie nun an, die Liste der CDU-Minister bis zum Parteitag bekannt zu geben - bisher hieß es, das würde erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid passieren. Und Merkel sagt, darauf achten zu wollen, dass nicht nur die über 60-Jährigen zum Zuge kämen. Auch das könnte ein Tribut an ihre Kritiker sein.

Am Ende könnte Merkel sich sogar genötigt sehen, dem Druck aus der Partei nachzugeben und beispielsweise jemandem wie Jens Spahn doch ein Ministeramt zu geben - oder ihn sogar zum neuen Generalsekretär zu machen. Das Verhältnis zwischen ihr und Spahn ist angespannt, der bisherige Staatssekretär im Finanzministerium gilt als Hoffnung vieler Merkel-Skeptiker. In den vergangenen Tagen hatten sich Spahn-Vertraute wie JU-Chef Paul Ziemiak oder der Vorsitzende der Unions-Mittelstandsvereinigung MIT, Carsten Linnemann, vehement für ihn stark gemacht. Spahn selbst schwieg bis zum Wochenende: Am Sonntag gab der CDU-Politiker der österreichischen Zeitung "Die Presse" ein Interview, in dem er sich optimistisch über die Zukunft der Partei äußerte.

Und was, wenn die SPD-Mitglieder die GroKo stoppen? Dann könnte sich - falls Merkel anders als angekündigt nicht doch eine Minderheitsregierung bildet - wegen der dann anstehenden Neuwahl die Debatte um ihre Zukunft nochmals beschleunigen. Dass sie erneut als Unionsspitzenkandidatin antreten könnte, wäre nach den Entwicklungen der vergangenen Wochen wohl längst nicht mehr sicher.

  • Wieso ist die CSU so still?

Die CSU hat in den Koalitionsverhandlungen mehr oder weniger erreicht, was sie wollte. Aus ihrer Sicht könnte es deshalb sofort losgehen mit der Regierung - dafür schenkt man sich aus Rücksicht auf SPD und CDU sogar zu lautes Triumphgeheul.

Bei den Christsozialen galt ja immer schon die Devise "Bayern first", umso mehr in den Monaten seit der Bundestagswahl, bei der auch die CSU das schlechteste Ergebnis seit 1949 erreichte - vor allem aber geriet plötzlich mit Blick auf die anstehende Landtagswahl die Verteidigung der absoluten Mehrheit in Gefahr.

Seitdem ist die Partei mächtig durchgeschüttelt worden, zeitweise herrschte eine Art sozialdemokratisches Chaos - doch dann einigten sich die beiden starken Köpfe auf eine Art Machtübergabe: Der bisherige Finanzminister Markus Söder soll in den kommenden Wochen von Horst Seehofer das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen und dann als Spitzenkandidat in die Landtagswahl gehen, Seehofer darf weiter Parteichef bleiben.

Damit dieser Plan aufgeht, der für die CSU Ruhe und Stabilität bedeutet, musste Seehofer für seine Partei gut verhandeln in den Koalitionsgesprächen - vor allem für sich selbst. Das ist ihm als designiertem Superminister für Innen, Heimat und Bauen gelungen, gleichzeitig soll die CSU die Ressorts für Verkehr und Entwicklungshilfe behalten. Weil sie gleichzeitig bei ihrem wichtigsten inhaltlichen Anliegen, der Flüchtlingspolitik, kaum Zugeständnisse machen musste, ist man in München hochzufrieden - und schweigt weitestgehend.


Zusammengefasst: CDU-Chefin Angela Merkel demonstriert im ZDF Zuversicht mit Blick auf das Zustandekommen der GroKo. Aber es könnte eng werden: Bei den Sozialdemokraten geht es drunter und drüber - und auch bei den Christdemokraten gibt es massive Kritik an den Vorsitzenden.

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