

Berlin - Der erste Querschuss aus den eigenen Reihen im neuen Jahr kam ausgerechnet aus Christian Wulffs Heimatverband, der niedersächsischen CDU. "Viele Parteifreunde haben bei mir angerufen. Alle äußerten sich negativ zu Wulffs Verhalten", empörte sich Karl-Heinz Klare, Vizechef der Landtagsfraktion, in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", und forderte "die totale Aufklärung".
Der Bundespräsident kommt nicht zur Ruhe, in der Koalition wachsen Unmut und Verunsicherung - die Affäre Wulff hat mit dem zu Wochenbeginn bekannt gewordenen Drohanruf in der "Bild"-Redaktion ein neues Niveau erreicht. Und auch im mächtigen CDU-Landesverband Niedersachsen wächst offenbar die Distanz zu Wulff: Dem einstigen Stolz auf einen der ihren im Schloss Bellevue weicht Enttäuschung und Ärger.
Die niedersächsischen Christdemokraten halten ihrem Mann im höchsten Staatsamt nach außen hin weiter die Treue. Kaum verwunderlich: Er war 14 Jahre lang ihr Landeschef, sieben Jahre lang Ministerpräsident. "Die Mitglieder der CDU in Niedersachsen stehen zu unserem Bundespräsidenten Christian Wulff", versicherte Generalsekretär Ulf Thiele am Dienstag. "Wir spüren in der Landespartei einen starken Rückhalt. Einzelmeinungen ändern daran nichts."
"In den Kreisverbänden brodelt es"
Doch abgesehen von Thieles Erklärung hört man kaum etwas zu Wulffs Verteidigung, CDU-Landtagsfraktion und die Staatskanzlei von Ministerpräsident David McAllister (CDU) wollen sich zu den neuen Vorwürfen nicht äußern. Auch die FDP als Koalitionspartner lehnt einen Kommentar ab. Uneingeschränkte Loyalität äußert sich anders.
An der Parteibasis ist mit Wulffs versuchter Einflussnahme auf die Berichterstattung das Maß offenbar voll. "In den Kreisverbänden brodelt es", hieß es am Dienstag aus Fraktionskreisen. Unter Abgeordneten wachse die Nervosität "von Tag zu Tag". Die Erwartungshaltung sei angespannt: Wulff müsse sich zu den neuen Vorwürfen äußern, so die Meinung vieler Mitglieder der Fraktion.
Die Sache mit dem Privatkredit, so Vertraute, sei nach momentaner Faktenlage juristisch unangreifbar - und damit einfacher zu handhaben gewesen. Im Notfall konnte man immer auf Wulff selbst verweisen, der eine umfassende Aufklärung durch seine Anwälte versprochen hatte. Jetzt sei die Lage eine andere: Zu den Vorwürfen der Drohanrufe müsse man "eine Meinung haben", so formuliert es einer. "Das kann keiner gutheißen."
Immer in die Kerbe rein
Niedersachsen schien bislang als sichere Wulff-Bastion: Die CDU regiert gemeinsam mit der FDP im mitgliederstarken Bundesland, sie stellt die größte Fraktion im Landtag. Attacken auf den ehemaligen Landesvater ließ man selbst auf dem vorläufigen Höhepunkt der Affäre kurz vor Weihnachten abprallen: Als die Opposition im Ältestenrat auf Aufklärung der Kreditaffäre pochte, wurde die Runde nach einer Viertelstunde von der schwarz-gelben Mehrheit abgebrochen.
Hinter der Schutzmauer-Taktik dürfte nicht allein Loyalität gegenüber Wulff stecken - sondern auch eine ordentliche Portion Selbstzweck. Die CDU in Niedersachsen hat wenig Interesse daran, in der Sache Wulff noch mehr Dreck aufzuwirbeln. Schließlich stehen in einem Jahr Landtagswahlen an, die wiederum als wichtiger Gradmesser für die Bundestagswahl 2013 gelten.
Egal, wie die Affäre Wulff ausgehen mag: Die Opposition, so fürchtet man intern, werde in den kommenden Monaten keine Gelegenheit verpassen, die Causa Wulff aufs Tapet zu bringen. Immer und immer wieder, vor jedem Mikrofon, in jedem Interview.
SPD, Grüne und Linke ergreifen jetzt schon jede Chance, den Wulff-Skandal für sich zu nutzen. Die SPD-Fraktion forderte rasche Auskunft zum "System Wulff". Es zeichne sich "immer deutlicher ein Bild unguter Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft ab, das vor 2010 von Herrn Wulff hier in Niedersachsen etabliert und jetzt von Herrn McAllister als Ministerpräsident weitergeführt wird", hieß es in einer Erklärung vom Montag.
SPD-Fraktionschef Stefan Schostok kündigte gegenüber SPIEGEL ONLINE an, seine Fraktion werde in der kommenden Woche eine Unterrichtung der Kreditaffäre in den Ausschüssen und des Parlamentes in die Wege leiten, wenn nötig auch Akteneinsicht verlangen. Der Fraktionschef der Grünen, Stefan Wenzel, forderte Ministerpräsident McAllister auf, eine Regierungserklärung zu Wulff abzugeben. In der kommenden Plenarsitzung - angesetzt für den 18. Januar - müsse "alles auf den Tisch" kommen.
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Freitag, 17. Februar, 11.02 Uhr: Wulff gibt seinen Rücktritt bekannt, begleitet wird er bei dem Schritt von seiner Frau Bettina.
Die Staatsanwaltschaft hatte am 16. Februar angekündigt, Ermittlungen gegen Christian Wulff einleiten zu wollen - wegen des Verdachts der Vorteilsannahme in seiner Amtszeit als Landesvater von Niedersachen.
Ein junges Präsidentenpaar wie die Wulffs hatte das Bellevue in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gesehen. Wulff wurde 1959 in Osnabrück geboren, wuchs bei Mutter und Stiefvater auf. Im Alter von 14 Jahren übernahm er die Pflege der Mutter, die an Multipler Sklerose erkrankte, und kümmerte sich um seine jüngere Schwester.
Stein des Anstoßes: Gut anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt beginnt die Bundespräsidenten-Affäre. Anlass ist ein umstrittener Privatkredit für sein Wohnhaus in Burgwedel. Die Frau des Unternehmers Geerkens lieh ihm eine halbe Million Euro - zu sehr günstigen Konditionen.
Der Präsident und die Bundeskanzlerin: Kanzlerin Angela Merkel hat mit Wulffs Vorgänger Horst Köhler bereits ein Staatsoberhaupt verloren. Nach seinem Rücktritt will sie nun gemeinsam mit der Opposition einen Nachfolger suchen.
Auch einer der engsten Vertrauten Wulffs verlor seinen Job im Affärenstrudel: Zwei Tage vor Weihnachten entließ er seinen langjährigen Vertrauten und Sprecher Olaf Glaeseker (M.).
Zum Freundeskreis des Ehepaars Wulffs gehört auch Unternehmer Carsten Maschmeyer, hier 2009 bei dessen 50. Geburtstag. Wulffs Beziehungen zu Wirtschaftsbossen waren auch in Hannover durchaus umstritten.
Ehrenhäuptling "Offenes Wort": Der Titel wurde Wulff im Sommer 2009 verliehen, doch im Zuge der Kreditaffäre ist er ihm nicht gerecht geworden.
Wulff beim Staatsbesuch in Afghanistan: Wulff präsentierte sich gern als volksnaher Bundespräsident. Hier posiert er mit Polizisten aus verschiedenen Bundesländern in Kabul.
Wulff sah sich als Bürgerpräsident, doch im April 2011 wurde er Opfer einee Eierattacke. Später wurde der Angreifer zu 600 Euro Geldstrafe verurteilt.
Es war einer der wichtigsten dienstlichen Auslandsreisen des Bundespräsidenten: Im Oktober 2010 fuhr Christian Wulff in die Türkei und appellierte dort gemeinsam mit Staatspräsident Abdullah Gül an die in Deutschland lebenden Türken, sich zu integrieren: "Wer in Deutschland leben will, muss sich an diese geltenden Regeln halten und unsere Art zu leben akzeptieren."
Das Gegenstück zu seinem Auftritt in Ankara hatte Wulff bereits drei Wochen zuvor, bei der Feier zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, in Bremen geliefert. Dort sagte er, Christentum und Judentum gehörten zweifelsfrei zu Deutschland, "aber der Islam inzwischen auch".
Bei seiner Wahl am 2. Juli 2010 benötigte Wulff drei Wahlgänge in der Bundesversammlung, um am 30. Juni 2010 zum zehnten Bundespräsidenten gewählt zu werden. Wulff, Kanzlerin Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer war die Anspannung am Gesicht abzulesen.
Wulff musste auf seinem Weg nach oben immer wieder Niederlagen einstecken. So benötigte er drei Anläufe, um Ministerpräsident in Niedersachsen zu werden. Im März 1994 trat er zum ersten Mal als CDU-Spitzenkandidat gegen seinen sozialdemokratischen Rivalen, den späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder, an. Der Wahlabend war ein bitterer: Die SPD holte die absolute Mehrheit im Landtag.
Wulff gab trotz der verlorenen Landtagswahl 1994 nicht auf. Bei der Wahl im Sommer 1997 wurde er mit überwältigenden Mehrheit von 97,2 Prozent zum Spitzenkandidaten der CDU in Niedersachsen gewählt. Hier nimmt er die Glückwünsche der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth entgegen.
Niedersachsens Polit-Größen im Jahr 1997 unter sich: Bei der Abschiedsfeier für den ehemaligen niedersächsischen Innenminister Josef Stock versammelten sich drei Generationen von Landesvätern um den CDU-Landespolitiker. Links im Bild der damals amtierende Ministerpräsident Schröder, rechts dessen Vorgänger Ernst Albrecht von der CDU. Im Hintergrund Schröders Herausforderer Wulff - der allerdings erst Jahre später an die Macht kam.
Mit geballter Kraft buhlte Christian Wulff im Wahlkampf des Jahres 1998 um Stimmen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl kam zum Auftakt - doch es nützte nichts. Auch diese Wahl ging verloren.
CDU-Kronprinzen: Wulff gewann stetig an Macht und Einfluss in der Bundespolitik. Er gehörte schließlich selbst zum Kreis derer, die als Zugpferd für die Wahlkämpfe anderer gebucht wurden. An der Seite der damaligen Amtskollegen Peter Müller (Saarland) und Roland Koch (Hessen) trommelte er für Jürgen Rüttgers, der 2005 in Nordrhein-Westfalen schließlich die Wahl gewann.
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