CDU-Programmdebatte Kampf der Gerechten

Sinkende Umfragewerte und der Unmut über die Arbeit der Großen Koalition entfachen in der Union schwelende Konflikte. Die Frage ist: Wie sozial, wie wirtschaftsliberal ist die CDU? Die Flügel bekämpfen sich heftig - und rüsten für den anstehenden Grundsatzkongress.

Berlin - Vielleicht sei es ja nur eine "Urlaubslaune" gewesen, kommentiert dieser Tage ein CDU-Politiker bissig. Gemeint sind Jürgen Rüttgers Bemerkungen über die CDU, die keine kapitalistische Partei sei und auch nicht werden dürfe, seine Skepsis gegenüber weiteren Steuersenkungen, die keine neuen Arbeitsplätze brächten. Damit hat der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (NRW) auf jeden Fall eines erreicht - mitten in der Sommerpause wird das fragile Gleichgewicht in der Union sichtbar. Hier der sozialpolitische Flügel, dort die Wirtschaftspolitiker und die Mittelständler. Es ist ein Streit, in dem sich die Lager positionieren. Rüttgers hat ein Ventil geöffnet - nun wird Dampf abgelassen.

Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels, forderte heute in der ARD: "Wir müssen wieder mehr Partei der Arbeitnehmer werden." Das ist seine Standardaussage - nur wird sie jetzt, mitten im Sommerloch, so richtig wahrgenommen.

Es ist ein lange schwelender Machtkampf, der wieder einmal in der CDU zutage tritt. Und der nie wirklich ausgefochten wurde - weder unter Parteichef Helmut Kohl noch unter Angela Merkel. Diese Spannung auszuhalten gehörte zur Erfolgsgeschichte der Union. Doch der Sozialflügel geriet im Wahlkampf 2005 in den Hintergrund.

Bereits kurz nach dem Urnengang hatte sich Rüttgers mit Roland Koch, dem hessischen Ministerpräsidenten, im CDU-Vorstand über die Gewichtung zwischen Freiheit und Gerechtigkeit gestritten - eine Auseinandersetzung, die im Ansatz stecken blieb. Die Union war damals mit anderem beschäftigt: mit der Regierungsübernahme der Großen Koalition. Kanzlerin Merkel vertagte den Streit - ein Grundsatzprogramm sollte binnen zwei Jahren neue Antworten für die CDU im 21. Jahrhundert finden.

Am 22. August hält die CDU nun einen ersten Grundsatzkongress ab - und da kommen Rüttgers Worte so manchem gerade recht. Im Mittelpunkt steht die alte Frage: Wie stark soll die soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund gerückt werden? Nicht alle, die in diesen Tagen auf Rüttgers Äußerungen angesprochen werden, sind mit seinen Zuspitzungen einverstanden. Vor allem sein Wort von den "Lebenslügen", von denen sich die CDU verabschieden müsse, stört manche, die ihm inhaltlich nahe stehen. Rüttgers hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass niedrige Steuern nicht zu mehr Arbeitsplätzen führten. Obwohl der Eingangs- und Spitzensteuersatz seit 1998 kontinuierlich gesenkt worden sei, habe es in gleichen Zeitraum 856.000 Arbeitslose mehr in NRW gegeben, lautet sein Argument.

"Unser Problem ist die Abgabenlast"

"Von einer Lebenslüge würde ich nicht sprechen", sagt der Vorsitzende der Arbeitnehmer-Gruppe im Bundestag, Gerald Weiss, zu SPIEGEL ONLINE. Doch die Diskussion sei im Grundsatz schon richtig. "In der Steuerquote liegen wir EU-weit im unteren Mittelfeld, unser Problem ist die Abgabenlast." Deshalb sei es auch richtig, gesamtgesellschaftliche Aufgaben - wie die in der Gesundheitsreform geplante Beitragsfreiheit der Kinder - verstärkt über Steuern zu finanzieren. "Rüttgers grundsätzliche Bemerkungen kommen im Zusammenhang mit der anstehenden Programmdebatte zur rechten Zeit", stärkt der Hesse Weiss dem CDU-Vorsitzenden aus Nordrhein-Westfalen den Rücken.

Nicht die Frage an sich, wohl aber den Stellenwert der sozialen Gerechtigkeit muss die Union aus Sicht von Weiss neu diskutieren: "Manchmal wirkte es in der Vergangenheit bei uns so, als sei die soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund gerückt. Sie muss aber gleichberechtigt neben den Werten Wettbewerb und Markt stehen."

Die Kanzlerin, aus dem Dolomiten-Urlaub zurück, aber noch nicht wieder die Amtsgeschäfte führend, will vor dem 22. August ein Gespräch mit Rüttgers suchen, auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat das vor. Aber die Debatte können sie nicht mehr einfangen, die Union steckt längst mitten drin.

Unter den jüngeren Bundestagsabgeordneten wird sie pragmatisch gesehen. "Was Rüttgers bei der Steuerfrage anspricht, ist im Grundsatz nicht falsch", sagt der CDU-Haushaltspolitiker Ole Schröder zu SPIEGEL ONLINE. Aber die Steuerquote allein im Blick zu haben, sei sinnlos: "Es muss die gesamte Abgabenlast betrachtet werden - unsere hauptsächlichen Probleme kommen von den hohen Lohnnebenkosten." Die wirksam zu drosseln habe die Große Koalition noch nicht erreicht.

Umfragewerte sinken, Frust steigt

Der Frust über die Regierungspolitik steigt in dem Maße, wie die Umfragewerte für die Union sinken: Forsa hatte 31 Prozent festgestellt, infratest-dimap immerhin noch 35. Besonders die Interessensvertretung des Mittelstands in der Union geht hart mit dem Regierungskurs in Gericht. Mittelstands-Vorsitzender Josef Schlarmann sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Wovor wir immer gewarnt haben, tritt leider ein. Die Große Koalition verfolgt vor allem zwei Ziele: den Status Quo der Sozialtransfers zu erhalten und die öffentlichen Kassen durch die Erhöhung von Steuern und Beiträgen zu entlasten. Das droht die Union langfristig gegen die Wand zu fahren. Die bürgerliche Mitte als tragende Säule wird abgeschreckt, ja, ist regelrecht erbost."

Die Behauptung des Arbeitnehmerflügels, man könne nur mit einem verstärkten Augenmerk auf die Sozialpolitik eine Wahl gewinnen, ist für Schlarmann "ein Trugschluss". Nur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik führe die Union zum Erfolg. Doch hätten sich leider in der Großen Koalition die Sozialpolitiker durchgesetzt, so seine Analyse. Nach der Euphorie der ersten Umfrageergebnisse zu Beginn der Großen Koalition müssten diese erkennen, dass eine stärkere Hinwendung zur Sozialpolitik der Union nicht weiterhelfe. "Es kann sogar sein, dass unsere Werte noch weiter in den Keller gehen und damit der Beweis angetreten würde, dass die Sozialpolitiker mit ihrer Analyse für die Wahlniederlage der Union falsch gelegen haben."

Schlarmann ist skeptisch, was die von Pofalla versprochene Suche nach einem eigenen Profil der CDU angeht. Wenn man versuche, außerhalb der Koalition einen anderen Kurs zu vertreten, warnt er, "dann bekommt man auf Dauer ein Glaubwürdigkeitsproblem - und damit zwangsläufig irgendwann auch ein Führungsproblem".

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