Die jungen Frauen, die die Quote verhindern könnten
Dieser Beitrag wurde am 09.07.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Elf Stunden lang saßen sie zusammen, zwischen Plexiglaswänden und zugeschaltet per Webcam. Am Ende gab es kurz nach ein Uhr in der Nacht ein Ergebnis: Die CDU soll schrittweise eine Frauenquote bekommen. So schlägt es die "Satzungs- und Strukturkommission" vor, im Dezember soll ein Parteitag entscheiden, ob die Quote wirklich kommt.
Es ist ein Kompromiss, der Wiebke Winter nicht überzeugt. Die 24-jährige Promotionsstudentin ist Mitglied der Kommission und leitet den Bundesarbeitskreis "Frauen" der Jungen Union. Statt auf eine Quote setzt sie darauf, dass freiwillig mehr weibliche Mitglieder für politische Ämter kandidieren. Dabei helfen sollen Mentoring-Programme und beispielsweise "hybride Sitzungen", an denen auch per Webcam teilgenommen werden kann. In der WhatsApp-Gruppe ihres Arbeitskreises sind inzwischen mehr als 100 junge Frauen vernetzt, auf Parteitagen werben sie mit dem Hashtag #mehrmädels für ihre Position.
"Die Junge Union war immer gegen die Quote"
"Ich bin davon überzeugt, dass Vorstände und Mandate nach Fähigkeiten und nicht nach einer Quote besetzt werden müssen", sagt Wiebke Winter. In der CDU-Kommission stimmten am Ende der Diskussion 34 Mitglieder für den Kompromiss, Wiebke und sechs weitere stimmten dagegen. "Alles andere hätte meinen Idealen widersprochen." So wie sie denken viele junge Mitglieder in der CDU, auch Vereinigungen wie die Mittelstands- und Wirtschaftsunion sehen den Kompromissvorschlag skeptisch.
Die geplante Quote gilt vielen in der Jungen Union als Abschiedsgeschenk für die scheidende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Nicht alle sind überzeugt, dass sie es bekommen sollte. In den kommenden Monaten dürfte in der Partei darüber noch intensiv diskutiert werden. "Die Junge Union war immer gegen die Quote", sagt Wiebke Winter. "Ich möchte der Partei zeigen, dass es auch andere Modelle gibt, um Frauen zu fördern."
Sollte es am Ende auf dem Parteitag zur Entscheidung kommen, könnte es gut sein, dass die 1001 Delegierten mehrheitlich dem Parteinachwuchs folgen – und eine verbindliche Frauenquote ablehnen. In Bayern war genau das der CSU im vergangenen Herbst passiert, nachdem die 22-jährige Studentin Hannah Lotze in einer vielbeachteten Rede gegen die Quote gewettert und dafür mehr Applaus als die Parteispitze bekommen hatte. Am Ende stimmte die CSU für eine weiche Soll-Regelung (SPIEGEL).
Ob Wiebke Winter im Dezember ebenfalls gegen die Quote auf die Bühne gehen wird, ist nach eigener Aussage noch nicht entschieden. "Das besprechen wir jetzt erstmal."
Der Streit ist groß, der Frauenmangel auch
Nach Atomkraft, Mindestlohn, Wehrpflicht und gleichgeschlechtlicher Ehe gehört die Gleichstellung von Frauen zu den letzten großen Streitthemen in der Union. Seit mehr als 20 Jahren wird die CDU von Frauen geführt – doch unterhalb der Spitze sieht es immer noch mau aus. Im Bundesvorstand beträgt der Frauenanteil derzeit 36 Prozent, in der Bundestagsfraktion mit der CSU 21 Prozent. In vielen Landesparlamenten ist er noch geringer. In Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg und Berlin sind nur 10 Prozent der CDU-Abgeordneten weiblich – oder weniger. In der Fläche ist die Partei immer noch ein ziemlicher Boys Club.
Dabei ist der CDU schon lange bewusst, dass es ein Problem gibt. Bereits 1985 setzte sich die Partei das Ziel, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Alltag zu verwirklichen (SPIEGEL). Seit 1996 gibt es ein Quorum von einem Drittel für Frauen. Doch seitdem hat sich wenig verändert. Innerhalb von 21 Jahren stieg der Frauenanteil gerade einmal um ein Prozent auf 26, heißt es im Gleichstellungsbericht der Partei (PDF). In den ostdeutschen Bundesländern sank er sogar.
"Wir brauchen mehr Frauen, mehr junge Leute"
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, 34, bemüht sich deshalb seit Monaten, die Partei neu aufzustellen: "Wir brauchen mehr Frauen, wir brauchen mehr junge Leute", sagte er erst vor wenigen Tagen in einem Interview (n-tv). Doch gerade die jungen Mitglieder sind skeptisch, ob die Frauenquote dafür geeignet ist.
Lilli Fischer ist eine der jungen Frauen, die in der CDU aktiv sind, ein Mandat innehaben und dennoch an der Quote zweifeln. Mit 19 Jahren zog sie im vergangenen Sommer in den Stadtrat von Erfurt ein. Seitdem ist sie eine von zwei Frauen in der zehnköpfigen CDU-Fraktion. "Es bringt nichts, wenn wir überall Frauen aufstellen, die dann keiner kennt und wählt", sagt sie. "Die CDU lebt von der Verankerung vor Ort, die meisten Mandate werden direkt gewonnen. Wir müssen junge Frauen ermutigen, sich mehr zuzutrauen und besser für sich zu werben."
Die Quote ist in der CDU auch eine Altersfrage
Die Quote ist in der Partei längst nicht mehr nur eine Geschlechter-, sondern auch eine Altersfrage. Während junge Frauen wie Lilli Fischer verbindliche Regelungen kritisch sehen, sind ältere oft dafür. Die Frauen Union, die den Aufstieg Annegret Kramp-Karrenbauers lange begleitete, fordert sie seit Jahren. "Ich habe in meiner Karriere gelernt, dass es nicht mehr ohne Quote geht", sagt beispielsweise Elisabeth Motschmann, Bundestagsabgeordnete aus Bremen und ehemalige Spitzenkandidatin bei der Bürgerschaftswahl. Sie ist klar für die Quote: "Ich will nicht länger zuschauen, wie Frauen ihr Platz verwehrt wird."

Wie Wiebke Winter ist sie in der Satzungskommission. Und stimmte am Ende für den Quotenkompromiss. "Wenn die Regelung jetzt wieder gekippt werden sollte, waren alle Diskussionen umsonst. Das können wir uns nicht erlauben", warnt sie. Bei der Jungen Union fühlen sich manche junge Frauen dagegen von den älteren Parteifreundinnen immer wieder belehrt. "Wir fühlen uns von ihnen nicht vertreten", sagt eine, die namentlich nicht zitiert werden möchte. "Die Frauen Union hat bei uns keinen guten Ruf."
Nur noch elf Prozent der Erstwähler stimmten bei der Europawahl für die Union
Der Umgang mit dem Thema ist längst auch eine Zukunftsfrage. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr stimmten nur noch elf Prozent der Erstwählerinnen und Erstwähler für die Union – die Grünen kamen auf mehr als 36 Prozent, mehr als dreimal so viel (bento). Solange Babyboomer und Senioren die Mehrheit stellen, mögen solche Ergebnisse für die CDU kaum ins Gewicht fallen. Doch wie lange kann eine Partei, die wie keine zweite für sich in Anspruch nimmt, die Mitte der Gesellschaft zu vertreten, auf die Jugend verzichten?
"Bei meinen Kommilitonen gilt die CDU als Altherrenverein, der die Klimakrise nicht ernstgenommen hat", erzählt Lilli Fischer. Statt über Quoten will sie lieber über inhaltliche Kampagnen reden. "Die JU muss deutlicher zeigen, dass sie für die Themen junger Menschen einsteht. Wir waren gegen die Tampon-Steuer und haben vor den Folgen der Grundrente für junge Menschen gewarnt – aber wer hat das mitbekommen?"
Um das zu ändern, schlägt Lilli Petitionen und projektbezogene Mitgliedschaften vor. Für junge Eltern fordert sie bei Veranstaltungen eine zuverlässige Kinderbetreuung. Sollte es am Ende auf dem Parteitag zum Showdown um die Quote kommen, erwartet sie einen offenen Konflikt zwischen jüngeren und älteren Frauen, zwischen Gegnern und Befürwortern der Quote. "Das wird verdammt knapp."