CDU-Umweltpapier Wieso die Schwarzen ergrünen

Die CDU will den Grünen die Show stehlen: Mit moderner Ökoprogrammatik versucht die Kanzlerinnen-Partei, jene Klientel zurückzuerobern, die Helmut Kohl einst leichtfertig verprellte. Nur vom Atom will sie nicht lassen - Unionsumweltschützer spekulieren sogar auf neue Atomkraftwerke.

Berlin/München - Herbert Gruhl war der erste Öko im Bundestag. Lange vor den Grünen. Gruhl saß ab 1969 für die CDU im deutschen Parlament. Der Bauernsohn aus dem Sächsischen verdammte die Atomenergie und predigte den Verzicht. Mitte der Siebziger schrieb Gruhl einen Bestseller - mit klarer Ansage: "Ein Planet wird geplündert - die Schreckensbilanz unserer Politik". Drei Jahre Missachtung benötigte der damalige Parteichef Helmut Kohl - dann war er Herbert Gruhl 1978 los.

Und zukünftige Wähler.

Denn der wertkonservative Gruhl ging erst zu den Grünen, später begründete er die ÖDP. Der 1993 Verstorbene ist kein Linker gewesen. Sein Beispiel zeigt: Die Grünen waren nicht nur Fleisch vom Fleische der SPD.

Knapp drei Jahrzehnte später sind die Grünen-Wähler bürgerlicher denn je. Das wissen die CDU-Strategen natürlich. In den bürgerlichen, gutsituierten Quartieren deutscher Großstädte muss die Union teils auf Augenhöhe mit den Grünen um Stimmen rangeln. Denn fernab von Lebensstilen fallen gerade hier deren Umweltthemen auf fruchtbaren Boden.

Nun kontert die CDU. Ein gutes Jahr hat eine Fünf-Personen-Kommission mit Hamburgs schwarz-grünem Ersten Bürgermeister Ole von Beust an der Spitze am Ökoprofil der Partei gebastelt. "Bewahrung der Schöpfung: Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz" heißt der 25-Seiten-Entwurf, der am kommenden Montag im CDU-Vorstand beraten, dann in den Parteigliederungen diskutiert und schließlich auf dem Parteitag im Dezember als ein programmatisches "Kernziel" der Union verabschiedet werden soll. Doch wer im Entwurf Revolutionäres sucht, liegt daneben. Vieles ist bekannt aus dem 2007 verabschiedeten Grundsatzprogramm:

  • dass Deutschland den "effizientesten Kraftwerkspark" der Welt haben soll,
  • dass bis 2020 der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Gesamtenergieverbrauch auf mindestens 20 Prozent steigen und im Jahr 2050 den Hauptanteil ausmachen soll,
  • dass auf Umweltbelastungen Abgaben statt Steuern erhoben werden, zum Beispiel bei der Kfz-Steuer, die sich in Zukunft am CO2-Ausstoß des Autos orientieren soll,
  • oder dass der Luftverkehr in den Emissionshandel einbezogen werden soll.

Überraschungen? Fehlanzeige. Die CDU schließt nach wie vor etwa ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus. Und das Thema grüne Gentechnik kommt gar nicht vor. Da ist die Schwesterpartei aus dem Süden schon weiter - meint zumindest Bayerns Europaminister Markus Söder (CSU), der den kritischen Kurs seiner Partei in dieser Sache maßgeblich beeinflusst hat: Bei der grünen Gentechnik könne "die CDU noch einiges von der CSU lernen", sagte Söder zu SPIEGEL ONLINE.

Noch mehr Althergebrachtes findet sich im CDU-Entwurf: Man will auch in Zukunft auf den "Energiemix" inklusive Atomkraft setzen. "Auf absehbare Zeit kann auf den Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland nicht verzichtet werden", heißt es in dem Ökopapier. Die CDU kommt nicht weg von der Atomkraft.

Karl-Heinz Florenz, CDU-Europaabgeordneter und Mitautor des Beust-Papiers, spricht gar von einer möglichen "Renaissance der hochmodernen Nukleartechnik", in "angemessenem Umfange" und "im Sinne eines Energiemix" - aber mit Blick auf den gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD erst nach der nächsten Bundestagswahl. "Bis zum Ende der Legislaturperiode sind wir vertragstreu." Florenz zu SPIEGEL ONLINE: "Neue Atomkraftwerke sehe ich heute und morgen noch nicht. Wir brauchen zuerst eine Antwort auf die Frage der Endlagerung des Atommülls. Danach aber müssen wir eine seriöse Debatte über neue Kernkraftwerke führen."

Sicher nicht mit den Grünen. Aber würde die Union nur wegen der Atomkraftwerke nach 2009 erneut in eine Große Koalition eintreten - statt sich per schwarz-gelb-grüner Jamaika-Koalition neue Bündnismöglichkeiten zu eröffnen?

Sogar Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber, der 2005 maßgeblich für die Große Koalition und gegen Schwarz-Gelb-Grün geworben hatte, sagte kürzlich: "Alles ist besser als eine Linksregierung. Die muss unbedingt verhindert werden." Die Grünen seien "keine politischen Schmuddelkinder mehr".

Insofern dient das neue CDU-Papier der Annäherung an grüne Wählerklientel. Auch wenn es im Klima- und Umweltteil nicht viel Neues bietet: Ein Symbol ist es allemal.

Für die CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner, Verbraucherschutz-Beauftragte ihrer Fraktion und ebenfalls Mitverfasserin des Beust-Papiers, ist es mehr: "Beim Thema Umwelt- und Klimaschutz haben wir unsere Grundsätze konkretisiert", sagt sie zu SPIEGEL ONLINE. Und in Sachen Verbraucherpolitik habe man "ein neues Kapitel aufgeschlagen".

Tatsächlich findet sich zu diesem Thema Detailliertes im Entwurf: So soll etwa bereits in der Schule "Verbraucherbildung" betrieben und "in den bestehenden Fächerkanon" integriert werden. Gefordert wird zudem besondere Rücksichtnahme: Für Ältere sollen Gebrauchsanleitungen "in Mindestschriftgröße" formuliert werden; für Migranten soll die Information "gezielt erfolgen", etwa über deren Verbände und Medien. Desweiteren fordert der Entwurf internationalisierte Siegel auf Produkten, effektivere Reklamationsmöglichkeiten, Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Wirtschaft und Schutz in der "digitalen Welt". Klöckner: "Uns geht es um die Augenhöhe von Konsument und Produzent."

Klima, Umwelt, Verbraucherschutz - grüne Politik auf schwarz? Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin: "Die Christdemokraten blinken grün und fahren schwarz." Die CDU verschärfe "die Konfliktstellung zu den Grünen, wenn sie neue Kohlekraftwerke als Klimaschutz und Atomkraftwerke als 'Öko- Energie' deklariert".

Diese Kritik sei "reflexartig", meint Julia Klöckner: "Die Grünen haben jetzt Angst, dass die CDU ihnen ihr originäres Feld abläuft." Im Übrigen herrsche zwischen Schwarz und Grün in dieser Debatte "eine fruchtbare Spannung". Ähnliche Erfahrungen habe man mit der FDP auf wirtschafts- und steuerpolitischer Ebene.

Also doch: das Beust-Papier als Vorlage für Schwarz-Grün? "Wir haben das Papier nicht für mögliche Koalitionen geschrieben, sondern für unsere Partei", sagt Klöckner zurückhaltend.

Möglicherweise würde Herbert Gruhl aus dieser CDU nicht mehr austreten.

Mitarbeit: Stefan Schultz

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