CDU und CSU nach den Wahlen Weit mehr als ein blaues Auge

Stärkste Kraft bei der Europawahl, Platz eins in Bremen: CDU und CSU scheinen noch mal davongekommen zu sein - aber nur im Vergleich zum einstigen Hauptkonkurrenten SPD. Die Union hat große Probleme.
CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer, CSU-Chef Söder

CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer, CSU-Chef Söder

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Ob man nach einem Wahltag erleichtert ist, hängt am Ende nicht nur vom eigenen Ergebnis ab. Wenn der vermeintliche Hauptgegner noch viel schlechter da steht, lindert das manchen Schmerz. So ähnlich muss man sich die Gefühlslage bei führenden CDU- und CSU-Politikern vorstellen, nachdem sie am späten Sonntagnachmittag die ersten belastbaren Prognosen zur Europawahl in Deutschland erfahren haben.

Und dann ist da ja noch Bremen: Dort liegen die Christdemokraten sogar auf Platz eins - zum ersten Mal seit mehr als sieben Jahrzehnten. Und zwar vor der SPD: Die Sozialdemokraten sind in der Hansestadt und bundesweit weiter abgestürzt.

Nur deshalb kann sich CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Abend im Konrad-Adenauer-Haus gemeinsam mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber auf die Bühne stellen und erstmal minutenlang von den erreichten Zielen sprechen.

Weil die anderen so tief gefallen sind, dass sie in den kommenden Jahren wohl nicht einmal mehr der Hauptkonkurrent sein werden. Wer nach Angela Merkel ins Kanzleramt einzieht, kommt - Stand jetzt - von der CDU oder den Grünen. Der SPD droht dagegen eine Debatte, ob sie überhaupt noch mit einem Kanzlerkandidaten antreten sollte.

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Ziele erreicht - aber wie?

Ziel eins, sagt CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer in der Parteizentrale, sei gewesen, als stärkste politische Kraft aus den Europawahlen hervorzugehen. Erreicht. Gleichzeitig sei damit der Anspruch untermauert worden, dass der CSU-Politiker Weber neuer Präsident der EU-Kommission wird. Als zweites Ziel wollte man nach 73 Jahren die SPD in Bremen schlagen - auch erreicht, ein Regierungswechsel könnte erfolgen, sagt die CDU-Chefin. In diesem Moment wird laut gejubelt bei den Partei-Mitarbeitern und -Anhängern im Konrad-Adenauer-Haus.

Dabei gibt es keinen Grund für Jubel: CDU und CSU haben rund sieben Prozentpunkte im Vergleich zu den Europawahlen 2014 verloren und kommen auf rund 28 Prozent. Die EVP mit CSU-Mann Weber an der Spitze verliert EU-weit rund sechs Prozentpunkte. In Bremen gewinnt die CDU zwar etwa vier Punkte im Vergleich zu 2015 dazu, liegt aber immer noch deutlich unter früheren Ergebnissen - und wird möglicherweise erneut in der Opposition landen, falls ein rot-rot-grünes Bündnis zustande kommt.

CDU und SPD erleben einen historischen Tiefstand bei dieser Europawahl, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. Aber auch die Schwarzen gehen aus diesem Abend mit weit mehr als einem blauen Auge heraus.

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Dennoch langt Kramp-Karrenbauer erst zum Schluss ihres Statements beim Punkt Selbstkritik an: Mit einem Europaergebnis von deutlich unter 30 Prozent werde die CDU ihrem Anspruch als Volkspartei nicht gerecht, sagt sie. "Am Wochenende werden wir sicher nochmal eine genaue Analyse vornehmen", dann nämlich trifft sich der Bundesvorstand zu einer Klausurtagung. Jedenfalls habe die Union in der Regierung "bei Weitem nicht die Dynamik" entwickelt, die notwendig wäre, findet die CDU-Chefin. Und: "Wir haben im Wahlkampf Fehler gemacht."

Aber was folgt daraus? Reicht es, wie CSU-Chef Söder fordert, dass die Union "jünger, cooler und offener" wird? Söder kann tatsächlich halbwegs zufrieden sein, die Christsozialen haben ihr Ergebnis von 2014 in Bayern minimal verbessert. Und Söder versucht schon ein Weilchen, seine Partei zu entstauben.

Wenn allerdings die Wahlanalysen zeigen, dass CDU und CSU bei den unter 30-Jährigen inzwischen weit abgeschlagen hinter den Grünen liegen, hat das sicherlich nicht nur mit der Art der Ansprache zu tun, sondern auch mit Personen und Inhalten. Und natürlich hat die miserable Reaktion des Konrad-Adenauer-Hauses auf das "Die Zerstörung der CDU"-Video des YouTubers Rezo die kommunikativen Defizite der Partei besonders eindrücklich demonstriert.

Doch der Wucht des Videos, das inzwischen knapp zwölf Millionen Mal aufgerufen wurde, hätte wohl auch eine rasche und angemessene Antwort wenig genommen. Man habe nicht die Antworten gegeben, die die Bürger erwarteten, sagt CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer.

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Die Union tut sich beim Klimaschutz schwer

Darum geht es. Welche Antworten hat die Union denn parat, um "die intensive Auseinandersetzung mit den Grünen" zu führen, wie es CSU-Chef Söder ausdrückt? Beim Klimaschutz, der für viele Bürger immer wichtiger wird, tut man sich natürlich schon alleine deshalb schwer, weil die von Angela Merkel geführte Bundesregierung die Interessen aller zu vertreten hat - anders als die oppositionellen Grünen. Aber eine zunehmende Zahl von Bürgern, darunter offenbar besonders jüngere Menschen, haben offenbar den Eindruck, dass Merkel und die Union dabei zu defensiv sind.

Und dabei ist man dann auch bei den Köpfen: Die Verantwortung dafür tragen neben Merkel die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak. Der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident Daniel Günther und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Armin Laschet fordern seit Wochen mehr Fantasie beispielsweise bei der Bepreisung von CO2, nicht einmal vor einer komplexen Besteuerung schrecken sie zurück. Bei diesem Thema allerdings bremsten bislang auch besonders energisch der CSU-Vorsitzende Söder und prominente Parteifreunde wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. In den ARD-"Tagesthemen" kündigte Kramp-Karrenbauer am Abend an, beim Thema Klimaschutz nachzuarbeiten.

Offene Kritik aus der Partei muss sie dennoch fürs Erste nicht fürchten - stattdessen schießen sich besonders konservative Unionsvertreter bereits wieder auf Kanzlerin Merkel ein oder fordern personelle Wechsel im Kabinett auf Seiten von CDU und CSU.

Noch genießt die Parteivorsitzende, die erst seit vergangenem Dezember amtiert, einen gewissen Bonus. Aber dass die AfD bei der Europawahl in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo bis zum Herbst neue Landtage gewählt werden, so stark abgeschnitten hat, dürfte den Druck auf sie erhöhen.

Das Problem für Kramp-Karrenbauer und die CDU ist: Ein progressiverer Kurs in der Klimapolitik dürfte sich angesichts der AfD-Stärke im Osten kaum für ihre Partei auszahlen.

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