Aufgeblähter Bundestag Unionsabgeordnete wollen Überhangmandate abschaffen

Arbeitsparlament: Selten sind im Bundestag alle Plätze besetzt
Foto: Michael Kappeler/dpa709 Abgeordnete gehören derzeit dem Bundestag an - das sind 111 zu viel, findet offenbar ein Teil der Fraktion von CDU und CSU. 24 Unionspolitiker werben in einem Brief an Fraktionschef Ralph Brinkhaus für ein Konzept, das die Zahl der Parlamentarier auf dauerhaft 598 festlegen soll. Über das Schreiben vom 23. Dezember, das der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, hatte zuerst die "Bild"-Zeitung berichtet.
Demnach sollen insbesondere die Erststimmen mehr Gewicht bekommen, mit denen die Direktkandidaten in den Wahlkreisen gewählt werden. Künftig sollten "299 Abgeordnete direkt über die Erststimme nach Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen gewählt werden", heißt es in dem Schreiben. "Die anderen 299 Abgeordneten sollen über die Zweitstimme nach Verhältniswahlrecht ermittelt werden."
Sollte der Vorschlag umgesetzt werden, würde zwar die gesetzlich vorgesehene Größe des Bundestags von 598 Abgeordneten immer eingehalten werden, denn Überhang- und Ausgleichsmandate würde es nicht mehr geben. Allerdings wäre das ein Abkehr vom bisherigen System der Verhältniswahl.
Denn nach geltendem Wahlrecht entscheidet das Verhältnis der abgegebenen Zweitstimmen über die Sitzverteilung im Parlament, das heißt über die Stärke der Fraktionen; die Erststimme entscheidet momentan lediglich darüber, welche Kandidaten einer Partei als Direktkandidaten ins Parlament einziehen und wie viele Sitze dann noch über die Parteilisten vergeben werden.
Was die Abgeordneten fordern, würde eine "Grabenwahl" bedeuten
Das nun vorgeschlagene System würde aber nur noch eine Hälfte der Sitze nach dem Verhältniswahlsystem vergeben, die andere Sitze dagegen nach einem Mehrheitswahlsystem. Eine solche Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahl wird als "Grabenwahl" bezeichnet, da beide Systeme, gleichsam wie durch einen Graben getrennt, nebeneinanderstehen. Das wäre ein Vorteil für Parteien, die viele Direktmandate erringen - allen voran wohl CDU und CSU, im Osten wohl auch noch für die AfD. Benachteiligt wären aber Parteien, die weniger Direktmandate erringen, als ihnen - wie bisher - nach dem Verhältnis der abgegebenen Zweitstimmen zugestanden hätten.
Die gegenwärtig entstehenden Überhang- und Ausgleichmandate sind der Grund für die aktuelle Anzahl an Abgeordneten. Im derzeitigen Wahlsystem entstehen aus - gegenüber dem Zweitstimmenergebnis - überzähligen Direktmandaten Überhangmandate, die wiederum Ausgleichsmandate für die anderen Parteien nach sich ziehen.
Überhangmandate ließen sich allerdings auch noch durch andere Maßnahmen reduzieren oder vermeiden, etwa durch eine Reduktion der Zahl der Wahlkreise und damit des Anteils der Direktmandate an der Zahl der insgesamt zu vergebenden Sitze. (Wie ein junger Mathematiker das Land mithilfe einer Software neu einteilen will, lesen Sie hier.)
Bisherige Reformversuche gescheitert
Staatsrechtler gehen davon aus, dass die Zahl der Parlamentarier nach der nächsten Bundestagswahl auf mehr als 800 steigen könnte. Mehrere Versuche, das Wahlrecht zu reformieren, um eine weitere Vergrößerung zu verhindern, blieben bislang erfolglos. Im Frühjahr war Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mit einem Kompromissvorschlag gescheitert, der eine etwas geringere Zahl von Wahlkreisen vorsah. Zudem sollte es erst bei mehr als 15 Überhangmandaten Ausgleichsmandate geben.
FDP, Linke und Grüne treten hingegen für eine Reform ein, bei der die Zahl der Wahlkreise deutlich verkleinert und zugleich die Zahl der Parlamentssitze moderat erhöht wird. Diese Änderung soll die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten reduzieren - von denen bislang am stärksten die Union profitiert.
Oppermann will "Vertrauensschaden" verhindern
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) warnte im SPIEGEL zuletzt auch vor logistischen Konsequenzen: "Ein so großes Parlament würde - im Dauerbetrieb - nicht mehr in den Plenarsaal des Reichstagsgebäudes passen, dann müssten wir für Bundestagssitzungen eine Ausweichmöglichkeit suchen." Der größte Schaden wäre allerdings "der Vertrauensschaden", sagte Oppermann. "Ein Parlament, das es nicht schafft, seinem eigenen Wachstum Grenzen zu setzen, verliert den Respekt der Bürger."
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