Chat zur RAF-Debatte mit Stefan Aust "Baader hat versucht, mich umzulegen"

Soll Christian Klar begnadigt werden? Wie glaubwürdig sind die Aussagen von Ex-Terrorist Boock zum Buback-Mord? Müssen die Täter Reue zeigen? Eine Stunde lang antwortete SPIEGEL-Chefredakteur und RAF-Experte Stefan Aust heute im Chat auf Fragen zur RAF-Debatte - auch auf sehr persönliche.

Hamburg - "Haben Sie jemals Morddrohungen aufgrund Ihrer Recherchen der RAF-Fälle bekommen?", wollte ein Leser von SPIEGEL-Chefredakteur Stefan Aust wissen. "Nein", antwortete dieser im Chat (klicken Sie hier für das Protokoll): "Es haben nur Baader und andere einmal versucht, mich zu ermorden. Ich bin allerdings durch einen Hinterausgang nachts entkommen, so dass Baader & Co. unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten."

Es war nur eine der persönlichen Geschichten des RAF-Experten, der mit dem Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" das Standardwerk zur RAF verfasst hat und einst die Zwillinge von Ulrike Meinhof aus einem sizilianischen Barackenlager befreite, wohin sie die RAF verschleppt hatte, als ihre Mutter in den Untergrund ging.

Das Interesse am Chat war beträchtlich: 70.000 Leser verfolgten die Online-Diskussion und stellten mehr als 1000 Fragen - von denen aus Zeitgründen allerdings lediglich rund 30 berücksichtigt werden konnten.

Viele Chat-Teilnehmer interessierte neben aktuellen Fragen zur RAF-Debatte auch Austs Motivation, sich über Jahre mit diesem Thema zu beschäftigen. Was ihn davor bewahrt habe, "in die RAF oder Unterstützer-Szene abzugleiten", lautete eine Frage. "Ich habe den politischen Gewalttrip immer als tödlichen Irrweg verstanden, dem ich keine Faszination abgewinnen konnte. Es war immer klar, dass die Reise der RAF im Gefängnis, im Schusshagel der Polizei oder im Selbstmord enden würde", sagte Aust.

Er glaube sogar, dass "das Ganze unterschwellig ein Selbstmordkommando war". Aust verwies auf ein Brecht-Zitat, das sich in mehreren Briefen von RAF-Mitgliedern wiederfand: "Furchtbar ist es, zu töten, aber nicht andre nur, auch uns töten wir, wenn es not tut, da doch nur mit Gewalt diese tötende Welt zu verändern ist, wie jeder Lebende weiß."

Aust sprach auch über seine Motive, die versteckten Meinhof-Zwillinge zu befreien: "Ich wusste zufällig, wo sie waren, was das Kennwort, was die Kontaktadresse war. Außerdem war mir bekannt, dass die Gruppe die Kinder in ein Guerilla-Camp im Nahen Osten schicken wollte", sagte Aust. Für die Kinder wäre dies sehr gefährlich gewesen, es sei für ihn deshalb nur "logisch" gewesen, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Aust kannte Meinhof aus der Zeit, als er zusammen mit ihr für die Zeitschrift "konkret" gearbeitet hatte.

Starkes Interesse zeigten viele Leser an der neu entfachten Debatte über den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977. In der aktuellen Titelgeschichte des SPIEGEL macht der frühere RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock seinen ehemaligen Weggefährten Stefan Wisniewski für die tödlichen Schüsse verantwortlich. Wisniewski wurde jedoch nie im Zusammenhang mit dem Mord an Buback verurteilt. Bislang galten der auf ein Gnadengesuch des Bundespräsidenten wartende Christian Klar und die bereits freigelassenen Ex-Terroristen Günter Sonnenberg und Knut Folkerts als Täter - und eben nicht Wisniewski, der 1999 auf freien Fuß kam.

Auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit Boocks berichtete Aust von zahlreichen Treffen, Gesprächen und Interviews mit dem heute 55-Jährigen. Boock habe "immer sehr offen und präzise ausgesagt, wenn er etwas nicht genau wusste, hat er das auch gesagt". Deshalb seien Boocks Erwägungen, der damals zur Kommandoebene der RAF gehörte, "sehr ernst zu nehmen", auch wenn es "keine Sachbeweise, sondern nur Plausibilitäten" seien.

Der Chat bei SPIEGEL ONLINE fiel heute zusammen mit einer wichtigen Entscheidung in der RAF-Debatte: Das Karlsruher Landgericht verpflichtete die Justizvollzugsanstalt Bruchsal, dem früheren RAF-Terroristen Christian Klar Hafterleichterung zu gewähren. Die Entscheidung gilt als wichtig für eine mögliche vorzeitige Entlassung Klars. Derzeit prüft Bundespräsident Horst Köhler ein Gnadengesuch Klars. Auch dieses Thema wurde im Chat angesprochen. "Wie sollte Köhler entscheiden?", lautete eine Frage. "Auch bin ich der Auffassung, dass selbst diejenigen, die wegen schwerster Straftaten einsitzen, eine Chance haben sollten. Ein Verurteilter hat ja jede Motivation, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen, verloren, wenn er keinen Funken Hoffnung mehr hat, die Haftanstalt zu verlassen, selbst wenn er keine Gefahr mehr für seine Mitmenschen darstellt. Ich sehe mich aber nicht in der Lage, dem Bundespräsidenten über das Internet Ratschläge zu geben", sagte Aust.

Gleichwohl forderte er die Täter auf, an der Aufklärung mitzuwirken: Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf, "dass die Ereignisse im Zusammenhang mit der RAF aufgeklärt werden, das bedeutet, dass man mit Fug und Recht von den Tätern verlangen kann, ihre Tatbeteiligung offen zu legen. Dazu kann man aber natürlich keinen Menschen zwingen."

Zur Frage, ob er davon ausgehe, dass der Buback- Prozess nun neu aufgerollt wird, sagte Aust: "Ich glaube eigentlich nicht. Von Rechts wegen müsste das geschehen, aber alle als Täter in Frage Kommenden sind ja ohnehin zu mehrfach lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Offenbar hat die Justiz es mit der Zuordnung der Taten nicht so genau genommen". Es sei auch fraglich, ob es sinnvoll sei, jemanden noch einmal zu verurteilen, der schon einmal 20 Jahre wegen mehrfachen Mordes verbüßt habe. "Ich glaube, dass die historische Aufklärung auch außerhalb eines Gerichtssaals vonstatten gehen kann", sagte Aust.

Auch das Thema Reue kam zur Sprache, das in den vergangenen Wochen immer wieder im Zusammenhang mit Christian Klar und seinem Gnadengesuch in der öffentlichen Diskussion stand. Wer Gnade wolle, müsse Reue zeigen, hatten manche Politiker gefordert und sich so gegen eine Begnadigung Klars ausgesprochen. Er glaube, "dass Reue nichts ist, was man von Leuten abfordern kann", sagte Aust. Reue müsse ein Selbsterkenntnisprozess sein. Er könne "nur hoffen, dass RAF-Mitglieder wie Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt sich wirklich mit ihren Taten auseinandersetzen. Dann kann ja wohl am Ende nichts anderes als Reue stehen", sagte Aust.

Die heftige Debatte der vergangenen Wochen um Mohnhaupt und Klar habe ihn sehr verwundert, sagte Aust. Offenbar habe das Thema RAF Narben in der deutschen Psyche hinterlassen: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Herbst '77 für die Deutschen ein ähnlich bleibendes Ereignis geworden ist, wie der 11. September für die Amerikaner."

hen

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