
Rechter Diskurs So kann man nicht reden


Gemeinsame Demonstration von AfD und Pegida in Chemnitz, 1.9.2018
Foto: DPANur zwei Nachrichten aus den vergangenen Tagen.
6. September 2018: Die Freiberger CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann erklärt in einem Debattenbeitrag einer evangelischen Nachrichtenagentur , sie möchte keine Muslime in der Partei zulassen. Der Juristin und ehemaligen niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan, die die Hamburger CDU zur Bürgerschaftswahl 2020 als Spitzenkandidatin aufstellen will, spricht sie - wie allen Muslimen - unverhohlen die Demokratiefähigkeit ab: "Gilt nicht für Muslime der Islam als die einzig wahre Religion, das heißt allein der Glaube an Allah und die Unterwerfung [... ] Ist nicht jeder Muslim zum 'Heiligen Krieg' verpflichtet [ ...]?" Eine CDU-Bundestagsabgeordnete, die einer Parteikollegin unterstellt, aufgrund ihrer Religion nicht auf dem Boden der Verfassung zu stehen, und diese selbst untergräbt, indem sie Artikel 4 des Grundgesetzes missachtet: die freie Wahl und Ausübung von Religion.
7. September 2018: Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zweifelt in einem Interview mit der "Bild" an, dass in Chemnitz Menschen gejagt wurden, die nicht deutsch aussahen: "Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken." Gezielte Falschinformation? Ablenkung der Öffentlichkeit? Belege liefert er keine. Die einzige Erkenntnis aus dem Text: Wir haben einen Verfassungsschutzpräsidenten, der "vorsichtig bewertet", in dem er Verschwörungstheorien nährt und gezielt das Wort Mord statt Totschlag wählt, bevor ein Prozess in Sicht ist, geschweige denn ein Urteil.
Hitlergrüße lassen sich nicht relativieren
Reicht's Ihnen? Mir schon. Dabei könnte ich endlos weiter zitieren. Dass Annegret Kramp-Karrenbauer den Bundespräsidenten für ein Konzert gegen rechts kritisiert, weil Feine Sahne Fischfilet dort auftraten, eine Band, die zuletzt vor drei Jahren im mecklenburg-vorpommerschen Verfassungsschutzbericht erwähnt wurde und vermutlich mehr für die Entnazifizierung der Jugend in Mecklenburg-Vorpommern erreicht hat als der örtliche Verfassungsschutz.
Wir lesen täglich in unseren Kommentarspalten, das "Wir sind mehr"-Konzert wäre ein "Tanzen auf den Gräbern von Merkels Messermigrationsopfern", dass die "Linken Merkels Tote in Kauf nehmen". Wir lesen, die Löschung von rassistischen und klar justiziablen Postings auf unserer Facebook-Seite wäre "Zensur" und ein Eingriff in die "Meinungsfreiheit".
Wir lesen, immerhin vom Fraktionschef der Berliner FDP, "Antifaschisten sind auch Faschisten ", als wäre unsere demokratische Grundordnung nicht antifaschistisch. Wir sehen, dass Menschen Hitlergrüße relativieren, denn immerhin gäbe es WUT, wegen der man auf die STRASSE gehen müsse. Wir sehen, dass Menschen unwidersprochen behaupten können, Menschen seien nicht als einzelne Subjekte zu bewerten, sondern als Teil einer großen bedrohlichen Masse.
Dass Dinge nun von höchster Stelle sanktionsfrei suggeriert und gesagt werden können, die den Grundwerten unseres Landes zutiefst widersprechen, hat eine neue Qualität. Was all diese Fälle gemeinsam haben: Sie zeigen, wie tief das Gift, das Misstrauen, aber auch die Faulheit eingesickert sind in unsere Gesellschaft.
Sie zeigen, wie weit wir das Grundverständnis von Demokratie verloren haben, angetrieben von der perfiden Rhetorik der AfD, flankiert von Politikern der Union, die meinen, es sei wichtiger, mit simplifizierten Aussagen potenzielle Wähler zu befrieden, anstatt sich klar gegen die Menschenfeindlichkeit in der aktuellen Debatte auszusprechen.
Es schließt sich nicht aus, den gewaltsamen Tod eines Menschen zu betrauern und sich gleichermaßen gegen Nazi-Aufmärsche in Chemnitz zu engagieren. Es schließt sich nicht aus, Merkel als Kanzlerin abzulehnen, und gleichermaßen zu verachten, wie Rechte gerade versuchen, die Deutungshoheit über das Thema Chemnitz zu gewinnen.
Keine konstruktive Debatte mehr möglich
Wir verlernen zu diskutieren. Wir müssen erleben, dass kaum jemand mehr glaubt, mit Inhalten überzeugen zu müssen, sondern die eigenen, simplen Vorurteile als Begründung auszureichen scheinen, dass wir nicht mehr streiten, sondern brüllen.
Wir erleben, was der Journalist Patrick Gensing auf Twitter fassungslos beschrieb: "Vor unseren Augen löst sich die Basis für jede konstruktive Debatte auf: der weitestgehende Konsens, dass man zumindest halbwegs vernünftig argumentiert, um miteinander zu streiten." Wir haben diesen Konsens verloren, wie wir miteinander umgehen wollen. Damit fällt der Anstand - und alle Schranken. In der Politik. Im Netz. Und auf unseren Straßen.
Als Medien können wir das anprangern. Aber wenn wir als Gesellschaft an diesem Punkt der deutschen Geschichte weiterkommen wollen, müssen wir uns alle auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verpflichten. Und der besteht darin, dass man von den Medien, der Politik, der Seenotrettung, von einander halten kann, was man will - dass jedoch der Charakter und die Rechtschaffenheit eines Menschen nicht danach beurteilt werden kann, wie er aussieht, was er glaubt, welche Musik er hört.
Die Prämisse, dass Rassismus Menschen sehr viel Leid und Schmerz zugefügt hat, dass er grundfalsch ist. Dass Rassismus verlogen ist, giftig, dumm auch, viel zu simpel, um das komplexe Wesen Mensch zu beschreiben.
Dieser Grundkonsens muss wieder in unserer Diskussion gegeben sein, in den Foren und Kommentarspalten, auf Twitter, und in der Politik. Wer diesen Grundkonsens ablehnt, disqualifiziert sich für jede Diskussion - und muss auch nicht gehört werden. Er hat zur Lösung nichts beizutragen.