Was tun gegen Rechts? Wir haben einige Stimmen unserer Generation gefragt

Dieser Beitrag wurde am 31.08.2018 auf bento.de veröffentlicht.

Die Ereignisse in Chemnitz schockieren viele Menschen. Dass Rassismus überall existiert, ist klar. Auch die hartnäckige Existenz einer rechtsextremen Szene ist bekannt. Doch dass Rechtsradikale so offen ihren Hass zeigen, Menschen angreifen und Hetzparolen rufen können, ist beschämend – für die Politik, für die Bürger von Sachsen und für das ganze Land.

Da liegt es nahe, dass sehr viele Menschen gerade das Gefühl haben, etwas tun zu müssen, Position zu beziehen. Damit man sich später nicht vorwerfen muss, nichts unternommen zu haben. Die gewählten Wege sind sehr unterschiedlich – von Demos bis Kampf gegen Hass im Netz (bento). 

Wir haben einige Gesichter unserer Generation gefragt, was sich nach Chemnitz ändern muss.

Larissa Rieß, DJ, Moderatorin, Schauspielerin

Ich selbst besitze drei Nationalitäten, bin bis zu meinem achten Lebensjahr in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen und habe im Ausland studiert. Was mich an den Vorfällen in Chemnitz stört, ist die Pauschalierung, bei der es nur kriminelle Asylanten oder Nazis gibt. Wir müssen wieder auf die sachliche Ebene kommen. Jeder individuelle Fall von Gewalt sollte gerade in der momentan in Deutschland vorhandenen Nervosität schnell verfolgt und sachlich über die Medien kommuniziert werden – sonst verlieren die Menschen das Vertrauen. 

Ali Can, Aktivist und Begründer von #MeTwo

Ich will, dass eine Polarisierung der Menschen in zwei Lager ein Ende findet, denn Nazis wollen ja die Stimmen der besorgten Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft gewinnen. Dagegen müssen wir aufklären.
Wir müssen über den Unterschied zwischen Kritik und Hetze sprechen, über die Gräueltaten, die vom NS ausgingen. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft sensibilisieren für die derzeitige Entwicklung und die Rechtsextremen konsequent verurteilen. 

Gleichzeitig sind die vielen #MeTwo Stimmen mit den Ereignissen aus Chemnitz eine Zäsur für uns People of Colour. Ich gehe jetzt auf viele Akteure mit Migrationsgeschichte zu. Aus der MeTwo-Bewegung heraus ist bisher Farhad Dilmaghani dazugestoßen. Wir bilden eine Gruppe von Aktivisten und Aktvistinnen mit Migrationsgeschichte, die für ihre Rechte kämpfen und ihre Stimme erheben werden.
Es formiert sich eine Bewegung, die die Themen von #MeTwo aufgreift und Lösungen fordert.

Ricarda Lang, Bundessprecherin der Grünen Jugend



Ich engagiere mich schon lange antifaschistisch gegen Rechts: Ich gehe regelmäßig auf Demos, bin vor Ort und zeige mit vielen anderen, dass wir die Straßen nicht den Rechten überlassen werden.


Was sich wegen Chemnitz verändert hat, ist, dass die Dringlichkeit noch offensichtlicher geworden ist. Wir müssen genau jetzt alle Menschen mobilisieren, die keinen Bock auf die Abschaffung der Demokratie haben. Sonst ist es vielleicht zu spät. 

Denn es geht nicht nur um ein paar Prozente mehr oder weniger für die AfD, sondern um die Aufkündigung grundsätzlicher zivilisatorischer Prinzipien und um die Frage, ob die Rechten langfristig die Kontrolle übernehmen. Wir müssen noch stärker als bisher antifaschistische Strukturen unterstützen. Doch dabei dürfen wir nicht stehen bleiben und uns in die Defensive drängen lassen, sondern progressiv nach vorne gehen und schauen: Wie können wir noch viel mehr Menschen für eine solidarische Gesellschaft, in der jeder ohne Angst verschieden sein kann, begeistern? 

Nico Semsrott, Comedian und selbsternannter Demotivationstrainer

Ich mache das, was ich in meiner Rolle tun kann: Mund aufmachen, Rassismus bei meinen Auftritten thematisieren, Geld spenden, auf Demos gehen und ab und zu für ein politisches Amt kandidieren. Ich werde bei der Europawahl für die PARTEI antreten und damit die AfD an der Wahlurne empfindlich schwächen. 

Chemnitz hat nichts an meiner Einstellung zu diesen Themen verändert. Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Der Verfassungsschutz hat den NSU, eine rechtsterroristische Vereinigung, morden lassen – die Rolle des Verfassungsschutzes wurde bis heute nicht aufgeklärt. Die Zahl der Rassisten bleibt hoch. Es gibt eine rechtsradikale Partei im Bundestag. Und Seehofer wurde von Merkel nicht entlassen, obwohl er die Gesellschaft als Innenminister spaltet und Hass sät. Die meisten Politiker in dieser Bundesregierung sind unpolitisch. Das alles ist auch ohne die Vorfälle in Chemnitz eine absolute Katastrophe.

Kathrin Weßling, Autorin und bento-Kolumnistin

Ich streite mich mit den Wutbürgern, den Rassisten, den Verharmlosern – weil für mich die Zeit von Verständnis und Nachsicht vorbei ist. Ich rede nicht mehr – ich kämpfe. Ich gehe zu Demos, ich lege mich mit jedem Nazi an, online und offline. Chemnitz kann nur überraschen, wenn man die letzten zwei Jahre die Augen zugemacht, keine Nachrichten geschaut hat oder einfach zu bequem war zu sehen, dass nichts davon eine Ausnahme ist und war.


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