Chiffren und Decknamen Die geheimen Codes der RAF-Terroristen

Christian Klar trat als "Ede" auf, Gudrun Ensslin als "Grete", und Ulrike Meinhof war "Anna" - die Terroristen der RAF arbeiteten mit Decknamen und Codeworten. Wenn es den Fahndern gelungen wäre, den Code zu entschlüsseln, hätten sie wohl einige tödliche Aktionen verhindern können.
RAF: Fahndungsplakat aus dem Jahr 1980

RAF: Fahndungsplakat aus dem Jahr 1980

Foto: Keystone/ Getty Images

Peter-Jürgen Boock

Roten Armee Fraktion (RAF)

Berlin - Es war , der den Bundesanwälten schließlich auf die Sprünge half. Der Aussteiger der gab preis, welche seiner einstigen RAF-Genossen im Herbst 1976 welchen Decknamen trugen. Bei einer Vernehmung im Mai 2007 hatte Boock sich bereits an die Tarnnamen aus seiner Zeit als Terrorist zu erinnern versucht. "Paula" sagte er, das könne wohl Verena Becker gewesen sein. Bei einer erneuten Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe im November 2009 war der RAF-Aussteiger sich dann sicher, dass die inzwischen wegen des Mordes an Siegfried Buback angeklagte Becker diesen Decknamen getragen habe.

Bis dahin waren die Bundesanwälte in puncto RAF-Code weitgehend im Dunkeln getappt, und zwar seit dem 30. November 1976. An diesem Tag konnten Polizisten bei Butzbach auf der Autobahn zwei RAF-Kader festnehmen:

  • Siegfried Haag, Rechtsanwalt aus Heidelberg, der den 1974 in einem Hungerstreik gestorbenen RAF-Mann Holger Meins vertreten hatte;
  • und Roland Mayer, der einige Monate zuvor mit Karlsruher Freunden wie Christian Klar und Günter Sonnenberg in den Untergrund gegangen war.

Das Duo hatte insgesamt drei Taschen mit brisanten Dokumenten dabei, mit Strategiepapieren und Arbeitsplänen der RAF. Den Ermittlern von Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt bot sich eine rare Chance, endlich Erkenntnisse über die Gruppe zu gewinnen.

Fatale Fehler der Fahnder

Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer

Heute ist klar: Hätten Fahnder damals die Dokumente entschlüsseln können, dann hätten sie die "Offensive 77" der RAF oder zumindest einen Teil der in ihrem Rahmen geplanten Aktionen verhindern können: das Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback etwa, die versuchte Entführung des Bankiers Jürgen Ponto, bei der dieser erschossen wurde; die Entführung des .

Unter den beschlagnahmten Papieren befand sich ein Arbeitsplan, den die Gruppe bei einer Vollversammlung bei Goslar im Harz erstellt hatte. Zwölf Decknamen waren auf dem Diagramm verzeichnet, doch die Ermittler konnten nur drei entschlüsseln.

Christian Klars

Bei weiteren Zuordnungen machten sie fatale Fehler. So identifizierten sie Johannes Thimme, einen ehemaligen Schulkameraden und Freund , als "Tim". Thimme, der zwar die RAF unterstützte, aber ihr nie angehörte, saß dann unter anderem wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" 22 Monate in strikter Einzelhaft. Später war er wegen des Verteilens eines Flugblatts, das zur "Solidarität mit der RAF" aufrief und als Werbung für eine terroristische Vereinigung gewertet wurde, zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden. Im Januar 1985 kam er in Stuttgart bei dem Versuch, eine selbstgebaute Bombe zu legen, zu Tode.

In Wahrheit stand "Tim" nicht für Thimme, sondern für Peter-Jürgen Boock. Die übrigen Mitglieder der Gruppe trugen nach Angaben ehemaliger RAF-Leute und von Boock folgende Decknamen:

Verena Becker: Paula
Waltraud Boock: Inge
Siegfried Haag: Egon
Rolf Heißler: Karl
Sieglinde Hofmann: Olga
Christian Klar: Ede
Friederike Krabbe: Käthe
Roland Mayer: Michael
Günter Sonnenberg: Bodo
Rolf Klemens Wagner: Anton
Stefan Wisniewski: Hans

Melvilles "Moby Dick" als Stichwortgeber für Pseudonyme

Wie auch bei Geheimdiensten sind bei konspirativ arbeitenden Gruppen Decknamen unerlässlich. Sie sollen die Identifizierung der Mitglieder und das Entschlüsseln der Kommunikation verhindern oder zumindest erschweren. Bereits die Gründer der RAF hatten sich deshalb Decknamen gegeben. Andreas Baader war "Hans", Gudrun Ensslin "Grete", Ulrike Meinhof "Anna", Horst Mahler "James", Manfred Grashof "Carlos", seine Freundin Petra Schelm "Prinz" und Astrid Proll "Rosi". Nachdem die erste RAF-Generation verhaftet worden war, verteilte Gudrun Ensslin im Gefängnis neue Decknamen, die sie vorzugsweise aus Herman Melvilles Roman "Moby Dick" entlehnte. Baader war "Ahab", Holger Meins "Starbuck", sie selbst "Smutje".

Die Decknamen der RAF-Gefangenen waren für die Ermittler nicht so wichtig. Aber hätten sie Ende 1976 die Namen der Illegalen entschlüsselt, hätten sie wichtige Erkenntnisse über deren Arbeitsteilung und Aktivitäten gewinnen können. Zum Beispiel, dass für "Pappen basteln", das heißt Dokumente fälschen, Boock zuständig war; und dass "Paula" alias Verena Becker zusammen mit "Olga", das heißt Sieglinde Hofmann, die "Depot Zentrale" aufsuchte - oder aber auch, dass Rolf Klemens Wagner dafür kritisiert wurde, dass er mit einer "legalen" Frau geschlafen hatte, die nicht zur RAF gehörte: "Kritik Anton (vögeln mit leg. Braut)."

Ende April 2007 klärte Boock die Bundesanwaltschaft auch darüber auf, dass der Begriff "Topf" in dem Arbeitsplan für eine Haftmine stand, die mittels Magneten am Auto des Generalbundesanwalts Siegfried Buback angebracht werden sollte. Christian Klar und Günter Sonnenberg sollen dann den Sprengsatz geprüft haben, doch er fiel vom Autodach. Man zog daraufhin eine Schusswaffe vor.

In den Papieren fanden sich drei Codeworte für geplante Aktionen: "Margarine", "Big Money" und "Big Raushole". Zunächst kamen die Ermittler nicht darauf, dass "Margarine" der Deckname für ein Attentat auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback war; seine Initialen entsprachen dem Namen der populären Margarinemarke "SB".

"Big Money" sollte, so glaubten die Bundesanwälte später, der Deckname für die Entführung des Bankiers Jürgen Ponto sein. In Wirklichkeit stand das Codewort für das Kidnappen eines Industriellen, um mit einem hohen Lösegeld die Kriegskasse zu füllen. Geld für das kostenträchtige Leben im Untergrund wurde aber dann mit Banküberfällen beschafft.

Die Decknamen der dritten RAF-Generation geben weiter Rätsel auf

Mit "Big Raushole", das war leicht zu erraten, war das entscheidende Ziel der RAF in den Jahren 1972 bis 1977 gemeint, die Befreiung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und anderen RAF-Mitgliedern aus dem Gefängnis. Das Kürzel "H. M." entzifferte die Bundesanwaltschaft später als Hanns Martin Schleyer. Auch zahlreiche Journalisten übernahmen diese Deutung. Doch sie ist nach Angaben ehemaliger RAF-Mitglieder falsch, da die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten im November 1976 noch nicht geplant war. "Die waren mit ihren Bürokratenhirnen einfach zu blöd", sagt ein Ex-RAF-Mann, "sich in unsere Assoziationen hineinzudenken."

Brigitte Mohnhaupt, die seit ihrer Entlasung aus dem Gefängnis im März 2007 wieder unter einem falschen Namen lebt, hieß seit März 1977 im Untergrund "Nora". Dies hatte den Bundesanwälten schon im Sommer 1990 Susanne Albrecht verraten, nachdem sie in der DDR verhaftet worden war.

Nach Albrechts Aussage trugen die Illegalen der RAF ab dem Sommer 1977 folgende Decknamen:

Henning Beer: Mini
Peter-Jürgen Boock: Charly
Knut Folkerts: Tender
Ralf Friedrich: Panther
Rolf Heißler: Felix
Monika Helbing: Martina
Sieglinde Hofmann: Caro
Christian Klar: Dago
Werner Lotze: Beamter
Brigitte Mohnhaupt: Nora
Gert Schneider: Hasi
Adelheid Schulz: Iris
Ekkehard v. Seckendorff: Waldi oder Baron
Angelika Speitel: Etna
Willy Peter Stoll: Marlon
Christof Wackernagel: Sepp
Rolf Klemens Wagner: Artur

Die Decknamen der ersten und zweiten RAF-Generation sind nun bekannt, ganz anderes sieht es mit der dritten Generation aus, die von 1984 bis 1991 sechs Top-Manager und Politiker ermordete.

Niemand weiß, wer sie sind; niemand kennt ihre Namen.

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