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Auswärtiges Amt und Bodo Ramelow Streit um den Umgang mit Colonia Dignidad

Deutsche und chilenische Wissenschaftler sollten die Verbrechen der Sekte Colonia Dignidad aufarbeiten. Doch sie wurden kaltgestellt. Thüringens Regierungschef Ramelow beschwert sich darüber schriftlich beim Auswärtigen Amt.
aus DER SPIEGEL 2/2023
Ramelow als Bundesratspräsident im Folterkeller der einstigen Colonia Dignidad

Ramelow als Bundesratspräsident im Folterkeller der einstigen Colonia Dignidad

Foto: Jacob Schröter / Staatskanzlei Thüringen / picture alliance / dpa

Die zähe Aufarbeitung der Verbrechen in der chilenischen Colonia Dignidad sorgt für innerdeutsche Verstimmung. Deutsche und chilenische Wissenschaftler, die auf Beschluss des Bundestags die Errichtung einer Gedenkstätte voranbringen sollen, werden offenbar von ihren Aufgaben entbunden.

Aus: DER SPIEGEL 2/2023

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Einen entsprechenden Wunsch der Chilenen bestätigte das Auswärtige Amt (AA) der Thüringer Staatskanzlei. Jens-Christian Wagner, Stiftungsdirektor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, ist einer der beiden betroffenen deutschen Experten. Er sagt, er habe erst durch Dritte von dem Vorgang erfahren.

»Würdevolle Gedenktafeln«

Das Team um Wagner hatte im März 2021 ein fertiges Konzept für einen Gedenkort und ein Dokumentationszentrum auf dem Gelände der einstigen Colonia vorgelegt. »Es wäre bedauerlich, wenn das nicht weiterverfolgt werden würde«, so Wagner. Laut Auswärtigem Amt sollen zum 50. Jahrestag des Staatsstreichs von General Pinochet im September Teile der Anlage mit »würdevollen Gedenktafeln« versehen werden. Der Rest könne sich Jahre hinziehen. Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke), der kürzlich die Colonia besuchte, hat nun einen Brandbrief an das AA verschickt.

Mit »Unverständnis« und »Bedauern« habe er die Entscheidung aufgenommen, die Wissenschaftler kaltzustellen. Er fordert das Außenamt auf, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken. Zudem beklagt Ramelow, dass seine Reise als Bundesratspräsident nach Chile aus dem AA mit heftigem Widerstand begleitet worden sei. Dem SPIEGEL sagt Ramelow, das Amt habe ihm etwa zunächst gesagt, die Straße in die vom Deutschen Paul Schäfer gegründete Kolonie sei nicht befahrbar, was sich später als Unsinn herausstellte.

Zudem habe ihn die deutsche Botschafterin in Santiago de Chile nicht zu dem Vorort-Termin begleitet. Im November, so steht es in dem Brandbrief, sei Ramelow nach Aussagen von Zeugen in der Kolonie zudem von einem Referatsleiter des AA als »aufgeblasener Pfau« bezeichnet und sein Besuch vor Ort als Selbstdarstellung abqualifiziert worden. In einem früheren Schriftwechsel hatte AA-Staatssekretär Andreas Michaelis noch versichert, es seien keine abfälligen Bemerkungen gefallen.

Sektengründer Schäfer

Sektengründer Schäfer

Foto: LOOKSfilm / LOOKSfilm / WDR / SWR / Arte / picture alliance/ dpa

Die Rolle des Auswärtigen Amtes im Fall Colonia Dignidad ist umstritten. Es gibt Hinweise, dass das Außenamt bereits 1967 über die Vorgänge in der Colonia informiert war, ohne entscheidend einzugreifen. Nach Angaben eines Opferanwaltes wurde ein Minderjähriger, dem die Flucht aus dem Reich Paul Schäfers gelang, aus der deutschen Botschaft wieder in die Kolonie zurückgebracht und weitere 40 Jahre gequält.

Diplomaten haben weggeschaut

Frank-Walter Steinmeier, damals Außenminister, sagte 2016: »Nein, der Umgang mit der Colonia Dignidad ist kein Ruhmesblatt, auch nicht in der Geschichte des Auswärtigen Amtes. Über viele Jahre hinweg, von den sechziger bis in die achtziger Jahre haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut – jedenfalls eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan.« Auch nach Auflösung der Colonia Dignidad, so Steinmeier, habe »das Amt die notwendige Entschlossenheit und Transparenz vermissen lassen, seine Verantwortung zu identifizieren und daraus Lehren zu ziehen«.

Folter und Morde

In der Colonia Dignidad wurden deutsche Siedler und zwangsadoptierte chilenische Kinder ausgebeutet, misshandelt und sexuell missbraucht. Der chilenische Geheimdienst nutzte das Gelände zudem für Folter und Morde an politischen Gegnern. Der deutsche Gründer Schäfer wurde erst 2005 verhaftet und wegen sexuellem Missbrauch von Kindern und Körperverletzung verurteilt. Er starb 2010 mit 88 Jahren in Haft.

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