Wie ein rechtsextremer Rapper, AfD-Politiker und Neonazis in Ostsachsen zusammenfinden
Dieser Beitrag wurde am 31.07.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Die Szenen wirken wie aus einem klassischen Rapvideo: Junge Männer mit trainiertem Bizeps stehen in einer Industrieruine, ein Auto fährt nachts an der Tankstelle vor, Feuer flammt auf. Um zu erkennen, dass es sich um rechten Rap handelt, muss man genauer hinhören. "Ich will nach Walhalla, zu den Helden meiner Kindheitstage", rappt Chris Ares irgendwann, "deutsche Rapper laufen rum wie auf der Streetparade". Hier die echten Deutschen, da der bunte Rest also.
Das im Juni veröffentlichte Video stammt von Chris Ares. Der 1992 geborene Rapper, der eigentlich Christoph Aljoscha Zloch heißt, hat in den vergangenen Jahren so etwas wie den Soundtrack für das neurechte Milieu von "Identitären" und "Junger Alternative" veröffentlicht.
In seinen Songs verbreitet Ares offen Verschwörungstheorien, fordert die "Festung Europa" oder droht, Andersdenkende "mittels Panzerwagen" durch das Land zu jagen. Vom bayerischen Verfassungsschutz wird er als Rechtsextremist eingestuft. Obwohl Ares auf Spotify kaum 30.000 regelmäßige Hörer erreichte, schaffte es im vergangenen Herbst einer seiner Songs kurzzeitig in die Top 10 der Charts. Der gesellschaftliche Rechtsruck, so schien es manchen, hatte endgültig auch den Hip-Hop erreicht.
Von den Charts auf die Straße
Vor wenigen Wochen kündigte Ares den nächsten Schritt an. In Bautzen schloss er zusammen mit einem Partner einen Mietvertrag für einen Laden mitten im Stadtzentrum. Zwischen einem Biomarkt, Restaurants und einem Weingeschäft sollten ein Tattoostudio und ein Fanshop entstehen. Dazu wurden ein Jugendclub und ein Wohnprojekt im Umland angekündigt, eine extrem rechte Gemeinschaft – ja sogar ein Dorf.
Eingefädelt wurde die Anmietung in Bautzen wohl mithilfe eines Mittelsmanns, der über die beiden Männer nichts wusste. Inzwischen gibt es Petitionen gegen das Vorhaben, Bautzens Oberbürgermeister und alle Fraktionen außer der AfD positionierten sich ebenfalls klar.
Der Standort in Ostsachsen ist kein Zufall. Die Region ist nicht weit von Dresden entfernt, die Mieten sind günstig, die AfD inszeniert sich hier als Volkspartei. In zehn Jahren könne sein Projekt Tausende Menschen in die Region gebracht haben, versprach der Rapper vollmundig.
Übertreibungen dieser Art gehören bei Ares fest zum Konzept. Wer sich mit ihm und seinem Label Arcadi beschäftigt, merkt schnell, dass es neben rechtsextremer Ideologie vor allem ums Geldverdienen geht. Doch neben AfD-Politikern mischen dabei inzwischen auch gewaltaffine Neonazis mit. Alle erhoffen sich offenbar ein gutes Geschäft oder zumindest neue Kontakte.
Die Strukturen um Chris Ares sind undurchsichtig. Wer die Adresse seines Labels Arcadi besucht, landet vor einem Briefkasten in der Dresdner Innenstadt. Von dort aus kommt man nicht weiter, es gibt kein Büro. Sucht man den Namen der Frau, die laut Handelsregister Geschäftsführerin der "Arcadi Media UG" ist, landet man 400 Kilometer entfernt von Sachsen bei einer 37-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen.
Am Telefon streitet sie Verbindungen in die rechte Szene ab. Sie sei noch nie in Bautzen gewesen, Chris Ares habe sie nicht getroffen, sagt die Frau. Sie spricht von einem Gefallen, einer Anfrage im Freundeskreis mit einem jungen AfD-Politiker. Und einem Fehler. Das Geld, das man ihr für ihre Tätigkeit als Strohfrau angeboten habe, werde sie nicht annehmen. Auch Chris Ares wird später am Telefon versichern, "noch nie" von der Geschäftsführerin seines eigenen Labels gehört zu haben.
Die Strohfrau und die AfD-Männer
Der junge AfD-Politiker, der wohl tatsächlich die Geschäfte von Arcadi prägt, ist Yannick Noé. Der 24-Jährige gründete Arcadi ursprünglich mit Parteifreunden als Magazin. Offiziell tritt er nur als "leitender Redakteur" auf, ansonsten arbeitet er vor allem an seiner Parteikarriere. Noé ist seit längerem AfD-Kreisvorsitzender in Leverkusen, parallel war er zuletzt als persönlicher Referent des AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Keith tätig. Vor wenigen Wochen wurde in seiner Heimatstadt auf die AfD-Liste zur Kommunalwahl gewählt.
Die im Dezember 2019 gegründete "Arcadi Media UG" sollte möglicherweise dabei helfen, das nach rechts expandierende Geschäft von Arcadi von der politischen Karriere Noés zu trennen. Tatsächlich kommt sein Name in der Anmeldung des Unternehmens nicht ein einziges Mal vor. Offiziell gibt es nur die Geschäftsführerin aus NRW – die versichert, keine Kollegen zu haben. Das scheint jedoch zweifelhaft: Erst vor wenigen Tagen dankte Chris Ares seinem Manager "Y.", für die Verwaltung des Arcadi-Shops gibt es aktuell nur einen einzigen namentlichen Zugang, der zuletzt in dieser Woche aktiv war. Sein Name: "ynoe".
Das Label ist wohl nicht der einzige Punkt, an dem Noé undurchsichtig mit Arcadi verbandelt ist. Obwohl der ursprüngliche Trägerverein seit Längerem nicht mehr im Impressum der Arcadi-Seite steht und nach Angaben von Beteiligten inzwischen sogar in Auflösung sein soll, kann auf der Online-Seite weiterhin für ihn gespendet werden. Das Geld geht dann an den alten Verein, der in Noés Haus gegründet wurde und eigentlich keine Rolle mehr spielt. Auch hierzu wollte sich der 24-jährige AfD-Politiker nicht äußern.
Kein rechter Erfolg ohne Spotify und Amazon
Für Christoph Zloch alias Chris Ares ist der Arcadi-Webshop inzwischen beinahe die letzte Plattform, die seine Musik vertreibt. Spotify, Amazon, Google und Apple haben sie wegen der rechten Inhalte in den vergangenen Wochen fast vollständig entfernt. Auf YouTube wurde Ares kurz nach Veröffentlichung des Videos im Juni mehrwöchig gesperrt. Er ist deshalb mittlerweile davon abhängig, seine Musik direkt als CD vertreiben zu können – ähnlich wie in der klassischen neonazistischen Szene.
Zumindest bislang scheint die Zusammenarbeit mit Arcadi für beide Seiten lukrativ gewesen zu sein. Nach bento-Informationen soll das neue Unternehmen seit Ende vergangenen Jahres einen höheren fünfstelligen Umsatz erzielt haben. Chris Ares sei das "Zugpferd", sagt ein unmittelbar Beteiligter. Auch für den Rapper dürfte es sich gelohnt haben: Für sein erstes Album, das im Juni erschien, habe er zwei Vorschusszahlungen im vierstelligen Bereich erhalten, heißt es. Überprüfen lassen sich die Zahlen nicht.
Yannick Noé ist nicht der einzige AfD-Vertreter, der mit Chris Ares Geld verdient. Auch ein süddeutscher Lokalpolitiker wirbt mit ihm. Mit der Modemarke "Peripetie" vertreiben der 36-Jährige und ein Partner Kleidung und seit Kurzem auch Mund-Nase-Bedeckungen. Erkennungsmerkmal der Marke ist ein meist unscheinbarer, kleiner Phoenix.
Die Firma wirbt intensiv im Umfeld der Jungen Alternativen, der Identitären und des aufgelösten AfD-"Flügels". Ein Bild auf der Internetseite zeigt Björn Höcke im Peripetie-Poloshirt, auch Ares wirbt dafür. Die Verbindung zwischen ihm und der Marke wirkt gefestigt: Keine zwei Stunden nach einer Anfrage an das Modelabel meldet sich der Rapper telefonisch bei bento, um sich zu erklären. Die Pläne von Peripetie scheinen ambitioniert: Laut Handelsregister startete die Firma im vergangenen Jahr mit einem Kapital von 27.000 Euro. Ob sich die Erwartungen an Chris Ares ohne Spotify und Co. noch bezahlt machen, scheint allerdings fraglich.
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Auch bei Arcadi wirkt die Situation kompliziert. Nach der Auslistung auf Amazon bietet der Onlineshop mittlerweile CD-Boxen an, die dort ursprünglich für 49 Euro verkauft werden sollten. Nach Angaben der Frau, die derzeit offiziell das Label führt, soll es bald einen Wechsel in der Geschäftsführung geben. Sie wolle nach den Berichten über ihre Person nicht länger mit Arcadi zu tun haben, sagt die 37-Jährige. Yannick Noé, so heißt es in seinem Umfeld, habe noch nicht entschieden, ob er offiziell auf eine Parteikarriere in der AfD oder das unsicher gewordene Geschäft mit teils rechtsextremer Musik setzen wolle.
Ares raunt von Drohungen gegen den Vermieter – dabei ist der seit Tagen im Urlaub
Inzwischen scheinen die Beteiligten nach Wegen zu suchen, auch die Projekte um Bautzen gesichtswahrend abwickeln zu können. Am Montag erklärte Ares überraschend, der Vermieter habe ihm gekündigt. Es habe "Todesdrohungen gegen die Kinder" gegeben und "Anschläge". Medien und Parteien hätten das Projekt zusätzlich sabotiert. Auch staatliche Institutionen seien "mit widerlichen Mitteln" beteiligt gewesen. Aus Verständnis werde er die Kündigung jedoch akzeptieren, so Ares.
Tatsächlich sind bislang weder Todesdrohungen noch Anschläge gegen den Vermieter und seine Firma bekannt. Nach bento-Informationen ist der Mann seit über einer Woche mit seiner Familie im Urlaub. Auch die Stadt, die sich früh in den Fall einschaltete, kann eine Kündigung nicht bestätigen – jedenfalls nicht vonseiten des Vermieters. Wohl auch deshalb wurden die ursprüngliche Nachricht schnell wieder gelöscht.
Der tatsächliche Stand von Ares' Vorhaben ist unklar. Für ein angebliches Jugendzentrum bei Bischofswerda wurden bis heute keinerlei Pläne vorgelegt. Die vermeintliche Siedlung dürfte nach bisherigen Recherchen höchstens aus einzelnen Mietwohnungen bestehen. Für die Gruppe um Ares scheint inzwischen ohnehin fraglich, ob sich ein Umzug nach Ostsachsen noch lohnt.
Personen, die Ares im Gespräch mit bento am Telefon als Partner erwähnt, bestätigen auf Nachfrage die Idee, verneinen aber konkrete Umzugspläne. Aus Bautzen heißt es, das bei der Anmietung angegebene Einkommen von Ares und seinem Geschäftspartner habe eher unter dem Schnitt der Region gelegen. Kurz: Den Rechten fehlt womöglich das Geld für ihre angekündigten Vorhaben.
Ares' regelmäßiger Rap-Partner, der bereits seine Unterstützung angekündigt und Bautzen mit ihm besucht hatte, sprach kürzlich öffentlich von Problemen. Auch der 22-jährige André L., der erst vor wenigen Monaten als neuer Arcadi-Rapper "Primus" vorgestellt wurde, hat bislang nicht erklärt, ob er trotz der Probleme noch von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen ziehen wird.
Vertreter der AfD halten dagegen weiter zu Ares. In Sachsen-Anhalt lud ihn ein Kreisverband nach Protesten gleich zum Umzug ein. Zwei junge AfD-Stadträte aus dem Kreis Bautzen machen aus ihrer Verbundenheit zu Ares schon seit längerer Zeit kein Geheimnis. Beide Männer waren früher selbst bei den Identitären aktiv. Der eine zeigte sich bereits im Mai öffentlich auf einer Corona-Demonstration mit Ares. Der andere demonstriert seit Wochen im Netz ein freundschaftlich wirkendes Verhältnis zum Rapper und seinen Begleitern.
Neue Geschäfte mit alten Rechten
Ohnehin scheint die Vernetzung der rechten Rapper in der Region weit fortgeschritten. Inzwischen verkauft Ares’ Label auch die Musik des Cottbuser Hooligan-Rappers Maik S., bekannt als "Bloody 32". Wie Ares steht auch er im Verfassungsschutz-Bericht seines Bundeslandes. Im vergangenen Jahr traten beide erstmals zusammen mit weiteren Mitstreitern auf. Weil die sächsischen Behörden ein landesweites Auftrittsverbot erließen, musste das Konzert kurzfristig in die Räume eines Fast-Food-Lokals in Brandenburg verlegt werden.
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Im benachbarten Bundesland zeigt sich die Zusammenarbeit von neurechten Rappern, AfD und neonazistischer Szene inzwischen besonders deutlich. Das in Cottbus ansässige Label von Bloody32 vertreibt auch die Band "Wutbürger", die sich laut Verfassungsschutz offen zum Nationalsozialismus bekennt. Nichtsdestotrotz saß ihr Sänger bis Februar für die AfD in einem Kommunalparlament. Gesellschafter des Labels ist Martin Seidel, Betreiber eines Rechtsrock-Labels, einer Bekleidungsmarke und eines Szene-Geschäfts in Cottbus.
Aus seiner Einstellung macht Seidel keinen Hehl: In seinem Shop finden sich Bücher mit Erinnerungen von SS-Angehörigen und Merchandise zu bekannten Neonazi-Bands wie "Skrewdriver". Der Vertrieb von Rap über das andere Label soll nun offenbar neue und jüngere Zielgruppen ansprechen.
Erst Distanzierungen, dann Gutscheine
Seidel ist jedoch nicht der einzige Neonazi, der Interesse an der neurechten Rapszene entdeckt hat. Bei einem Besuch in Bautzen zeigte sich Chris Ares kürzlich an einem Badesee mit Markus B. Dass ein Bild davon erst mit und dann ohne B. hochgeladen und schließlich ganz gelöscht wurde, dürfte gute Gründe haben: Auch Markus B. hat eine einschlägige Vita in der extremen und teils gewaltbereiten Rechten.
Privates Bildmaterial, das bento vorliegt, zeigt B. mit einem T-Shirt der "28 Crew" – einer Gruppe, die dem 2000 in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour" nahesteht, aus dem heraus auch der NSU unterstützt wurde. Inzwischen vertreibt Markus B. unter der Marke "Isegrim" ebenfalls Kleidung in der rechten Szene. Auch hier gibt es enge Szene-Beziehungen, mehrere Models sind selbst Neonazis, mindestens eines trägt "Blood and Honour" sogar direkt als Tattoo am Körper.
Im Telefongespräch mit bento behauptet Ares, Markus B. nicht gekannt zu haben. Es komme leider immer wieder vor, dass er von Fans bedrängt werde, die sich später als Extremisten herausstellten. Allerdings hätten er und seine Partner in solchen Fällen bislang immer umgehend reagiert. Auch im Fall von B. sei es so gewesen.
Tatsächlich scheint diese Erklärung fragwürdig. Nur wenigen Tage nach dem Gespräch posten Freunde und Geschäftspartner von Ares auf ihren Instagram-Profilen mehrere Screenshots. In Nachrichten bedanken sich Ares-Fans dafür, Gutscheine bekommen zu haben. Bilder zeigen, was sie damit gekauft hatten: Kleidung von "Isegrim", der Marke von Neonazi Markus B.