Nikolaus Blome

Hau den Lindner Die FDP zu verachten ist leicht, aber dumm

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
In der Mitte der Gesellschaft ist es sinnstiftend geworden, die Liberalen zu verlachen oder gar zu verhetzen. Man ahnt, wie es ausgehen wird.
FDP-Minister Wissing, Lindner, Stark-Watzinger, Buschmann

FDP-Minister Wissing, Lindner, Stark-Watzinger, Buschmann

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Annegret Hilse / REUTERS

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In letzter Zeit wurde mir in den Kommentaren zu meinen Kolumnen hier vorgehalten, ich beschäftigte mich immerfort nur mit Grünen und Linken. Das stimmt zwar nicht, aber ich habe es mir zu Herzen genommen. Darum möchte ich heute der FDP gerecht werden und sagen: Das fortgesetzte Liberalen-Bashing ist lachhaft, geradezu verklemmt und von frivoler Substanzlosigkeit.

Es gilt, was seit jeher auf dem Schulhof galt: Alle schlagen auf die Kleinsten ein, und das sind in der bundesdeutschen Politik oft genug die Freien Demokraten. Wenn sie am Ende ein weiteres Mal aus dem Bundestag fliegen, dann, weil Fiktion und Framing stärker wurden als die Fakten, es ist ein wahrhaft exemplarischer Fall. Über die destruktive Fremdbestimmung der FDP durch abgeneigte Kräfte und das emotionslose Beiwohnen der meisten Mainstream-Milieus werden Doktorarbeiten geschrieben werden. Hinterher.

Ähnlich nachhaltig und erfolgreich im Framing war da meines Erinnerns nur der Paritätische Wohlfahrtsverband, der eine amtliche Statistik von »Armutsgefährdung« in eine weithin akzeptierte von »Armut« umbenannt hat – in etwa so, als seien Skifahren und Beinbruch dasselbe. Außerdem gelang eine politisch äußerst wirkmächtige Dauerverknüpfung, weshalb man das Wort »Rentner« kaum mehr aussprechen kann, ohne dass geschätzt drei Viertel der Zuhörer das Wort »arm« assoziierend mithören.

Auch das ist ein spektakulärer Erfolg der Sozialstaatslobby, denn in Wahrheit beziehen seit Jahren stabil nur gut drei Prozent der inzwischen mehr als 21 Millionen Rentner und Rentnerinnen staatliche Grundsicherung, also eine Art Hartz IV gegen Armut im Alter. Aber das ist der Lobby schnurzegal. Wer nicht arm ist, wird arm gerechnet. Vergleichbares widerfährt der FDP.

Ganz gleich, welchen Anteil die Liberalen selbst daran haben: Wie in Zeitlupe zu betrachten ist einerseits die Noelle-Neumannsche Schweigespirale, in der eine politische Position verschwindet. Nicht weil sie faktisch falsch ist, sondern weil sie bei der Mehrheit als moralisch falsch gilt und deshalb von der Minderheit immer seltener vertreten wird.

Untermalt wird das mit einer permanenten ad hominem Rollenzuschreibung des FDP-Spitzenpersonals: Christian Lindner ist der alternde Porsche-Yuppie, Volker Wissing der überforderte Volltrottel, Marco Buschmann der besser wissende Streber. Die Bildungsministerin kennt zu ihrem Glück kaum jemand, aber mit den drei Herren geht das jeden Tag so, dutzendfach, seien wir ehrlich.

Man nimmt es unterschwellig zur Kenntnis, es sickert ein, und es wirkt. Politik sei »Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung«, sagte die ehemalige Bundeskanzlerin gern. Politischer Vernichtungskampf ist es auch.

In der »Sache« ist der FDP-Finanzminister derzeit der neoliberale Sozialtotschläger. Dabei findet er nur, dass die anderen Bundesministerien nicht mal eben 70 Milliarden Euro mehr an Ausgaben für den Etat 2024 anmelden sollten, als machbar und vereinbart ist. Er moniert zu Recht eine denkfaule Missachtung der Haushaltsführung und des Steuerzahlers.

Für die Kindergrundsicherung zum Beispiel ist offenbar ein zweistelliger Milliardenbedarf angemeldet worden, ohne ihn mit der jüngst erfolgten Erhöhung des Kindergelds zu verrechnen. Soll doch die FDP der Spielverderber sein. Ist es unsozial, darauf hinzuweisen, oder ist im Himmel gerade Jahrmarkt?

Die Liberalen werden zusehends das Opfer einer kombinierten Schweige-Schimpf-Spirale.

Der FDP-Verkehrsminister ist in der »Sache« ein Klimaschutzverräter, der das Ansehen Deutschlands in Europa auf dem Gewissen hat und demnächst den kompletten Planeten. Dabei stellt die FDP das Verbrenner-Aus für 2035 keineswegs grundsätzlich infrage. Es wird kommen, so oder so. Die Liberalen hätten es allerdings gern so, wie es im Koalitionsvertrag steht: mit einer Ausnahme für potenziell klimaneutrale E-Fuels. Das ist ihnen als erklärten Fortschritts- und Innovationsfreunden wichtig, das haben SPD und Grünen akzeptiert, und das hätte die EU-Kommission längst ausformulieren sollen.

Der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament kann die FDP trotzdem unwidersprochen in einen Sack stecken mit den italienischen »Faschisten wie Salvini und Meloni«. Heißt unterm Strich: Wer die Grünen auf ihre eigene Unterschrift auf dem Koalitionsvertrag hinweist, muss ein Nazi sein. Die liberale Partei ist bei der Allgemeinheit offenbar dermaßen unten durch, dass ein Spitzen-Grüner selbst mit so etwas davonkommt.

Dass die politische Konkurrenz zulangt, wie sie nur kann – man mag es verstehen, auch wenn es mir in einer gemeinsamen Koalitionsregierung recht kurzsichtig vorkommt. Das eigentlich Verstörende ist jedoch, wie sehr sinnstiftend es im Mainstream, in der Mitte der Gesellschaft, inzwischen geworden ist, die FDP zu verlachen, zu verachten oder gar zu verhetzen.

Wann immer sich eine wohlgemerkt bürgerliche Tischgesellschaft über Corona, den Krieg oder den Klimaschutz in gegenseitigem Streit zerlegt, glättet eine herablassende Bemerkung zur FDP verlässlich die Wogen und heilt alle Wunden. Auch wenn die Partei vom neoliberalen Poltergeist so weit weg ist wie Bibi und Tina von Lord Voldemort, den man nicht beim Namen nennen darf: Die Liberalen sind gefangen in einer sich selbst erfüllenden Schweige-Schimpf-Spirale. Next Exit: Exitus.

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