Ex-Sprecher Lüth
Jobsuche zwischen den AfD-Fronten
Die Affäre um den entlassenen Ex-Fraktionssprecher Lüth befeuert den AfD-Machtkampf. Parteichef Meuthen tut so, als habe er mit dem Fall nichts zu tun - seine Gegner sehen das anders.
Damaliger Parteipressesprecher Christian Lüth (M.) und AfD-Politiker Alexander Gauland (l.) und Jörg Meuthen (r.) in der Bundespressekonferenz (Frühjahr 2018)
Foto: Stefan Boness/Ipon / imago images/IPON
Christian Lüths offizielle Tätigkeit für die AfD ist Geschichte. Fristlos wurde der frühere Pressesprecher der Bundestagsfraktion kürzlich entlassen. Der Grund: In heimlich aufgezeichneten TV-Aufnahmen des Senders ProSieben hatte er über die "Vergasung" und "Erschießung" von Migranten fabuliert. Sätze, die der 43-Jährige anschließend in einer Stellungnahme als "nicht entschuldbar" bezeichnete.
Lüth, Vater von vier Kindern, muss sich nun um neue berufliche Perspektiven kümmern. Das dürfte nicht einfach sein, sein Name ging durch die Medien, machte sogar in internationalen Sendern wie CNN Schlagzeilen. Wer bei der AfD beschäftigt war, hat es ohnehin auf dem freien Berufsmarkt schwer.
Christian Lüth ist tief gefallen. Einst in der FDP war er 2013 zur AfD gestoßen, arbeitete bis 2018 auch als Parteisprecher und war über viele Jahre enger Mitarbeiter des heutigen Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland.
Ausgestanden ist die Angelegenheit für die AfD mit der Entlassung nicht, selbst wenn man nun mit großem Eifer zu betonen versucht, von nichts eine Ahnung gehabt zu haben.
Erst diese Woche teilte die Fraktion mit Blick auf Lüths menschenverachtende Äußerungen mit, der Vorstand habe zu "keiner Zeit" über Informationen verfügt, die "über den Charakter von unbestimmten Gerüchten, widersprüchlichen Aussagen und unbelegten Vorwürfen" hinausgegangen seien und "die ein früheres Handeln gerechtfertigt hätten".
Wusste Lüth zu viel?
Dabei hatte Lüth zuletzt auch Ärger mit der Justiz. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegt nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" eine Strafanzeige vor, es soll dabei um nicht näher definierte Gewalt gegen eine Frau gehen. Lüth sagt, die Anzeige sei der "Rachefeldzug" einer Frau, die sich "der AfD und mir angedient" habe und enttäuscht worden sei.
Es ist aber noch nicht alles: Nach SPIEGEL-Informationen stand Lüth kurz vor seiner Entlassung wegen Körperverletzung vor Gericht. Lüth war mit einer Radfahrerin aneinandergeraten, gegen eine Geldauflage wurde das Verfahren vorläufig eingestellt. Auch wegen einer mutmaßlichen Trunkenheitsfahrt wird gegen den Ex-Sprecher ermittelt (die Details lesen Sie hier).
Der Fall Lüth spielt auch im Machtkampf zwischen den Anhängern von Co-Parteichef Jörg Meuthen und seinen Gegnern eine Rolle. In der Partei kursieren Gerüchte, Meuthen, Mitglied im Europaparlament in Brüssel, habe Lüth - wie andere in der AfD-Führung auch - beruflich nicht ins Nichts fallen lassen wollen.
Bis zur fristlosen Entlassung Lüths hatte es in der Fraktionsführung Bemühungen gegeben, ihn im Mitarbeiterstab zu halten. Bevor er endgültig gehen musste, hatte AfD-Fraktionschef Gauland ihn im April bereits von seinem Posten als Pressesprecher freigestellt, nachdem Chatverläufe Lüths mit einer jungen Frau aufgetaucht waren, in denen er sich unter anderem als "Faschist" bezeichnet hatte.
Tatsächlich wurde unter anderem erwogen, Lüth als "Medienkoordinator" der AfD-Bundestagsfraktion weiter zu beschäftigen - was letztlich nicht realisiert wurde, auch weil ein Vorstandsbeschluss der Fraktion fehlte. Mitte September hatte die Fraktion schließlich ohne nähere Angaben mitgeteilt, Lüth werde "innerhalb der Fraktion eine andere Aufgabe übernehmen".
Doch es gab, so Recherchen des SPIEGEL, noch eine weitere Variante - ein Job in Brüssel. Demnach war Lüth dort als Vertreter im "Kontaktbüro Brüssel" der AfD-Bundestagsfraktion vorgesehen. Eine Stelle, die von der Bundestagsfraktion in Berlin bezahlt wird und bislang nicht besetzt ist, wie ein Sprecher bestätigte.
Das Geraune um den Standort Brüssel wollen die Meuthen-Gegner nun nutzen, um den Co-Parteichef in der Affäre nicht gänzlich ungeschoren entkommen zu lassen. Für Verärgerung sorgte dort jüngst ein Auftritt im ZDF, bei dem er begründete, warum er nicht für den Bundestag kandidiert: Es gebe ihm "eine Unabhängigkeit", die es ihm in Brüssel leichter mache, die Parteigeschicke fokussierter anzugehen, "als wenn ich in der Bundestagsfraktion sitze, die in der Causa Lüth zum Beispiel derzeit ein Problem hat".
Der letzte Satz stieß den Meuthen-Gegnern übel auf. Sie verstanden ihn als Distanzierung: von den Berliner Problemen, mit denen die Fraktionschefs Alice Weidel und Gauland, aber auch Co-Parteichef Tino Chrupalla im Fall Lüth zu tun hatten. "Meuthen macht sich jetzt einen schlanken Fuß", sagt ein Beteiligter in der Fraktionsspitze zum SPIEGEL. Meuthen habe sich "zumindest nicht gewehrt, als es um die Frage ging, ob Lüth die Stelle im Kontaktbüro Brüssel erhalten könnte", so der Vorwurf.
Meuthen wehrt sich gegen Gerüchte
Fakt ist: Während Lüths Freistellung als Fraktionspressesprecher hatte sich Meuthen im Sommer mit diesem in einem italienischen Restaurant in Berlin getroffen, was sowohl Meuthen als auch Lüth selbst bestätigten. Lüth sagt, um das Kontaktbüro Brüssel sei es bei der abendlichen Zusammenkunft seiner Erinnerung nach nicht gegangen, zu diesem Zeitpunkt seien solche Überlegungen "zu früh" gewesen.
Meuthen weiß, dass im Fall Lüth in Partei und Fraktion ein Schwarzer-Peter-Spiel begonnen hat, das auch auf ihn zielt. "Ich habe den Vorschlag, Herrn Lüth ins Kontaktbüro der Fraktion nach Brüssel zu entsenden, weder aktiv unterstützt noch passiv gutgeheißen, sondern klar gesagt, dass ich das für falsch hielte", betonte er gegenüber dem SPIEGEL. "Wer anderes behauptet, sagt nicht die Wahrheit."
Klar ist aber, und das bestätigen viele Gesprächspartner dem SPIEGEL: Das "Kontaktbüro Brüssel" war eine Variante in Überlegungen der Fraktionsspitze, Lüth zu halten. Das räumt auch Lüth ein, inklusive der intern kursierenden Darstellung, er habe den Posten nicht antreten wollen - wegen seiner Familie in Berlin und der mit Brüssel verbundenen Reisetätigkeit.
Am Ende wurde die komplexe Jobsuche für Lüth spätestens durch die Veröffentlichung der heimlich mitgeschnittenen TV-Aufnahme nicht mehr weiter verfolgt. Zumindest dieses Kapitel ist beendet. Der Machtkampf ist es noch lange nicht.
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Damaliger Parteipressesprecher Christian Lüth (M.) und AfD-Politiker Alexander Gauland (l.) und Jörg Meuthen (r.) in der Bundespressekonferenz (Frühjahr 2018)