Reaktionen auf BND-Urteil "Das kann man hinbekommen"

Justizministerin Lambrecht ist zuversichtlich, dass das BND-Gesetz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden kann. CDU-Politiker Röttgen sorgt sich um die Arbeitsfähigkeit des Geheimdienstes.
Christine Lambrecht: "Überwachungszwecke klarer bestimmen und Kontrollmöglichkeiten verbessern"

Christine Lambrecht: "Überwachungszwecke klarer bestimmen und Kontrollmöglichkeiten verbessern"

Foto:

Christian Spicker/ imago images/Christian Spicker

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat die Frage aufgeworfen, ob der Geheimdienst unter den neuen Bedingungen noch arbeitsfähig ist. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist davon überzeugt, dass der BND weiter arbeiten kann - und sieht die Politik durch das Urteil vor eine lösbare Aufgabe gestellt.

"Das kann man hinbekommen", sagte sie der "Passauer Neuen Presse". "Man muss aber insbesondere die Überwachungszwecke klarer bestimmen und die Kontrollmöglichkeiten verbessern." Bei der Neuregelung des BND-Gesetzes werde sehr genau darauf geachtet, dass die vom Bundesverfassungsgericht angeführten Grundrechte eingehalten würden.

Die Karlsruher Richter hatten die Regelungen im BND-Gesetz zur Überwachung der Kommunikation von Ausländern im Ausland gekippt, weil sie gegen das Telekommunikationsgeheimnis und die Pressefreiheit verstoßen. Bis Ende 2021 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen.

Konkret geht es um die Vorschriften für die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland. Dabei durchforstet der BND ohne bestimmten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen. Laut dem Urteil muss der Gesetzgeber die BND-Befugnisse viel genauer regeln und begrenzen. Das betrifft eine Vielzahl an Einzelpunkten: Zum Beispiel muss die vertrauliche Kommunikation bestimmter Berufsgruppen wie Anwälte und Journalisten besonders geschützt werden. Sehr private und intime Inhalte sind unverzüglich zu löschen, wenn sie BND-Mitarbeitern ins Netz gehen.

"Das Bundesverfassungsgericht hat explizit erklärt, dass dieses Instrument bei verhältnismäßiger Ausgestaltung mit den Grundrechten vereinbar ist", sagte Lambrecht.

Röttgen warnt vor "Neuland": ungewisse Arbeitsbedingungen für den BND

Deutlich kritischer äußerte sich der CDU-Vorsitzkandidat Norbert Röttgen. "Mit der Entscheidung, die Geltung deutscher Grundrechte auch im Ausland anzunehmen und den BND bei seiner strategischen Auslandsaufklärung daran zu binden, wird Neuland betreten", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ob und wie der BND unter diesen Bedingungen noch arbeiten könne, sei "ungewiss". Im Ausland gingen durch staatliche und nicht-staatliche Akteure "immer komplexere Gefahren für unsere Sicherheit" aus, sagte Röttgen.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte dem "Handelsblatt", für ihre Partei stehe jetzt im Mittelpunkt, "zu prüfen, welche Befugnisse der BND unter diesen geänderten Bedingungen wirklich benötigt und welche nicht rechtskonform durchführbar sind und damit abgestellt werden müssen". Das Karlsruher Urteil habe gezeigt, "dass die teils abwegigen Theorien, mit denen der BND manche Tätigkeiten rechtfertigen wollte, einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten".

Die SPD wolle einen BND, "der bei seiner Arbeit die Grundrechte schützt und achtet und im Zweifel nicht für Informationsgewinnung, sondern zugunsten der Grundrechte entscheidet", sagte die Parteivorsitzende weiter. Dabei müssten die Schutzrechte besonders verletzlicher Gruppen besondere Berücksichtigung finden.

Esken plädierte zugleich für die Einrichtung einer "intensiven, unabhängigen parlamentarischen Kontrolle der geheimdienstlichen Praxis, über deren konkrete Ausgestaltung wir mit möglichst allen demokratischen Parteien im Bundestag eine Einigung herbeiführen sollten".

Der Unionsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU), Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, sprach sich dafür aus, die Stelle eines Nachrichtendienstbeauftragten des Bundestags einzurichten. "Er wäre Teil der Exekutiven und könnte nicht nur BND-eigene Dokumente einsehen, sondern auch die Daten, die ausländische Nachrichtendienste zuliefern", sagte Sensburg dem "Handelsblatt".

Für einen solchen Beauftragten hatte sich zuvor auch Vertreter der FDP ausgesprochen. Der innenpolitische Sprecher der Liberalen, Konstantin Kuhle, sagte dazu der "Rheinischen Post", das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, "dass wir eine effektivere parlamentarische Kontrolle unserer Nachrichtendienste brauchen". Angelehnt an den Wehrbeauftragten soll der nach Kuhles Vorstellung dem Bericht zufolge Informationen über die nachrichtendienstliche Tätigkeit einholen und die Abgeordneten in Berichten darüber informieren. Zudem fordert Kuhle, das Parlamentarische Kontrollgremium zu stärken.

Der Londoner Terrorismusexperte Peter Neumann sprach mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von einer "unnötigen Schwächung des BND". Es gebe etwa in Kriegsgebieten "eine absurd hohe Hürde", um Grundrechte auch für Ausländer im Ausland gelten zu lassen. "Ich weiß nicht, wie man das umsetzen soll", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der deutsche Auslandsgeheimdienst werde so noch abhängiger von Partnerdiensten in den USA und Großbritannien.

mes/AFP/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten