Social-Media-Hype »Für Politiker ist ein Auftritt bei Clubhouse extrem dünnes Eis«

Die neue Social-Media-App Clubhouse: »Blase in der Blase«
Foto:Political-Moments / imago images
SPIEGEL: Herr Hügelmann, spätestens seit der Aufregung um die Äußerungen von Bodo Ramelow ist Clubhouse auch denen bekannt, die die App bisher nicht nutzen. Haben Sie die Auftritte des Thüringer Ministerpräsidenten live verfolgt?
Hügelmann: Ich habe am Freitagabend schon durch meinen Twitter-Feed geistern sehen, dass da bei Clubhouse etwas los ist. Von Samstag an habe ich dann live zugehört und die entsprechenden Diskussionen mit Bodo Ramelow verfolgt.
SPIEGEL: Wie haben sie seine Auftritte erlebt?
Hügelmann: Wenn im Kampf gegen die Corona-Pandemie auch nur der Eindruck entstehen kann, dass ein Politiker diesen Kampf nicht richtig ernst nimmt, sondern sich mitten in der wichtigsten Entscheidungsrunde mit Handyspielen ablenkt und hinterher auch noch über die Kanzlerin witzelt, dann sendet das ein fatales Signal. Jeder redet mal flapsig daher, aber Ramelow ist ein Profi, das darf ihm in diesem Forum nicht passieren. Daher hat mich auch sehr überrascht, mit welch unglaublicher Naivität Bodo Ramelow diese Diskussion zunächst fortgeführt hat.
SPIEGEL: Erst am Sonntag hat er sich entschuldigt.
Hügelmann: Ihm ist offensichtlich erst sehr spät bewusst geworden, dass er sich bei Clubhouse in einem komplett öffentlichen Forum befindet – das zu einem großen Teil auch noch aus Multiplikatoren besteht. Ramelow hätte seinen Fehltritt früher erkennen und einräumen müssen. So wirkte er beleidigt und unsouverän.
SPIEGEL: Wie kann das einem medienerfahrenen Ministerpräsidenten passieren?
Hügelmann: Aus Kommunikationssicht erleben wir hier gerade Learning by Doing. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis so etwas wie am Wochenende passiert. Clubhouse ist ein neues Medium, welches einen sehr niedrigschwelligen Austausch zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und der Wahlbevölkerung ermöglicht. Das hat einen enormen Reiz und erklärt, warum diese App in den letzten Wochen wie ein Wirbelsturm durch die entsprechenden Szenen durchgezogen ist. Ob Politik, Medien, Kultur, Journalismus, Wissenschaft – die klassischen Meinungsführerinnen und Meinungsführer sind eigentlich fast geschlossen in der letzten Woche bei Clubhouse aufgelaufen.
SPIEGEL: Bei Clubhouse können Menschen mit Spitzenpolitikern direkt in Kontakt treten. Ist das nicht ein Gewinn für die Demokratie?
Hügelmann: Man muss das auf zwei Ebenen betrachten. Ich war jüngst in einem Raum, in dem die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit einer Nachwuchspolitikerin datenschutzrechtliche Probleme in der Clubhouse-App diskutierte. Ich hätte dort virtuell die Hand heben, mich in die Gesprächsrunde einklinken und mitdiskutieren können. Das ist eine wahnsinnig tolle Geschichte, da ich als Bürger ohne großen Aufwand aktiv an einem politischen Entscheidungsprozess teilnehmen kann.
SPIEGEL: Und die andere Ebene?
Hügelmann: Schauen wir uns an, wer bei Clubhouse derzeit dabei ist. Diese Gruppe ist weder repräsentativ noch divers, sondern, zumindest was den soziökonomischen Hintergrund betrifft, extrem homogen. Hier tummeln sich viele Politiker und Journalisten – und da sehe ich ein gewisses Konfliktpotenzial.
SPIEGEL: Nämlich?
Hügelmann: Man muss sich bewusst machen, wie Clubhouse auf Menschen wirkt, die nicht zu dieser Gruppe gehören, die Schwierigkeiten haben, sich im Mediensystem wiederzufinden oder in den vergangenen Jahren das Vertrauen in Medien und das politische System verloren haben. Wenn der Eindruck entsteht, dass sich Politiker und Journalisten an einem Freitagabend darüber austauschen, wie während der Ministerpräsidentenkonferenz »Candy Crush« gespielt wird, ist das ein Problem. Es leistet dem völlig haltlosen Vorwurf Vorschub, dass Politik und Medien unter einer Decke steckten.
SPIEGEL: Immerhin wurde Ramelows »Candy Crush«-Episode so öffentlich – nicht nur für Clubhouse-Mitglieder.
Hügelmann: Das stimmt, und es ist aus meiner Sicht auch richtig, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Eindrücke aus Clubhouse in ihrer Berichterstattung berücksichtigen. Gleichzeitig würde ich die »Candy Crush«-Episode nicht größer machen, als sie ist. Es gilt eben auch bei Clubhouse: Wer nicht will, dass etwas öffentlich wird, soll dies nicht öffentlich äußern.
SPIEGEL: Die homogene Gruppenstruktur rührt auch daher, dass jeder Nutzer nur zwei weitere einladen kann. Birgt die pseudoelitäre Selbstvermarktung die Gefahr, dass Menschen sich ausgeschlossen fühlen?
Hügelmann: Ja. Es ist ja interessant, welche Politiker bei Clubhouse vertreten sind. Die Union war sehr früh dort, die SPD ist sehr präsent, die FDP und die Linkspartei sind ebenfalls vertreten. Wer fast gar nicht auftritt, zumindest vonseiten des politischen Spitzenpersonals, ist die AfD.
SPIEGEL: Wie ist das zu erklären?
Hügelmann: Eine These: Aus AfD-Sicht diskutieren hier die Systemparteien mit der Systempresse. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Alles, was die AfD jetzt tun muss, ist zu sagen: Schaut her, wir haben es schon immer gesagt, dass die gemeinsame Sache machen. Ich weiß nicht, ob das wirklich der strategische Hintergrund für die Abwesenheit des AfD-Spitzenpersonals ist – aber es könnte etwas damit zu tun haben.
SPIEGEL: Viele Politiker sind bei Twitter, bei Instagram hat es vergleichsweise lange gedauert, bis sie aktiv wurden. Warum sind jetzt so viele Politiker so schnell bei Clubhouse?
Hügelmann: Da laufen mehrere Dinge parallel. Wir stehen am Anfang eines Superwahljahres. Das heißt, das Grundinteresse an neuen Medienphänomenen, der Wunsch, irgendwo stattzufinden, sind latent gesteigert. Das führt dazu, dass Politikerinnen und Politiker sich schneller auf so eine neue Plattform einlassen – man muss einfach dabei sein. Dazu kommt die Pandemie. Seit Monaten machen die fortwährenden Corona-Beschränkungen einen ungezwungenen, direkten Austausch unmöglich. Abgesehen von der kurzen Episode im Sommer gibt es seit einem halben Jahr fast keine Möglichkeit, außerhalb von Talkshows oder Podien Hintergrundgrundgespräche zu führen, sich auf Konferenzen auszutauschen oder in größerer Runde ins Gespräch zu kommen. Das sind ganz normale, zwischenmenschliche Bedürfnisse, die bisher von keinem digitalen Tool ersetzt werden können. Eine Videokonferenz setzt eine ganz andere Verbindlichkeit voraus. Die gibt es bei Clubhouse nicht.
SPIEGEL: Also war es genau der richtige Zeitpunkt für die App?
Hügelmann: Sie stößt auf sehr fruchtbaren Boden. Im Wahlkampf haben alle ein Interesse daran, das zu kompensieren, was in Pandemiezeiten wegfällt. Politikerinnen und Politiker stehen ja nicht in der Fußgängerzone, weil es so effizient ist. Sondern, weil es das Signal sendet, dass jeder seine Fragen stellen und sein Feedback loswerden kann.
SPIEGEL: Wird Clubhouse im Wahlkampf also eine große Rolle spielen?
Hügelmann: Die Frage, wie Kandidaten ohne physischen Kontakt Nähe zum Wähler herstellen können, ist eine große Herausforderung für die Parteien. In der Pandemie ist Clubhouse eine Verheißung für die Politik. Ob die App wirklich eine wichtige Rolle spielen kann, wird sich relativ schnell entscheiden.
SPIEGEL: Wäre Clubhouse auch ohne Lockdown so schnell so erfolgreich gewesen?
Hügelmann: Vielleicht nicht ganz so schnell, aber Audioformate passen grundsätzlich gut in den Zeitgeist, das beweisen Podcasts. Vom Grundgedanken her ist »social networking« auf Audiobasis sehr schlau. Die Stimme sorgt für eine ganz andere Verbindlichkeit als ein Tweet mit 280 Zeichen. Durch die Intonation weiß jeder, wie etwas gemeint ist. Das zeigt sich auch in der Gesprächskultur. Mit steigenden Nutzerzahlen ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert, die Ersten nicht mehr mit Klarnamen unterwegs sind und die soziale Kontrolle zurückgefahren wird. Ob der Umgang weiter von Respekt geprägt ist oder ob es zu Twitter in Audio wird, bestimmt die Halbwertszeit der App.
SPIEGEL: Inwiefern unterscheiden sich die Nutzer von Twitter und Clubhouse?
Hügelmann: Es gibt da große Überlappungen. Wahrscheinlich ist die Twitter-Blase zu 80 bis 85 Prozent bei Clubhouse vertreten. Wenn man so will, ist Clubhouse eine Blase in der Blase.
SPIEGEL: Welche neuen Wähler wollen Politiker dann auf diesem Weg erreichen?
Hügelmann: Das ist die entscheidende Frage. Für jeden Politiker ist ein Auftritt bei Clubhouse extrem dünnes Eis. Es gibt dort kaum etwas zu gewinnen, aber – siehe Ramelow – einiges zu verlieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach hören mir dort vor allem dieselben Leute zu, die sich auch meinen Podcast anhören würden, mir auf Twitter folgen oder einschalten, wenn ich im TV stattfinde. Schauen wir uns die aktuelle Reichweite an: Die größten Räume wurden am Wochenende von etwa 5000 Personen besucht. Einerseits sind das viele Menschen, andererseits erreicht man diese Hörerzahlen auch mit einem gut produzierten Podcast.
SPIEGEL: Mit weniger Risiko.
Hügelmann: Genau. Natürlich kann ein konservativer Stammtisch der Jungen Union unentschlossene Wähler überzeugen. Problematisch ist allerdings, dass in dem Glauben, man sei privat, Dinge ausgeplaudert werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Clubhouse passt in die Lücke fehlender parlamentarischer Abende, kann diese aber nicht ersetzen. Es ist einigermaßen absurd, dass Herr Ramelow zunächst davon ausging, dass alles, was er sagt, im Raum bleibt – in einem Raum, in dem 1500 bis 2000 Menschen zuhören.
SPIEGEL: So gesehen müsste die App das Grauen eines jeden Pressesprechers sein.
Hügelmann: Es sei denn, der Sprecher ist gewieft, setzt sich mit dazu und hat parallel einen zweiten Kanal offen, um seinen Protegé bestmöglich zu unterstützen.
SPIEGEL: Erwarten Sie von Politikern eine Professionalisierung der Clubhouse-Nutzung?
Hügelmann: Ich gehe fest davon aus. Kommunikation ist das Handwerk des Politikers. Politiker werden sich nun professionell mit Clubhouse auseinandersetzen und entscheiden, ob das etwas für sie ist oder nicht. Dabei gilt wie für jedes soziale Medium: Nur Präsenz allein reicht nicht. Soziale Medien leben vom Dialog, das gilt für Clubhouse ganz besonders. Wer immer nur sendet und auf nichts eingeht, der wird Social Media kaum gewinnbringend für sich nutzen können.