Copy-and-Paste-Affäre Guttenberg kupferte freizügiger ab als gedacht

Auszüge von der Internetseite der US-Botschaft, Texte von Parteifreunden, Sätze aus Zeitungen: Liest man Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit genauer, finden sich weitere Passagen, die abgeschrieben sind - ohne Quellenangabe. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fordert nun Aufklärung.
Von Veit Medick, Andreas Niesmann, Oliver Sallet und Philipp Wittrock
Verteidigungsminister zu Guttenberg: Alles nur Schein?

Verteidigungsminister zu Guttenberg: Alles nur Schein?

Foto: THOMAS PETER/ REUTERS

Karl-Theodor zu Guttenberg

Berlin - Erst war von acht Stellen die Rede - doch es sind offenbar weit mehr: Wer die Doktorarbeit von Verteidigungsminister genauer liest, stößt immer wieder auf Textbausteine, die nicht von dem CSU-Politiker stammen, ohne dass dies gekennzeichnet ist.

Inzwischen sieht selbst die Bundesregierung Grund zum Handeln in der Copy-and-Paste-Affäre des Verteidigungsministers. Seine Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Chefin des Justizressorts, fordert die Aufklärung der Schummelvorwürfe gegen Guttenberg. "Die Plagiatsvorwürfe gegen den Verteidigungsminister sollten ganz in Ruhe aufgeklärt werden", sagte die FDP-Politikerin dem "Hamburger Abendblatt". Ihr Wunsch: "Aufgeregte Kommentare sollten genauso unterbleiben wie Vorverurteilungen."

Ohne korrekt zu zitieren, bediente sich Guttenberg bei Wissenschaftlern, auch Presseartikel flossen teilweise so in sein Werk ein und selbst bei Parteifreunden borgte er sich Gedanken. So ist etwa ein Beitrag des CDU-Europaabgeordneten Andreas Schwab in Guttenbergs Werk eingegangen. Auf Seite 326 und 327 finden sich mehrere Absätze eines im Internet veröffentlichten Textes Schwabs über den europäischen Föderalismus. Guttenberg beließ es bei Minimal-Änderungen - doch der Name Schwab findet sich nirgends in der Arbeit. Schwab reagierte überrascht, als SPIEGEL ONLINE ihn am Mittwoch auf die Passagen hinwies. "Inhaltlich sind wir offenbar auf einer Linie", sagte der CDU-Europaparlamentarier. "Ob das jetzt so wörtlich hätte zitiert werden müssen, das überlasse ich Herrn zu Guttenberg."

Überhaupt - das Internet scheint eine beliebte Quelle für Guttenbergs Recherchen gewesen zu sein. Der Politiker wurde etwa auf der Website der US-Botschaft fündig. Dort erklärt die amerikanische Außenstelle ihren historisch interessierten Lesern die Entstehungsgeschichte der Verfassung des Landes: "Die Verfassung und die Bill of Rights erzeugten so eine Balance zwischen zwei gegensätzlichen, aber grundlegenden Aspekten der amerikanischen Politik - die Notwendigkeit einer starken, effizienten Zentralgewalt und der Notwendigkeit, die Rechte des Einzelnen zu schützen." Der vier Sätze umfassende Absatz findet sich in fast identischem Wortlaut in der Dissertation, allerdings ohne Fußnote. Nur einen Verweis auf die Seite der US-Botschaft hat Guttenberg in die Arbeit aufgenommen - auf Seite 217 in völlig anderem Zusammenhang.

Fußnote? Fehlanzeige

Bedient hat sich Guttenberg auch bei Professor Dr. Ludger Kühnhardt, dem Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Uni Bonn. Das ZEI hatte bereits 2003 ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem es den Verfassungsentwurf des EU-Konvents bewertet. Das entsprechende Papier findet sich auch im Literaturverzeichnis der Guttenbergschen Dissertation und wird an verschiedenen Stellen der Arbeit korrekt mit Anführungszeichen und Fußnote zitiert.

Nicht so allerdings auf Seite 371, auf der Guttenberg schreibt: "Legitimität für die europäische Integration und für die Politik insgesamt erwächst aus Prozessen, aber mindestens ebenso stark aus der inneren Annahme der inhaltlichen Ergebnisse des Konvents durch die Unionsbürger." Der Satz findet sich wortgleich in dem ZEI-Papier - Fußnote: Fehlanzeige.

Auch den folgenden Satz ändert Guttenberg nur leicht und präsentiert ihn als eigene Aussage. Er schreibt: "Es ist demzufolge unumgänglich, dass nunmehr, nach dem Abschluss der Beratungen des Verfassungskonvents und im Rahmen des Ratifizierungsprozesses, eine europaweite öffentliche Diskussion über die Chancen und Erfordernisse eines sich langsam herausbildenden 'europäischen Verfassungspatriotismus' beginnt."

Im Original heißt es: "Es ist daher notwendig, dass jetzt, nach dem Abschluss der Beratungen des Verfassungskonvents, eine europaweite öffentliche Diskussion über die Chancen und Erfordernisse eines sich langsam herausbildenden europäischen Verfassungspatriotismus beginnt."

Zufall? Schwer vorstellbar.

Ähnlich verfährt Guttenberg im Falle von Gerhard Casper. Der Verfassungsjurist hielt im September 2001 eine Festrede in Karlsruhe zum fünfzigjährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts. Die Passagen, in denen Casper über die europäische Öffentlichkeit sprach, fand Guttenberg offenbar derart interessant, dass er sie prominent in seinen Text einfließen ließ. Auf Seite 348 und 349 finden sich vier entsprechende Absätze, in denen nur ein paar Wörter verändert sind - doch ein Hinweis auf Casper fehlt. Ganz verschweigen wollte Guttenberg den Juristen allerdings nicht: Auf Seite 45 findet sich in anderen Zusammenhängen eine Fußnote und auch im Literaturverzeichnis ist die Rede Caspers aufgeführt.

Jedes neue Beispiel, so viel ist klar, erhärtet den Verdacht, dass der Minister bei seiner Doktorarbeit nicht wirklich korrekt gearbeitet hat.

Eine mögliche Erklärung

Eine mögliche Erklärung dafür, wie zumindest einzelne Passagen fremder Arbeiten in Guttenbergs Dissertation gelangen konnten, findet sich auf Seite 373 seiner Doktorarbeit. "Die folgenden Ausführungen basieren auf einem Vortrag des Verf. in Wilton Park im Mai 2004, für den die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wichtige Grundlagenarbeit geleistet haben", heißt es dort in einer Fußnote. Eine der umstrittenen Passagen, die aus einem Kommentar der Schweizer Journalistin Klara Obermüller übernommene Bewertung der Präambel für den EU-Verfassungsvertrag, findet sich acht Seiten später.

Hat der Minister also eine seiner Reden in der Promotionsschrift zweitverwertet und dabei Jahre später übersehen, dass diese in weiten Teilen nicht von ihm selbst, sondern von den Wissenschaftlern des Bundestages verfasst worden war? Und sind irgendwo bei diesen vielen Verarbeitungsschritten die Fußnoten abhanden gekommen?

Vorstellbar wäre das zumindest. Aber helfen würde diese Erklärung zu Guttenberg kaum. Denn erstens gelten für akademische Arbeiten höchste Sorgfaltsregeln. Und zweitens gibt es etliche beanstandete Passagen in Teilen der Arbeit, die nicht im Zusammenhang mit ebenjener Fußnote stehen.

Selbst die Universität Bayreuth, bei der Guttenberg die Dissertation 2006 einreichte, scheint inzwischen etwas stutzig zu werden. Am Mittwochabend erklärte der Uni-Präsident, man werde den Verteidigungsminister zu einer schriftlichen Stellungnahme auffordern.

Für die Passauer Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig ist die Sache dagegen klar: "Das muss zur Aberkennung des Doktortitels führen", sagte sie der "Welt". Guttenberg hatte die ersten Absätze der Einleitung seiner Dissertation aus einem Aufsatz Zehnpfennigs abgeschrieben, der im Jahre 1997 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienen war - ohne dies als Zitat auszuweisen. "Es ist mir unverständlich, wie man sich solch eine Blöße geben kann", sagte Zehnpfennig.

Und der Beschuldigte selbst? Wies am Mittwoch alle Vorwürfe von sich und nannte sie "abstrus". Lieber kümmert sich Guttenberg um seine ministeriellen Aufgaben: Am Abend traf er in Afghanistan zu einem erneuten Truppenbesuch ein.

mit Material von dapd
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