Reisebeschränkungen in Deutschland Das Risikoverbot

"Rettet die Reisebranche" - Aktion der Reiseveranstalter und Reisebüros in Brandenburg
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Freitagabend in Neuruppin. Die beiden Kinder sind schon im Bett, da klingelt die Polizei an der Tür. Die Beamten stellen die Eltern zur Rede. Ihr Vergehen: Sie haben sich in ein Ferienhaus in der brandenburgischen Kleinstadt eingemietet. So berichtet es der Berliner "Tagesspiegel" .
Ländliche Lage, keine direkten Nachbarn, eigentlich keine Gefahr. Aktuell aber dürfte die Familie nicht dort sein. Denn sie kommt aus einem Corona-Risikogebiet: aus dem nahegelegenen Berlin. Und für solche Menschen gilt in Brandenburg inzwischen ein Beherbergungsverbot.
Die Polizei hatte zuvor einen anonymen Hinweis erhalten, dass in dem Neuruppiner Ferienhaus etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Zwar ließen die Beamten laut Polizeibericht letztlich Gnade walten. Doch der Fall zeigt die ganze Absurdität der Corona-Debatte in diesen Tagen.
Infektionszahlen fast verdoppelt
Während große Hochzeitsfeiern und Privatpartys die Infiziertenzahlen vielerorts in die Höhe schnellen lassen, verhängen einige Landesregierungen de facto Urlaubssperren für Familien oder Einzelpersonen. Und während sich viele unvernünftige Menschen ganz offensichtlich nicht einmal um die grundlegenden Hygieneregeln scheren, verpfeifen Denunzianten reisende Familien.
All das ist das Ergebnis der jüngsten Telefonschalte der Staats- und Senatskanzleichefs der Länder mit Kanzleramtschef Helge Braun vom vergangenen Mittwoch. Denn dort verständigte man sich auf das Beherbergungsverbot für Bewohner aus innerdeutschen Risikogebieten - sofern sie keinen maximal 48 Stunden alten, negativen Corona-Test vorweisen können.
Der Schritt war eine Reaktion auf die dramatische Entwicklung der Pandemie.
Die Zahl der täglich gemeldeten Ansteckungen war in den vergangenen Wochen immer weiter gestiegen, zuletzt hatten die sich binnen weniger Tage auf zeitweise mehr als 4700 Fälle fast verdoppelt.
Es war aber auch der Versuch, sich auf eine gemeinsame Linie in den Bundesländern zu einigen. Zuvor hatten die Regelungen von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz für Kritik gesorgt, wo sich Personen aus innerdeutschen Risikogebieten in eine zweiwöchige Quarantäne begeben sollten.
Es drohte ein Flickenteppich mit kaum noch verständlichen Regeln.
Die Lösung sollte das Beherbergungsverbot sein, das es etwa in Sachsen-Anhalt schon seit Juli gibt. Doch auch darauf konnte sich die Runde der Staatskanzleichefs am Ende nicht verständigen. Berlin, Bremen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen machen nicht mit.
Das Ergebnis verstärkt nun jenes Durcheinander, das man eigentlich beenden wollte.
Kritiker halten Verbot für wirkungslos
Vor allem Berlin hatte in der jüngeren Vergangenheit mit hohen Infektionszahlen Schlagzeilen gemacht. Doch mittlerweile liegen viele Städte über der kritischen Marke von täglich mehr als 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern: Bremen, Frankfurt, Stuttgart, Köln, Essen, mittlerweile auch wieder München.
Auch deshalb sorgt das Beherbergungsverbot für heftige Entrüstung. Viele Kritiker halten es schlicht für wirkungslos. "Da wurde ein Fehler gemacht, das müsste abgeräumt werden", sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der "Süddeutschen Zeitung" . Es gebe keine Studie, die belege, dass das Reisen innerhalb Deutschlands ein Pandemietreiber sei.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sieht es ähnlich: "Wenn ganz viele Orte in Deutschland Risikogebiete sind, ist die Frage, wer darf von wo nach wo reisen, eigentlich eine zweitrangige", sagte der CDU-Politiker.

SPD-Politiker Lauterbach
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Doch es gibt noch andere Zweifel.
Möglicherweise ist das Beherbergungsverbot gar nicht zulässig. Zumindest vertritt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, diese Auffassung. "Ich halte die Beherbergungsverbote für verfassungsrechtlich hochproblematisch", sagte Papier der "Bild"-Zeitung . Sein Argument: Die Auflagen seien nicht verhältnismäßig.
Aus diesem Grund bezeichnete auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki die Regelungen als "rechtswidrig". Der FDP-Politiker erklärte: "Diese Grundrechtseinschränkung wird nicht lange aufrechterhalten werden."
Entscheidung am Mittwoch
Kippt das Verbot möglicherweise schon bald wieder - trotz weiter steigender Infektionszahlen?
Tatsächlich spricht einiges dafür, dass es sich die Regierungschefs der Länder noch einmal anders überlegen, wenn sie sich am Mittwoch erneut mit Kanzlerin Angela Merkel beraten. Schließlich hätte dann das Manöver aus Sicht seiner Befürworter schon einen gewissen Zweck erfüllt.
Viele Menschen haben ihren Herbsturlaub bereits gezwungenermaßen abgesagt.
Gleichzeitig wächst der Druck, die umstrittene Einschränkung schleunigst wieder aufzuheben. Auch weil sie mitunter gar als Gefahr für den Kampf gegen die Pandemie gilt.
SPD-Politiker Lauterbach fürchtet um die Akzeptanz in der Bevölkerung für wichtigere Maßnahmen, wenn man Regeln wie diese beibehält. Dem SPIEGEL sagt er, was er stattdessen fordert: "So könnte man etwa überlegen, die Sanktionen bei Maskenverweigerung zu erhöhen. Ebenso braucht es hohe Sanktionen, wenn private Feiern mit mehr als 25 Personen stattfinden." Auf diese sollte bundesweit verzichtet werden, so Lauterbach.
Eine Sperrstunde wie in Berlin sollten nach Lauterbachs Ansicht auch andere Großstädte wie Hamburg, München und Köln in Erwägung ziehen. Denn: "Aufenthalte in Innenräumen, bei denen viel gesprochen und möglicherweise Alkohol getrunken wird, bergen das größte Risiko", so Lauterbach.
250 Euro als Strafe für Maskenverweigerer?
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) will hingegen an einer bundeseinheitlichen Regelung festhalten. "Mecklenburg-Vorpommern hat im Tourismus von Anfang an auf strenge Regeln gesetzt. Und das mit Erfolg", sagte sie dem SPIEGEL. "Ich spreche mich klar dafür aus, dass es auch weiter besondere Regeln für Reisende aus Risikogebieten gibt."
Für einheitliche Strafen bei Verstößen gegen Corona-Regeln macht sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder stark. Geht es nach ihm, sollen Maskenverweigerer bundesweit 250 Euro aufgebrummt bekommen - so wie es in Bayern schon der Fall ist.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erklärte hingegen, warum auch sein Land das Beherbergungsverbot mitträgt. Nachdem andere Länder Hotelübernachtungen ausschließen, sagte Weil, musste man "eine besondere Anziehungskraft von Niedersachsen auf Menschen aus besonders belasteten Gebieten vermeiden".
Oder anders gesagt: Um nicht von anderswo ausgesperrten Urlaubern überrannt zu werden, macht Niedersachsen ebenfalls dicht.