Vor Beratungen mit Merkel Verunsicherung über Corona-Mutante – Zurückhaltung bei Schulöffnungen

Bei den Corona-Beratungen zwischen Bund und Ländern könnte das Thema Schulen für heftige Diskussionen sorgen. Einige Bundesländer haben bereits konkrete Pläne. Lehrer und Mediziner warnen allerdings vor zu schnellen Öffnungen.
Leerer Klassenraum: Die Kultusminister sind für eine schrittweise Öffnung der Schulen ab Montag

Leerer Klassenraum: Die Kultusminister sind für eine schrittweise Öffnung der Schulen ab Montag

Foto: Sebastian Kahnert/ dpa

Die Corona-Maßnahmen in Deutschland zeigen Wirkung. In den vergangenen Wochen sind die Infektionszahlen zurückgegangen. Am Nachmittag beraten Bund und Länder nun über die nächsten Schritte in der Corona-Politik. Für kontroverse Debatten dürfte dabei die Frage nach der Öffnung von Schulen und Kitas sorgen.

Schulen haben bei den Öffnungen oberste Priorität – so lautet seit Monaten das Credo der Politik. Vor der Telefonschalte zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Regierungschefs der Länder werden jedoch erneut Warnungen vor vorschnellem Handeln laut.

Lehrer und Intensivmediziner haben vor zu schnellen Öffnungen von Schulen gewarnt. »Gerade angesichts der schwer kalkulierbaren Gefahren durch die Virusmutation müssen wir bei der Öffnung der Schulen vorsichtig vorgehen«, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).

Sachsen will Schulen in eingeschränktem Betrieb öffnen

Meidinger sprach sich dafür aus, »lieber noch ein, zwei Wochen« zu warten »als zu früh zu viel zu riskieren«. Notwendig für die Schulöffnungen sei ein »nachvollziehbarer Plan mit festen Kriterien, was bei welcher Inzidenz passieren sollte«, fügte Meidinger hinzu. Neben den Abschlussklassen müssten die besonders jungen Schüler als Erste zurück in die Schulen.

Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) warnte vor einer zu raschen Öffnung von Schulen und Kitas. »Wir sehen die Gefahr, dass sich durch die Mutationen unbemerkt eine dritte Welle aufbaut«, sagte Divi-Präsident Gernot Marx dem RND. Der Lockdown müsse mindestens bis Anfang März fortgeführt werden. »Auch der Präsenzunterricht an den Schulen sollte bis dahin weiter ausgesetzt und Kitas geschlossen bleiben.«

Das sei für die Kinder und die Eltern eine unglaubliche Belastung, räumte Marx ein. »Schulen und Kitas tragen jedoch in großem Maße zur Verbreitung des Virus bei, was durch die Mutationen noch verschärft wird.«

Andererseits haben bereits mehrere Länder konkrete Pläne, Kitas und Schulen ab kommender Woche schrittweise wieder zu öffnen. So kündigte Sachsen, das im Dezember als erstes Land flächendeckende Schul- und Kitaschließungen angeordnet hatte, am Dienstag als erstes Land an, Grundschulen und Kitas ab kommendem Montag in eingeschränktem Betrieb zu öffnen.

Die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) beschloss einstimmig, dass ab 15. Februar nach den Abschlussklassen auch untere Jahrgänge wieder zur Schule gehen sollen – »wenn die gute Entwicklung der Inzidenzwerte anhält«, wie die KMK-Vorsitzende Britta Ernst (SPD) aus Brandenburg sagte.

»Wir werden so lange keine nennenswerten Lockerungen beschließen können, bis wir eine fundierte Einschätzung haben, in welcher Geschwindigkeit sich die Virusmutationen in Deutschland verbreiten und welchen Beitrag sie dann leisten für das Infektionsgeschehen.«

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat sich ebenfalls zum Thema Schulöffnungen geäußert. »Für Mecklenburg-Vorpommern haben Schulen und Kitas absolute Priorität. Ich finde es gut, dass da inzwischen auch ein Umdenken auf Bundesebene einsetzt. Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, die Schülerinnen und Schüler Schritt für Schritt wieder zurück in die Schulen zu bringen«, sagte sie dem SPIEGEL. Sie sehe im Moment noch keinen Spielraum für größere Öffnungen. Ihr Land werde sich jedoch »vor allem dafür einsetzen, dass wir uns auf einen Perspektivplan für Deutschland verständigen. Wir sollten bundesweit festlegen, ab welchen Corona-Zahlen welche Lockerungsschritte möglich sind.«

Auch andere Regierungschefs zeigten sich vor den Beratungen mit der Kanzlerin zurückhaltend. »Wir werden so lange keine nennenswerten Lockerungen beschließen können, bis wir eine fundierte Einschätzung haben, in welcher Geschwindigkeit sich die Virusmutationen in Deutschland verbreiten und welchen Beitrag sie dann leisten für das Infektionsgeschehen«, sagte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstagabend.

Der Regierungschef warnte: »Wir müssen in dieser Lage noch einige Wochen die Disziplin und die Nerven behalten, nicht zu früh aus den Maßnahmen auszusteigen und dann einen Rückfall zu erleiden, eine dritte Welle zu ertragen, die all die Probleme, die wir schon haben, noch einmal schwerer macht.« Bis die Erkenntnisse über die Mutationen vorlägen, könnten Öffnungskonzepte nur erörternd vorbereitet werden.

Bereits vor den Beratungen hatte sich eine Verlängerung des Lockdowns bis in den März abgezeichnet. Das geht aus einer sechsseitigen Beschlussvorlage vom Dienstagmorgen (Stand 9. Februar, 10.15 Uhr) hervor, die dem SPIEGEL vorliegt. Das Papier ist die Diskussionsgrundlage für die Videoschalte am Nachmittag. Demzufolge verzichten Bund und Länder gleichzeitig auf einen konkreten Zeitplan für mögliche Öffnungsschritte.

Wirtschaftsverbände, die FDP und auch mehrere Bundesländer wollen hingegen mit Stufenplänen den Weg aus dem Lockdown koordinieren. Eine bundesweite Variante eines solchen Ausstiegsszenarios, das zum Beispiel für eine bestimmte Inzidenz einen bestimmten Öffnungsschritt vorschreiben könnte, sah Ministerpräsident Weil am Dienstagabend aber nicht.

Auf eine entsprechende Frage im ARD-Interview, ob mit einem bundesweiten Plan zu rechnen sei, sagte er: »Nein, noch nicht morgen, aber wir müssen unbedingt diese Diskussion miteinander führen.« Viele Bürgerinnen und Bürger würden mit Recht fragen, wie es denn jetzt eigentlich weitergehen solle. »Die Antwort wird morgen noch nicht erfolgen können, das ist jedenfalls mein Eindruck, aber sie muss dann beim nächsten Mal stattfinden.«

asc/cte/dpa/AFP
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