Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Antisemitische Vorfälle bei mindestens 123 Corona-Demos registriert

Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen tragen Demonstrierende "Judensterne" mit der Inschrift "Ungeimpft" und verbreiten Verschwörungsmythen. Doch viele antisemitische Vorfälle werden gar nicht erfasst.
Antisemitischer Aufdruck auf dem T-Shirt eines Demonstranten in Frankfurt am Main im Mai

Antisemitischer Aufdruck auf dem T-Shirt eines Demonstranten in Frankfurt am Main im Mai

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Boris Roessler / dpa

Bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) etliche antisemitische Vorfälle registriert. Allein im Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juni hat es bei 123 solcher Kundgebungen und Demonstrationen antisemitische Äußerungen gegeben, wie aus einem Bericht des RIAS-Bundesverbands  hervorgeht. Dazu gehören etwa die antisemitische Bezugnahme auf den Nationalsozialismus oder die Verwendung von antisemitischen Verschwörungsmythen.

Allerdings müsse man "aufgrund der großen Zahl der Versammlungen, ihrer regionalen Verteilung insbesondere auch im ländlichen Raum und den nicht durchgängig vorhandenen Monitoringressourcen" von einer "erheblichen Dunkelziffer" ausgehen.

Als Beispiele für antisemitische Äußerungen werden im Bericht T-Shirts genannt, auf denen ein sogenannter Judenstern mit der Inschrift "Ungeimpft" zu sehen war. Dabei handle es sich um eine antisemitische Selbstviktimisierung: Mit der Selbstinszenierung als Opfer würden die Schoa und der Nationalsozialismus verharmlost, auch die Rolle von Tätern und Opfern werde vertauscht. Diese Relativierung sei nicht nur für Überlebende und ihre Nachkommen unerträglich und verletzend, sie gehe auch mit Schuldabwehr und Aggressionen gegen Jüdinnen und Juden einher.

Zudem hätten Demonstrierende bei vielen Versammlungen auf Verschwörungsmythen basierende Schuldzuweisungen für die Corona-Pandemie geäußert, etwa "Zionisten", "Rothschild" oder "Soros".

Von 431 antisemitischen Vorfällen im gleichen Zeitraum hatte fast die Hälfte (191) einen Bezug zur Corona-Pandemie, wie in dem Bericht weiter ausgeführt wird. So habe beispielsweise ein Mann, der mit einem Beutel mit einem abgedruckten Davidstern einkaufen ging, gehört, wie ein anderer Kunde sagte: "Die waren das mit dem Virus."

Im Zuge der Pandemie habe sich Antisemitismus auch in den digitalen Raum verschoben, heißt es weiter. So sei auch das Phänomen des "Zoombombings" aufgekommen, bei dem etwa Videokonferenzen jüdischer Gemeinden gestört wurden. In den ersten vier Wochen der Kontaktbeschränkungen seien mindestens sieben solcher Fälle registriert worden.

Der RIAS-Bundesverband erfasst antisemitische Vorfälle mittels eines Onlinemelderegisters. Er wurde 2018 in Berlin gegründet. Die Meldestelle geht davon aus, dass es gerade in Bezug auf Antisemitismus bei Protesten eine hohe Dunkelziffer geben dürfte. Ein Anstieg oder Rückgang antisemitischer Vorfälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum März bis Juni 2019 sei insgesamt auf Basis der Zahlen nicht festzustellen.

Die Vorfälle hätten sich aber verlagert: Als beispielsweise Fußballstadien, Kneipen und Klubs Corona-bedingt schließen mussten und Busse und Bahnen weniger frequentiert wurden, sei es an diesen spezifischen Tatorten zu deutlich weniger antisemitischen Vorfällen gekommen. "Dennoch entfaltete insbesondere das Protestgeschehen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie schnell eine immense Dynamik, die zu einer Vielzahl antisemitischer Äußerungen im öffentlichen Raum führte", heißt es in dem Bericht. Diese Entwicklungen verwiesen "auf die Existenz eines relativ großen verschwörungsideologischen Spektrums in Deutschland, das bei passender Gelegenheit auch zeitnah zu mobilisieren ist".

mes/dpa
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