Ausbreitung neuer Virusvariante Österreich und Frankreich kritisieren deutschen Alleingang bei Grenzkontrollen scharf

Bundespolizisten bei Grenzkontrolle an der Autobahn 93 bei Kiefersfelden
Foto: Matthias Balk / dpaDeutschland hat nach der Ausbreitung neuer Virusvarianten im Ausland die Regeln für die Einreise an seinen Grenzen im Südosten verschärft. Das sorgt für Unmut bei den europäischen Nachbarn: Österreich hat den deutschen Botschafter in Wien zum Gespräch gebeten, auch Frankreich drängt nun auf Absprachen, um keine »bösen Überraschungen« zu erleben.
Doch die Regierung verteidigt die strengen Grenzkontrollen als notwendig. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach auf der Bundespressekonferenz in Berlin von einer »Ultima Ratio«. Die Grenzen würden nur aufgrund der besonderen Lage und nur zeitweilig überwacht.
Beamte der Bundespolizei und der bayerischen Grenzpolizei kontrollieren seit Sonntag an den Grenzen zu Tschechien und Tirol den Verkehr – und schicken Einreisende zurück, wenn sie nicht unter Ausnahmeregelungen fallen. Die Kontrollen sollen das Einschleppen ansteckenderer Varianten des Coronavirus eindämmen. Sowohl in Tschechien als auch in Tirol sind diese Varianten stärker verbreitet als in Deutschland.
5000 Einreisende zurückgewiesen
Bis Montagmorgen wurden nach Angaben eines Sprechers des Bundesinnenministeriums insgesamt 10.000 Personen kontrolliert. Gut die Hälfte habe nicht einreisen dürfen. Mit Blick auf den Pandemieschutz sei das »Verkehr, den wir uns in der aktuellen Situation nicht leisten wollen«.
Aus den betroffenen Gebieten dürfen derzeit nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gelten für medizinisches Personal, Lastwagenfahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte.
Laut Innenministerium soll aber eine Liste mit systemrelevanten Berufsgruppen erstellt werden. So soll es Pendlerinnen und Pendlern dieser Gruppen ermöglicht werden, weiterhin einzureisen. Bis es so weit ist, sollten Einreisende ihren Arbeitsvertrag an der Grenze vorzeigen, heißt es von einem Sprecher. Ob und wie lange die Grenzkontrollen aufrechterhalten werden, konnte die Bundesregierung noch nicht sagen.
Österreich und Frankreich erbost über deutschen Sonderweg
Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg übte Kritik. »Die Maßnahmen haben ganz schwerwiegende Auswirkungen auf ganz Österreich und stehen daher in einem klaren Widerspruch zu den ›lessons learned‹ aus dem letzten Frühjahr.« Bereits am Sonntagabend war der deutsche Botschafter in Wien, Ralf Beste, zu einem Gespräch im Außenministerium eingeladen worden. Österreich habe dabei auf die aus seiner Sicht unverhältnismäßigen deutschen Schritte hingewiesen, heißt es aus dem Ministerium.
Ähnliche Treffen stehen auch mit Frankreich aus. Europa-Staatssekretär Clément Beaune, ein Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron, nannte den deutschen Sonderweg beim Grenzregiment eine »harte Entscheidung«. Zur französischen Grenze gibt es aktuell keine Kontrollen, sie könnten aber möglich werden. Die Regierung in Paris hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, es gebe im grenznahen ostfranzösischen Département Moselle vergleichsweise viele Fälle, die auf die brasilianische und südafrikanische Virusvariante zurückgingen.
Beaune kündigte an, er werde am Montag mit den Regierungschefs der drei benachbarten Bundesländer Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sprechen, damit es keine »bösen Überraschungen« an der gemeinsamen Grenze mit Deutschland gebe. Eine komplette Schließung der deutsch-französischen Grenze solle verhindert werden. So müsse es möglichst weitgehende Ausnahmen für Grenzpendler geben. Auch der Straßengüterverkehr müsse weiterlaufen.
Bereits am Wochenende hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) »Ermahnungen« aus Brüssel zurückgewiesen. »Die EU-Kommission sollte uns unterstützen und nicht durch wohlfeile Hinweise Knüppel zwischen die Beine werfen«, sagte Seehofer der »Bild« -Zeitung. Die Kommission habe bereits bei der Impfstoffbeschaffung in den vergangenen Monaten »genug Fehler gemacht«.
Neben den Grenzkontrollen wurde auf der Bundespressekonferenz auch die Frage der schrittweisen Lockerungen diskutiert. Eine Arbeitsgruppe unter Regie des Bundeskanzleramts erarbeitet nach Angaben von Regierungssprecher Seibert aktuell eine Öffnungsstrategie. Diese soll Anfang März bei der nächsten Beratung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Bundesländern besprochen werden. Geplant ist demnach ein Stufenmodell, in dem in einem ersten Schritt höhere Klassen der Schulen, Berufsschulen und Universitäten, dann private Kontakte und zuletzt in einer dritten Stufe die Bereiche Kultur, »Gruppensport« sowie Kinos, Restaurants und Hotels geöffnet werden.
Lockerungen zu Ostern weiterhin unklar
Zwischen den Stufen soll laut Seibert ein Infektionszyklus von 14 Tagen liegen. Innerhalb dieser Sicherheitsspanne wolle man beobachten, wie sich die Ansteckungen nach jeder Öffnung verbreiten. »Wir müssen so öffnen, dass die Öffnungen nicht direkt wieder zu einem raschen Anstieg der Infektionszahlen führt«, sagte Seibert. Eine komplett ausgearbeitete Öffnungsstrategie bestehe aber noch nicht.
Die 14-tägigen Intervalle könnten auch Auswirkungen darauf haben, ob und wie umfangreich sich Menschen in Deutschland zum Osterfest Anfang April treffen können. Noch ist unklar, ob Urlaubsreisen oder größere Familientreffen an den Feiertagen möglich sind.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat dazu eine klare Meinung: »Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben«, sagte Kretschmer der »Bild am Sonntag«. Zu große Mobilität bereits im April sei Gift. »Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben.« Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) sieht das anders: »Das teile ich so pauschal nicht. Und ich glaube, es ist auch verfrüht, das so festzulegen«, sagte er am Sonntagabend in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«.