Stimmenfang - Der Politik-Podcast Wie riskant ist Olaf Scholz' Bazooka-Strategie?
Produktionen sind gestoppt, Aufträge bleiben aus, und Tausende kleine und große Unternehmen müssen in der Coronakrise mit massiven Umsatzausfällen rechnen. Die Bundesregierung hat schnell reagiert und mehrere Hilfsprogramme auf den Weg gebracht. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte auf einer Pressekonferenz: "Das ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun."
Ein starkes Signal. Aber kann der Staat das Versprechen auch langfristig einhalten? Um diese Fragen geht es in der neuen Episode unseres Politik-Podcasts. SPIEGEL-Wirtschaftsredakteur David Böcking erklärt auch, wie genau die drei Hilfsprogramme funktionieren, für wen sie gedacht sind und wo die Schwächen liegen.
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Was bedeutet die Abkehr von der Sparpolitik langfristig? Warum könnten auch Verstaatlichungen einzelner Unternehmen infrage kommen, und wie gut wird Kleinunternehmern und Soloselbstständigen von der Bundesregierung geholfen?
Der ganze Podcast zum Lesen
[00:00:05] Yasemin Yüksel Willkommen zu Stimmenfang, dem Politik-Podcast vom SPIEGEL. Ich bin Yasemin Yüksel.
[00:00:14] Die Bundeskanzlerin arbeitet in diesen Tagen ja von zuhause aus.
[00:00:17] Angela Merkel Guten Tag, ich melde mich zu meinem Podcast, diesmal aus der häuslichen Quarantäne - deshalb auch am Telefon. Das ist ja eine Situation, die ich gerade mit vielen Menschen teile. Ich grüße also einmal alle, die jetzt Wohnen und Homeoffice verbinden.
[00:00:33] Yasemin Yüksel Es gibt aber auch diejenigen, die jetzt in der Coronakrise gar nicht arbeiten können – weder von zuhause noch an ihren Arbeitsstellen, weil Geschäfte schließen mussten, Produktionen gestoppt wurden oder Aufträge ausbleiben. Darum, um die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Pandemie geht es in dieser Folge. Was tut die Politik jetzt für die kleinen und großen Unternehmen? Und wie kommen die Maßnahmen bei denen an, die sie brauchen? Antworten auf diese Fragen hat heute mein Kollege David Böcking aus dem SPIEGEL Wirtschaftsressort. Hallo David.
[00:0101] David Böcking Hallo Yasemin.
[00:01:03] Yasemin Yüksel David, ich spreche jetzt heute mit dir zuhause. Du sitzt in deinem Homeoffice und klingst darum auch ein bisschen anders als sonst. Das liegt einfach daran, dass wir nicht gemeinsam im Studio sein können. Lass uns aber mal gleich einsteigen. Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat Mitte März auf einer Pressekonferenz eine Aussage getroffen, die ziemlich drastisch klingt:
[00:01:20] Olaf Scholz (Finanzminister) Das, was wir hier machen, ist erst einmal – ich weiß nicht, ob man das hier sagen kann – es ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun. Und was wir dann noch an Kleinwaffen brauchen, das gucken wir dann später.
[00:01:34] Yasemin Yüksel Was hat Scholz denn damit gemeint?
[00:01:37] David Böcking Er hat damit einen Begriff verwendet, den wir schon aus der Euro-Krise kennen – der ist auch im Zusammenhang damals mit dem EZB-Chef, also dem Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, oft verwendet worden. Und er signalisiert damals wie heute: Wir werden quasi kein Limit kennen bei dem, was wir an Hilfen für die Wirtschaft, für Unternehmen zusagen.
[00:01:57] Olaf Scholz (Finanzminister) Deshalb wird hier nicht gekleckert – es wird geklotzt.
[00:02:01] Yasemin Yüksel Mit dieser Wortwahl, welches Signal setzt Scholz denn damit?
[00:02:06] David Böcking Naja, das ist eben erst einmal die Botschaft: Wir sind quasi entschlossen, die Wirtschaft zu retten. Und in diesem Fall hat er sich auf ein Kreditprogramm bezogen. Wir werden ja wahrscheinlich noch über die verschiedenen Programme reden. Da geht es eben um ein Kreditprogramm für Unternehmen, wo die Menge der Kredite theoretisch nach oben offen ist.
[00:02:25] Olaf Scholz (Finanzminister) Und wir haben die Kraft, Kreditprogramme abzusichern wie in der letzten Krise, weil wir Garantierahmen mobilisieren und zur Verfügung stellen können, die ohne Begrenzung sind.
[00:02:35] David Böcking Also, dass es quasi unbegrenzt Kredite geben soll für die Unternehmen. Und die Botschaft ist natürlich ganz klar: Wir werden alles tun, um die Wirtschaft vor dem Absturz durch die Coronakrise zu bewahren.
[00:02:46] Yasemin Yüksel Das ist ein ganz starkes Signal. Aber ist das nicht eigentlich auch auf eine Art riskant in dieser Situation, wo wir alle ja, beziehungsweise eben keiner von uns ansatzweise vorhersehen kann, wie schlimm bleibt oder wie schlimm, dramatisch wird diese Krise noch, in der wir gerade stecken?
[00:03:02] David Böcking Ja, das ist sicher auch riskant. Und manches, was Olaf Scholz und dann auch Peter Altmaier gesagt haben in dem Zusammenhang ist, glaube ich, noch ein bisschen riskanter und könnte ihnen irgendwann noch einmal auf die Füße fallen.
[00:03:14] Yasemin Yüksel Was denn zum Beispiel?
[00:03:15] David Böcking Olaf Scholz hat zum Beispiel auch gesagt: Wir haben genug Geld, um allen zu helfen.
[00:03:20] Yasemin Yüksel Ja, das war am 13. März in der Fernsehsendung von Maybrit Illner. Da hat er das im ZDF so gesagt:
[00:03:26] Olaf Scholz (Finanzminister) Weil wir genug Geld haben. Wir können allen helfen, und wir werden es auch.
[00:03:30] David Böcking Das ist etwas, was er in der Form nicht einhalten kann. Peter Altmaier hat etwas gesagt bei "Hart aber fair", – das ist etwas verkürzt worden – aber auch so schon recht riskant, nämlich dass man versprechen könne, alles zu tun, damit kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht. Und auch das ist jetzt schon absehbar, dass es nicht gelingen wird. Aber was erst einmal nachvollziehbar und wahrscheinlich auch richtig ist, ist, dass man ein positives Signal an die Wirtschaft und auch an die Gesellschaft damit sendet, was den Umgang mit der Krise angeht. Und da finde ich den Vergleich mit den USA ganz eindrucksvoll. Wir erleben ja jetzt, wie Donald Trump teilweise droht, dass er bestimmten Bundesstaaten gar nicht helfen will, wenn die Gouverneure dort nicht nett zu ihm sind.
[00:04:19] Journalist What I am asking is what more specifically do you want the Governor of Washington to do?
[00:04:20] Donald Trump All I want them to do is very simple. I want them to be appreciative. Mike Pence, he calls all the governors. I tell him – I mean, I am a different kind of person – I say: Mike, don't call the Governor of Washington, you are wasting your time with him; don't call the woman in Michigan. Doesn't make any difference to what happens.
[00:04:39] Journalist Don't call the Governor of Washington?!
[00:04:39] Donald Trump No, you know what I say? If they don't treat you right, I don't call.
[00:04:39] David Böcking Oder wie Boris Johnson in Großbritannien am Anfang im Wesentlichen gesagt hat: Stellt euch darauf ein, dass viele Leute sterben werden.
[00:04:59] Boris Johnson This disease is more dangerous, and it is going to spread further. More families, many more families are going to lose loved ones before their time.
[00:05:00] David Böcking Ich kann nachvollziehen, dass man da als deutscher Finanz- oder Wirtschaftsminister einen anderen Ton setzen will.
[00:05:05] Yasemin Yüksel David, ich stelle mir vor, so wie Virologen im Augenblick ja sozusagen minütlich nach einem Impfstoff gegen das Virus suchen, so versuchen ja mutmaßlich Ökonomen gerade die Auswirkungen, die Konsequenzen dieser Krise zu beziffern. Was sagen denn die Prognosen da überhaupt? Wie schlimm werden die wirtschaftlichen Folgen dieser Coronakrise?
[00:05:26] David Böcking Man hat da gerade sozusagen die Wahl, wie schlimm man es haben will. Also wirtschaftliche Prognosen sind ja eh immer mit einer ziemlich großen Unsicherheit behaftet. Und das ist jetzt natürlich nochmal doppelt und dreifach so, und das betonen auch alle Institute. Aber innerhalb dessen, was es bis jetzt so an Prognosen gibt, sind wirklich dramatische Vorhersagen oder Warnungen dabei, wie z.B. das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Dessen Chef hat vor der Mutter aller Rezessionen gewarnt. Auch das Ifo-Institut in München hat ziemlich dramatische Prognosen vorgelegt, wo wir im Extremfall einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 20 Prozent im Jahr haben. Da gibt es sehr dramatische Prognosen. Aber es sind, wie gesagt, eben immer nur Prognosen beziehungsweise sind sogar nur verschiedene Szenarien, weil man eben nicht weiß, wie genau der Absturz der Wirtschaft oder der Einbruch der Wirtschaft verlaufen wird. Weil das natürlich stark davon abhängt, wann diese öffentlichen Einschränkungen wieder aufgehoben werden, die wir haben.
[00:06:22] Yasemin Yüksel Es werden ja jetzt oft Vergleiche gezogen mit der Finanzkrise 2008 oder auch der Schuldenkrise. Ist es sinnvoll? Kann man diese aktuelle Situation damit überhaupt vergleichen?
[00:06:31] David Böcking Ich glaube, im Detail macht es sicher keinen Sinn, weil, wie gesagt, wir wissen ja ganz vieles noch gar nicht darüber, wie diese Krise weiter verlaufen wird. Aber ich glaube, man kann schon bestimmte Grundzüge dieser verschiedenen Krisen nennen und dann eben auch tatsächlich sagen, dass das, was wir jetzt erleben, anders und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dramatischer ist als die früheren Krisen. Der Hauptunterschied ist: Wir haben damals bei der Finanz- und auch bei der späteren Euro- oder Staatsschuldenkrise eigentlich immer vor allem einen Bereich der Wirtschaft gehabt oder einen Akteur, der betroffen war. In der Finanzkrise waren es halt die Banken, die gerettet werden mussten. In der Staatsschuldenkrise sind einzelne Euro-Staaten in Bedrängnis geraten und sind dann von den anderen Euro-Staaten mit gestützt worden mit diesen sogenannten Rettungsschirmen. Und jetzt haben wir eben das, was Ökonomen einen gleichzeitigen Angebot- und Nachfrage-Schock nennen. Das heißt, wenn man es bisschen vereinfachen will, kann man sagen: Es fehlen die Leute, die die Dinge kaufen. Es fehlen aber auch teilweise die Leute, die sie herstellen.
[00:07:29] Olaf Scholz (Finanzminister) Die weltweit stattfindenden Austauschprozesse von Waren und Gütern sind unterbrochen, Produktionen finden nicht statt, und das ist etwas, worauf wir reagieren müssen.
[00:07:40] David Böcking In Deutschland und vielen anderen Ländern gehen die Leute kaum noch raus und konsumieren deswegen immer weniger. Und gleichzeitig haben wir insbesondere in China, was ja in den letzten Jahren und Jahrzehnten zur Werkbank der Welt geworden ist, haben wir einen weitgehenden Einbruch über Wochen von Produktion gehabt. Und diese Kombination von verschiedenen Schocks ist außergewöhnlich und macht es höchstwahrscheinlich wirklich schlimmer als das, was wir bei der Schuldenkrise oder der Finanzkrise gesehen haben.
[00:08:07] Yasemin Yüksel Und darum, oder unter anderem darum, musste der Finanzminister vor wenigen Tagen ja dann auch noch einen weiteren Schritt ankündigen. Im Bundestag hat er das getan:
[00:08:15] Olaf Scholz (Finanzminister) Und deshalb bringen wir heute einen Nachtragshaushalt ein in den Deutschen Bundestag, der eine Nettokreditaufnahme von 156 Milliarden Euro vorsieht. Das ist eine gigantische Summe, fast die Hälfte unseres normalen Haushalts für ein Jahr. Und weil das so eine große Summe ist, muss der Bundestag heute die Entscheidung treffen, ob er die dafür vorgesehene Ausnahme von der Schuldenregeln des Grundgesetzes im Fall einer außergewöhnlichen Notsituation nutzt. Ich bitte Sie heute im Namen der Bundesregierung, das zu tun.
[00:08:49] Yasemin Yüksel Scholz hat die Zustimmung, auch der Opposition, bekommen. David, kannst du diese Maßnahme ein bisschen einordnen, wie außerordentlich das ist. Und ich denke mal, eins ist schon klar: Der Abschied von der sogenannten schwarzen Null, von der Sparpolitik, ist für die nächste Zeit erst mal besiegelt.
[00:09:06] David Böcking Also, ich würde sagen, definitiv nicht nur für die nächsten Wochen oder Monate, sondern wahrscheinlich deutlich länger. Dass das außergewöhnlich ist, sieht man eben schon daran, dass die schwarze Null, also der Verzicht auf Neuverschuldung, in den letzten Jahren ja zu einer Art Markenzeichen oder Dogma der deutschen Finanzminister geworden ist. Das hat Wolfgang Schäuble eingeführt, und Olaf Scholz hat es fortgeführt, obwohl es gerade in der SPD auch sehr umstritten ist. Und jetzt rückt er davon ab. Diese 156 Milliarden, die jetzt eben alleine in diesem ersten Nachtragshaushalt – wird möglicherweise nicht der einzige bleiben – stehen, die sind komplett schuldenfinanziert. Das heißt, mit einem Mal ist diese schwarze Null passé. Und nicht nur das, sondern auch die Schuldenbremse, die eingeführt worden ist im Grundgesetz, um den Anstieg von neuen Schulden zu minimieren oder zu bremsen, musste eben auch ausgesetzt werden – was man darf in solchen Krisen, aber es ist trotzdem ein völlig neuer Schritt, der so auch noch nicht dagewesen ist.
[00:10:00] Yasemin Yüksel Ganz banal gefragt: Wo kommt dieses ganze Geld, das Scholz, das die Bundesregierung da jetzt zur Verfügung stellt, eigentlich her?
[00:10:07] David Böcking Das leiht sich Deutschland. Deutschland nimmt dafür jetzt tatsächlich neue Schulden auf, obwohl es auch noch Rücklagen gibt, die man gebildet hat in den letzten Jahren. Aber das wird schuldenfinanziert. Und das ist einerseits eine enorme Summe, ist es andererseits aber für den deutschen Staat auch sehr günstig, weil wegen der Mini- beziehungsweise Minuszinsen, die wir im Moment haben wir wegen der gesamten Lage an den Finanzmärkten, Deutschland sich äußerst günstig Geld leihen kann, sogar zum Minuszinsen. Und deswegen fällt es wahrscheinlich Scholz jetzt auch nicht so wahnsinnig schwer, diesen Schritt zu gehen.
[00:10:40] Yasemin Yüksel David, wir kommen gleich zu den konkreten Hilfsprogrammen, die die Bundesregierung jetzt aufgesetzt hat.
[00:10:45] Ich will an der Stelle aber schon mal unsere Hörerinnen und Hörer zu einem neuen Hörer-Aufruf einladen: Wir werden in den nächsten Wochen ja weiter auf die Folgen der Coronakrise hier im Podcast eingehen. Und darum interessiert uns, wenn Sie selbst als Unternehmer, ob klein oder groß, als Freiberufler, von den wirtschaftlichen Konsequenzen betroffen sind – wie kommen Sie damit aktuell zurecht? Die Politik versucht ja zu helfen. Darüber reden wir hier heute. Aber wie oder was kommt bei Ihnen wirklich an in der Praxis? Wie erleben Sie das alles gerade ganz konkret, wenn Sie zum Beispiel selbst Ihr Geschäft schließen mussten oder möglicherweise auch Mitarbeiter kündigen mussten? Wir freuen uns, wenn Sie Ihre Erlebnisse mit uns teilen und uns zum Beispiel gern eine Sprachnachrichten schicken an die 040 380 80 400.
[00:11:37] Yasemin Yüksel David, drei Hilfsprogramme hat die Bundesregierung insgesamt aufgesetzt, die sich an unterschiedliche Berufsgruppen, Betroffenengruppen richten. Kannst du schildern, worum es geht und was welche Maßnahme kann beziehungsweise soll?
[00:11:51] David Böcking Ja, gerne. Das erste Programm haben wir schon angesprochen im Zusammenhang mit der sogenannten Bazooka. Das ist eben dieses Kreditprogramm, das grundsätzlich jedem Unternehmen offensteht. Aber es sind Kredite, das heißt, sie müssen weiterhin bewilligt werden. Die werden vergeben über die KfW. Das ist eine staatliche Bank, und an die kommt man aber im Normalfall über seine Hausbank. Unternehmen haben ja meistens eine Hausbank, und dort kann man die beantragen. Das ist das eine Programm.
[00:12:19] Yasemin Yüksel Aber David, wenn ich da direkt fragen darf: Kredit, das bedeutet logischerweise, muss ich auch irgendwann zurückzahlen.
[00:12:25] David Böcking Genau.
[00:12:25] Yasemin Yüksel Das heißt, ich vermute mal, da kommt von Unternehmen – ich glaube, hier geht es vor allem um mittlere, mittelgroße Unternehmen – wahrscheinlich auch die Kritik: Mag sein, dass mir das jetzt hilft, aber das sind ja dann eigentlich nur Schulden, die ich in die Zukunft mit reinschleppe.
[00:12:40] David Böcking Absolut. Das ist eine Kritik, die es häufig gibt, die ich auch schon persönlich von mehreren Unternehmern gehört habe. Zum einen das Problem, das ist ein Kredit, der belastet im Zweifel meine Bilanz und hilft mir jetzt unmittelbar nicht oder nur bedingt weiter. Das zweite Problem ist, überhaupt an die Kredite dranzukommen. Wie gesagt, man muss es über die Hausbank machen. Die kann auch nach wie vor sagen: Das ist uns zu heikel, obwohl der Bund jetzt schon bis zu 90 Prozent des Risikos übernimmtd, das ist deutlich mehr als früher. Aber es besteht die Möglichkeit, dass die Banken das verweigern. Und es ist ja auch nachvollziehbar, dass gerade in diesen Zeiten es ziemlich schwer ist, für ein Unternehmen nachzuweisen, bei uns läuft es super, und wir werden sicher weiterhin keine Probleme haben und den Kredit bedienen können. Hinzu kommt auch noch, da es generell in so kurzer Zeit aus dem Boden gestampft werden musste, dass es eine ziemliche Bürokratie gibt und dass viele Unternehmen fürchten, dass es einfach zu spät kommt für Sie, auch dass der Kredit überhaupt bewilligt wird.
[00:13:38] Yasemin Yüksel Genau, ich habe in einem deiner Texte zu dem Thema auch gelesen, du hast mit Unternehmern gesprochen. Einer sagte dir zu dem Thema, Zitat: "Bevor die das alles bearbeitet haben, sind wir tot".
[00:13:47] David Böcking Genau, das war zum Beispiel ein Unternehmer aus der Berliner Gastronomie, wo es eben auch ein Kundengeschäft gibt. Und dieses Kundengeschäft ist so dramatisch eingebrochen, dass schon jetzt die ersten Leute entlassen wurden, nach seinen Aussagen und man Kurzarbeit eingeführt hat. Und das ist natürlich bei vielen Unternehmen so, die von diesen Einschränkungen des öffentlichen Lebens betroffen sind. Und damit hört es aber nicht auf: Wie gesagt, dadurch, dass auch im Zweifel Produktion betroffen ist, brechen eben auch Lieferketten zusammen. Das heißt, auch Unternehmen, die nicht unmittelbar Kundenkontakt haben, sind betroffen. Und insofern ist es gut nachvollziehbar, dass die Leute da wenig Geduld haben.
[00:14:28] Yasemin Yüksel David, wir haben gesagt, drei Hilfsprogramme – das ist jetzt eines davon gewesen, die sogenannten Liquiditätshilfen für Unternehmen. Welche Maßnahmen gibt es noch?
[00:14:36] David Böcking Dann gibt es quasi an den, wenn man so will, am oberen und unteren Ende, was die Größe der Unternehmen angeht, jeweils Programme. Es gibt für kleine Unternehmer und für Solo-Selbstständige gibt es ein Programm, wo es unmittelbar Zuschüsse gibt. Da geht es eben nicht nur um Kredite, sondern tatsächlich um Geld für bis zu drei Monate und je nach Größe bis zu 15.000 Euro. Und am anderen Ende gibt es einen sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der ist vor allem für große Unternehmen gedacht. Da geht es darum, dass der Staat, denen mit Liquidität weiterhilft, mit Finanzspritzen. Und das kann sein, indem er sie unterstützt, dass sie sich selbst Geld leihen am Markt, große Unternehmen machen das ja. Oder der Staat kann auch direkt einsteigen. Innerhalb dieses Fonds, der insgesamt ein Volumen 600 Milliarden Euro hat, sind 100 Milliarden für mögliche Beteiligungen. Das heißt, es könnte auch auf Verstaatlichungen oder Teilverstaatlichung von Unternehmen hinauslaufen.
[00:15:35] Yasemin Yüksel Das ist ja definitiv ein Schritt, der auch umstritten ist. Kritiker wähnen da schon so ein bisschen, so das Ende der Marktwirtschaft. Teilst du die Kritik, oder teilst du diese kritische Einschätzung?
[00:15:47] David Böcking Ich glaube, dieses Ende der Marktwirtschaft wird es jetzt nicht bedeuten, so wie es das in der letzten Krise ja auch nicht bedeutet hat. Aber klar wird der Staat auf einmal wieder sehr viel präsenter in der Wirtschaft. Und es schreien nach ihm auf einmal auch Branchen, die das sonst nicht tun und vielleicht sogar stolz darauf sind, dass sie möglichst wenig mit dem Staat am Hut haben wollen. Und das war ja damals in der Finanzkrise ja schon sehr eindrucksvoll, wie große Banken auf einmal vom Staat abhängig waren. Bei der Commerzbank ist der Bund bis heute beteiligt. Das ist ein Beispiel, wo wir sehen – das ist heute im Alltag vielleicht gar nicht mehr so bewusst – das hat es natürlich in der Vergangenheit auch schon gegeben, ohne dass deswegen jetzt die Marktwirtschaft irgendwie abgeschafft wurde.
[00:16:24] Yasemin Yüksel Und diese großen Firmen haben damals diese Hilfen bekommen, weil sie als systemrelevant galten. Du hast eben auch gesprochen eingangs von dem, sozusagen, anderen Pol, von den Kleinstunternehmen, den sogenannten solo- selbstständigen Freiberuflern, also beispielsweise der Yoga-Lehrer oder die Eventmanagerin oder jemand, der ein Café an der Ecke betreibt. Oftmals sind das Leute, die wenig Rücklagen haben. Gibt es denn da schon Pläne, darüber hinaus auch irgendwie zu helfen?
[00:16:53] David Böcking Die Bundesregierung hat immer gesagt, dass es weitere Hilfen geben kann; dass sie zum Beispiel auch, wenn absehbar wird, dass diese Notmaßnahmen, also diese Einschränkung des öffentlichen Lebens, vorbei sind, dass man zum Beispiel dann auch den Konsum wieder ankurbelt, indem man sogenannte Konjunkturpakete schnürt. Und es hat auch, seitdem diese großen Pakete beschlossen wurde, schon mehrere, kleine Änderungen gegeben oder Präzisierungen. Aber, so oder so, wird es wahrscheinlich schwierig werden, gerade bei dieser Berufsgruppe, dass am Ende dann jedem so geholfen wird, dass er unbeschadet durch die Krise kommt.
[00:17:26] Yasemin Yüksel Anfang der Woche beziehungsweise vor wenigen Tagen bestimmte dann auch das Wort Rezession nochmal die Meldungen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht eben auch davon aus, dass die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft sehr stark beeinträchtigen wird. Kann man das schon etwa beziffern, oder können die Sachverständigen das schon beziffern, in welcher Größe sie von einem Einbruch ausgehen?
[00:17:51] David Böcking Ja, bedingt. Die haben eben wie andere Ökonomen auch, verschiedene Szenarien aufgemacht. Das wird immer mit so schönen Buchstaben beschrieben. Da gibt es V-Szenarien, das heißt quasi ein steiler Absturz, aber auch eine schnelle Erholung. Es gibt ein U-Szenario, wo das Ganze quasi länger dauert die Erholung. Und dann gibt es noch das L-Szenario, das heißt ganz steiler Absturz und dann bleibt es auf ganz lange Zeit so. Zumindest das Letztere halten die jetzt für unwahrscheinlich mit einer, wie ich finde, ganz plausiblen Erklärung. Sie sagen, das ist jetzt nicht wie zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg, wo wirklich ein großer Teil des Landes zerstört war und damit ja auch die Basis für die Wirtschaft. Sondern in dem Moment, wo diese Beschränkungen, die wir jetzt haben, aufgehoben werden, geht es auch wieder nach oben. Wie schnell und in welchem Umfang, da sind die halt auch ganz bewusst eher vorsichtig, weil das letztendlich etwas ist, was an der politischen Entscheidung hängt.
[00:18:45] Yasemin Yüksel Abschließend, David, deine Einschätzung: Wir haben ja eingangs Olaf Scholz gehört und diese bei Bazooka-Aussage Wie bewertest du denn insgesamt gerade das Krisenmanagement insbesondere unserer Wirtschaftspolitiker?
[00:18:57] David Böcking Also sagen wir mal so, ich glaube, es könnte, es könnte schlechter sein. Ich finde das jetzt eh schwierig, da Kopfnoten zu verteilen. Aber natürlich kann man es ganz gut, weil wir an Ländern wie den USA sehen oder auch Großbritannien – da finde ich, tritt auf jeden Fall die Bundesregierung deutlich stringenter auf. Aber was die Größe der Versprechung angeht, wie gesagt Stichwort "Wir werden allen helfen" oder "Es werden keine Arbeitsplätze verloren gehen" – da wird auch die Bundesregierung sich noch viel Kritik gefallen lassen müssen.
[00:19:28] Yasemin Yüksel Vielen Dank für deine Erklärung und deine Einschätzung für heute. Bis bald, David!
[00:19:31] David Böcking Sehr gerne, Tschüs.
[00:19:39] Yasemin Yüksel Das war Stimmenfang, der Politik-Podcast vom SPIEGEL. Ich lade Sie gerne nochmal zu unserem aktuellen Hörer-Aufruf ein: Wenn Sie Selbstständige, Freiberufler, Unternehmer sind, dann erzählen Sie uns gern aus Ihrer Sicht, was die Politik gerade für Sie tut. Wie gut – oder ob – die Hilfen überhaupt bei Ihnen ankommen, ob die Maßnahmen für Sie persönlich gerade sinnvoll sind oder nicht. Denn in einer unserer nächsten Podcast-Episoden wollen wir weiter über die wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Coronakrise berichten. Wenn Sie also gerade gezwungen sind, Kündigungen auszusprechen oder umgekehrt Ihren Job verlieren, dann schildern Sie uns Ihre persönlichen Erfahrungen gerne, indem Sie uns zum Beispiel eine WhatsApp-Sprachnachrichten schicken an die 040 380 80 400. Natürlich können Sie auch eine Mail schreiben an stimmenfang@spiegel.de. Über alle Entwicklungen zum Coronavirus halten wir sie auf spiegel.de täglich auf dem aktuellen Stand und aus unserem Podcast-Team gibt es jetzt auch ein neues Format: Mein Kollege Juan Moreno spricht in seinem Auslands Podcast Acht Milliarden regelmäßig mit den SPIEGEL-Korrespondentinnen und Korrespondenten darüber, wie gut oder schlecht die verschiedenen Nationen mit der globalen Herausforderungen gerade umgehen. In Folge 1 geht es um China. Den neuen Auslandspodcast Acht Milliarden hören Sie überall dort, wo sie ab nächsten Donnerstag auch die neue Stimmenfang-Folge hören können, also auf spiegel.de, bei Spotify, Apple Podcasts und in allen gängigen Podcast-Apps. Ich bin Yasemin Yüksel, und bei der Produktion wurde ich diese Woche unterstützt von Johannes Kückens, Wiekbe Rasmussen und Matthias Streitz. Unsere Musik kommt wie immer von Davide Russo.