Protest aus Nachbarländern Grenzkontrollen an Übergängen nach Tschechien und Tirol in Kraft

Seit Mitternacht gelten die verschärften deutschen Einreiseregeln zum Schutz vor gefährlichen Varianten des Coronavirus. Die Nachbarländer und auch die EU-Kommission reagieren mit scharfer Kritik.
Kontrolle beim Grenzübergang nach Österreich (Archivbild)

Kontrolle beim Grenzübergang nach Österreich (Archivbild)

Foto: Barbara Gindl / dpa

Die verschärften deutschen Einreiseregeln an den Grenzen zu Tschechien und zum österreichischen Bundesland Tirol sind in der Nacht zu Sonntag in Kraft getreten – und sorgen für Unmut in den betroffenen Nachbarstaaten und der EU. Bundesinnenminister Horst Seehofer bekräftigte, an den entsprechenden Übergängen in Bayern und Sachsen werde scharf kontrolliert. »Wer nicht zu einer der wenigen Ausnahmen gehört, kann nicht einreisen«, sagte der CSU-Politiker der »Bild am Sonntag«. Ziel der Bundesregierung ist es, dass Einschleppen von wohl ansteckenderen Coronavirus-Mutationen über die Grenze einzudämmen.

Seehofer sagte, mit Verzögerungen sei zu rechnen. »Durch die Kontrollen kann es hier und da zu Wartezeiten kommen. Die Bundespolizei wird den Verkehr nicht einfach durchwinken.« Einreisende müssten einen negativen Corona-Test vorlegen. Das gelte auch für alle Lastwagenfahrer, hieß es.

Wegen der neuen deutschen Einreiseregeln will Tirol schon ab Sonntag den Lastwagenverkehr aus Italien vorab kontrollieren und drosseln, um einen extremen Rückstau und einen Verkehrskollaps im Inntal zu verhindern. »Wir lassen es nicht zu, dass Tirol der Parkplatz Europas wird. Aus diesem Grund wird in Abstimmung mit dem Bund eine Verordnung erlassen, die uns Kontrollen bereits am Brenner ermöglicht«, erklärten Landeshauptmann Günther Platter und Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe.

Nach Angaben der Bundesregierung dürfen ab Sonntag aus Tschechien und weiten Teilen Tirols nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Tschechien und Tirol gelten als Virusvarianten-Gebiete. Ausnahmen bei der Einreise gibt es für

  • Gesundheitspersonal,

  • Lastwagenfahrer

  • und sonstiges Transportpersonal im Güterverkehr.

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Protest aus der Slowakei

Der slowakische Außenminister Ivan Korcok intervenierte bei Deutschlands Bundesaußenminister Heiko Maas gegen Reisebeschränkungen für Lastwagenfahrer. Wie das Außenministerium in Bratislava am Samstag auf seiner Internetseite mitteilte, ging es dabei um die Vorschrift, an der Grenze einen höchstens 48 Stunden alten Corona-Test vorzuweisen, um nach Deutschland einreisen zu dürfen. »Diese Maßnahme wird riesige Probleme verursachen und ist für unsere Lastwagenfahrer in der Praxis kaum erfüllbar«, erklärte Korcok seinem deutschen Amtskollegen nach Angaben seines Ministeriums. Die Slowakei habe deshalb eine diplomatische Note nach Berlin geschickt.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigte die Grenzkontrollen bei der Einreise aus Tschechien. »Uns bleibt nichts anderes übrig«, sagte er am Samstag. Der Kampf gegen die Pandemie mache an einer Grenze nicht halt. Bislang sei die sächsische Linie gewesen, Regionen auf der anderen Seite der Grenze genauso zu behandeln, als wären sie ein Landkreis in Sachsen oder Deutschland. In der tschechischen Region Eger liege die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen aber bei 1100, sagte er. Bei einer solchen Inzidenz hätte man in Sachsen strenge Beschränkungen wie Ausgangssperren und die Schließung von Geschäften veranlasst, so Kretschmer. »Wenn das jetzt auf tschechischer Seite anders ist, dann müssen wir uns auch anders schützen. Bis jetzt, in den letzten Wochen, haben wir ein gemeinsames Verständnis gehabt. Das scheint jetzt gerade in der Tschechischen Republik anders zu sein.«

Die tschechische Feuerwehr richtete wegen der Verschärfung kurzfristig ein zusätzliches Corona-Testzentrum ein. Es sollte ab Mitternacht in Pomezi nad Ohri vor dem Grenzübergang Schirnding (Bayern) zur Verfügung stehen, wie ein Sprecher bei Twitter mitteilte. Zielgruppe sind insbesondere Lkw-Fahrer.

EU-Gesundheitskommissarin kritisiert deutsche Einreiseregeln

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hält allerdings nicht viel von den schärferen deutschen Einreiseregeln. »Die Furcht vor den Mutationen des Coronavirus ist verständlich. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt«, sagte die 64-jährige christdemokratische Politikerin aus Zypern der »Augsburger Allgemeinen«. Über kritische Bemerkungen seitens der EU-Kommission hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer schon tags zuvor empört: »Jetzt reicht's! Die EU-Kommission hat bei der Impfstoffbeschaffung in den letzten Monaten genug Fehler gemacht«, sagte Seehofer: »Die EU-Kommission sollte uns unterstützen und nicht durch wohlfeile Hinweise Knüppel zwischen die Beine werfen.«

Umstritten ist auch die Regelung für Pendler. Die EU-Kommission hatte Deutschland aufgefordert, Ausnahmen etwa für Pendler zu gewähren. Ein Sprecher der Behörde hatte am Freitag daran erinnert, dass die EU-Staaten sich erst kürzlich auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen in Corona-Zeiten geeinigt hätten.

Bayern will nach dem neuen Text der Einreise-Quarantäneverordnung Ausnahmen für Grenzgänger und Grenzpendler, wenn deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung betrieblicher Abläufe dringend erforderlich und unabdingbar ist und dies durch den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber bescheinigt wird. Dem Vernehmen nach gibt es von Bundesseite aus aber noch Forderungen, die Ausnahmen enger zu fassen. Unstrittig seien Ausnahmen für medizinisches Personal, hieß es.

Möglicherweise werde es zu einer abweichenden bundesgesetzlichen Einreiseregelung kommen, die diese bayerische Vorschrift nur eingeschränkt zur Wirkung kommen lasse, teilte ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums auf dpa-Anfrage mit. Pflicht ist für alle Einreisenden ausnahmslos das Vorliegen eines negativen Tests, der nicht älter ist als 48 Stunden. Zudem müssen sie sich digital anmelden.

Studie: Grenzschließungen 2020 kamen zu spät

Schweizer Forscher haben untersucht, wie effektiv die Schließung von Grenzen sein kann. Fazit ihrer Studie: Die umfassenden Maßnahmen in Europa vor rund einem Jahr kamen zu spät, um das Coronavirus nachhaltig aufzuhalten. Bereits am 8. März 2020 habe es in Europa etwa genauso viele lokale Ansteckungen mit dem Virus gegeben wie durch Reisende aus dem Ausland eingeschleppt wurden, berichten Forscher um die Mathematikerin und Biostatistikerin Tanja Stadler von der ETH Zürich im Fachmagazin »PNAS«. Die EU schloss die Grenzen erst am 17. März.

Die Forscher hatten die Ausbreitung des Erregers anhand sequenzierter Virusgenome nachvollzogen. »Wenn man die Grenzen mit dem Ziel geschlossen hat, das Virus nicht reinzulassen: Dafür war es zu spät«, sagte Stadler der Deutschen Presse-Agentur. Bei Infektionsgeschehen, wie es am 8. März bereits vorhanden war, sei eine Grenzschließung nur noch verbunden mit einer drastischen Einschränkung der Kontakte im Land sinnvoll. Dann trage die Reduzierung der Kontakte aus dem Ausland etwas dazu bei, die Ausbreitung zu bremsen.

oka/dpa
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