Heinsberg ein Jahr danach Der erste deutsche Corona-Hotspot
Gangelt im Kreis Heinsberg – vor genau einem Jahr wurden der Ort und der Landkreis schlagartig bekannt. Deutschlands erster Corona-Hotspot, hieß es. Unter anderem auf einer Karnevalssitzung am 15. Februar gab es Übertragungen der neuen Krankheit. Anfang März waren 369 Fälle registriert. Ein Krisenstab wurde eingerichtet, 1000 Menschen mussten in Quarantäne. Am 9. März gab Landrat Stephan Pusch den ersten Todesfall bekannt.
Stephan Pusch, Landrat im Kreis Heinsberg – 9. März 2020
»Ich habe Ihnen die traurige Mitteilung zu machen, dass heute um 14 Uhr eine männliche Person, 78 Jahre alt, aus Gangelt verstorben ist. Ich denke, unser aller Mitgefühl gehört den Angehörigen.«
Schieber
Stephan Pusch, Landrat im Kreis Heinsberg
»Schwere Stunde, schwere Stunde hier im Kreis Heinsberg. Das war auch für mich selber ein sehr harter Moment, muss ich sagen. Aber man hat ja vorher schwere Verläufe gesehen. Haben es tatsächlich, dass jetzt auch Menschen, die daran sterben, hier in Deutschland, hier im Kreis Heinsberg, war eine Sache, die mich da, das kann man mir glaub ich auch anmerken, da schon sehr mitgenommen hat. Das Erschreckende ist eigentlich, finde ich, dass wir jetzt, ein Jahr später, erstens immer noch über Corona reden. Ich glaube, keiner hat sich von uns vorstellen können, dass eine Krise so lange andauern kann. Also dass die beste Katastrophe muss doch irgendwo mal nach ein paar Monaten vorbei sein. Das ist doch unsere menschliche Denke.«
Rückblickend war Heinsberg nicht DER Hotspot, sondern eine von mehreren Infektionsclustern. Die Geschehnisse dort wurden zur Generalprobe für das ganze Land. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck sammelte 2020 in dem Landkreis Erkenntnisse über die neue Krankheit, die bald Covid-19 heißen sollte .
Hendrik Streeck, Virologe
»Es war eine ganze Reihe an verschiedenen Studien, die wir gemacht haben. Anfangs sind wir von Haushalt zu Haushalt gegangen, haben als erstes den Geruchs- und Geschmacksverlust z.B. beschrieben von Corona-Infizierten, aber auch beschrieben, dass das Virus eher keine Schmierinfektion ist, sondern über Tröpfchen übertragen wird. Später kamen dann Erkenntnisse von anderen Wissenschaftlern zu einer Aerosol-Übertragung hinzu. Wir haben gezeigt, dass es doch eine hohe Rate in Infizierten gab in Heinsberg, dass jede fünfte Infektion ohne Symptome verläuft und dass zu der Zeit rund 15 Prozent der Infizierten der Menschen dort infiziert gewesen sind.«
Die Aussagekraft der Heinsberg-Studie ist in der Fachwelt umstritten. Streeck lag in der Folge außerdem mehrmals seinen Prognosen und Vorschlägen im Umgang mit der Pandemie falsch. Dennoch wurde der Virologe zu einem DER Gesichter der Coronakrise. Derzeit plädiert Streeck für eine stufenweise Lockerung der Corona-Einschränkungen.
Hendrik Streeck, Virologe
»Natürlich kann man nicht alles gleichzeitig auf einmal öffnen, sondern man muss schrittweise vorgehen. Eins nach dem anderen öffnen und erst einmal abwarten, wie sich das Infektionsgeschehen verhält. Die Problematik ist nämlich, dass wir sehr viel Unwissen haben. Wir wissen nicht, wo sich das Infektionsgeschehen derzeit befindet und ob hygienische Konzepte in Restaurants, Bars oder ähnliches funktionieren oder nicht. Jetzt ist die Zeit zu lernen und jetzt ist die Zeit zu verstehen, ob es überhaupt Übertragungen gibt mit bestimmten Hygienekonzepten oder nicht. Aber das können wir nur machen, wenn wir das geregelt öffnen und auch wissenschaftlich begleiten.«
Rund ein Jahr nach dem Ausbruch sind im Landkreis Heinsberg 300 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. Mehr Normalität, das wünscht sich zwar auch Landrat Pusch.
Stephan Pusch, Landrat im Kreis Heinsberg
»Aber ich finde, trotzdem müssen wir, und das ist auch ein weiterhin hohes Ziel dieser ganzen Pandemiebekämpfung, gerade die vulnerable Bevölkerungsschicht im Blick behalten und sind da auch als Gesellschaft mit unserer Solidarität insgesamt immer noch gefragt. Es gibt ja auch welche, die wollen das so aufteilen, nach dem Motto: Kümmert euch um die Alten, pass auf die auf und lass den Rest doch ihr Leben leben. Das wird nicht funktionieren. Wir sind eine Gesellschaft und müssen auch eine Gesellschaft bleiben.«
Einfach wird der Weg aus der Pandemie nicht. Puschs Prognose für 2022 ist verhalten optimistisch.
Stephan Pusch, Landrat im Kreis Heinsberg
»Ich glaube, dann können wir auch nächstes Jahr relativ sorglos Karneval feiern. Ob wir das in geschlossenen Hallen und mit der Dichte machen, wie wir das jetzt gemacht haben, weiß ich nicht. Aber es wird zumindest wieder vernünftiges Karneval feiern möglich sein. Vielleicht müssen wir alle am Eingang unseren Impfpass vorzeigen oder was anderes. Ich weiß es nicht.«