Jens Spahn in der Impfkrise Der Verteidigungsminister

Gesundheitsminister Spahn
Foto: Christian Thiel / imago images/Christian ThielAls es besonders unangenehm wird auf dieser Pressekonferenz, schnauft Jens Spahn hörbar durch. Es geht jetzt um die Machtfrage, darum, wie viel der Gesundheitsminister im Kampf gegen die Coronakrise eigentlich noch zu sagen hat.
Am Vormittag hatte Kanzlerin Angela Merkel mehrere Kabinettsmitglieder zu einer Spitzenrunde gebeten. Neben Spahn waren auch Finanzminister Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtschef Helge Braun dabei.
Thema: die Corona-Impfungen. Eigentlich Spahns Aufgabe. Manche werten die Einberufung des Impfgipfels als Degradierung des 40-Jährigen. Wie angeschlagen ist sein Verhältnis zur Kanzlerin?
Jens Spahn über sein Verhältnis zu Angela Merkel
Spahn steht vor seinem Pult im Gesundheitsministerium, seine Mundwinkel zucken, er hebt den Blick, senkt ihn wieder. »Wir können froh sein, mit Angela Merkel eine so erfahrene Bundeskanzlerin in dieser Pandemie, in dieser Krise zu haben«, sagt er. Man arbeite »gut und vertrauensvoll« zusammen.
Und überhaupt, diese Beratung mit Merkel und den Fachkollegen sei doch »eigentlich nur ein einfaches Abstimmungstreffen« gewesen.
Kleiner kann man die Kanzlerinrunde wohl kaum machen.

Spahn, Kanzlerin Merkel
Foto: CLEMENS BILAN/POOL/EPA-EFE/ShutterstockSeit Tagen schon steht Spahn wegen des schleppenden Impfstarts unter Beschuss. Ausgerechnet er. Schließlich war der Gesundheitsminister bislang einer der großen Stars dieser Pandemie. In den Ranglisten der Meinungsforscher ist Spahn einer der beliebtesten Politiker des Landes.
Spahn war es über Monate gelungen, sein Krisenmanagement gut zu verkaufen. In der Union gilt er mittlerweile sogar als möglicher Anwärter auf die Kanzlerkandidatur – und das, obwohl er sich offiziell beim bevorstehenden CDU-Parteitag nur als Armin Laschets Tandempartner bewirbt.
Kaum Impfstoff
Mit dem Beginn der Impfkampagne hätte Spahn erst recht punkten können. Es sollte nach Monaten voller Sorgen und Entbehrungen für die Menschen jetzt die Zeit der guten Nachrichten kommen.
Doch davon kann bislang keine Rede sein. Während einige Staaten ihre Bürger im Turbogang gegen das Virus immunisieren, hakt es bei den Impfungen in Deutschland.
Vor allem gibt es wenig Impfstoff. Verfügbar ist in Deutschland bislang nur der von Biontech. Nicht einmal 400.000 Menschen haben laut Robert Koch-Institut hierzulande seit Ende Dezember eine Dosis erhalten.
Etwa 3,3 Millionen Dosen will das Unternehmen bis Ende Januar geliefert haben, Mitte Februar soll die Zahl auf 5,3 Millionen angewachsen sein. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass jeder Tag mehr in dieser Pandemie Leben kostet – und dass für die volle Wirkung zwei Impfungen pro Person notwendig sind.
Viel besser macht es da vorerst auch nicht die Nachricht von der Moderna-Zulassung, dem zweiten Corona-Impfstoff, der nun auch in Europa einsatzbereit ist. Der Mangel wird zunächst bleiben. In den ersten drei Monaten des Jahres könne Deutschland mit zwei Millionen Moderna-Dosen rechnen, sagt Spahn.
Der Minister hatte deshalb zuletzt heftige Kritik einstecken müssen: allen voran vom eigenen Koalitionspartner, der SPD. Deren Generalsekretär Lars Klingbeil hatte dieser Tage von »chaotischen Zuständen« gesprochen. Deutschland stehe »viel schlechter da als andere Länder«.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz stellte gar mit den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten einen bissigen Fragenkatalog zur Impfmisere zusammen – so als säße er selbst in der Opposition und nicht mit Spahn am Kabinettstisch.
Jens Spahn
Entsprechend groß war deshalb auch das Interesse an Spahns Auftritt an diesem Mittwoch in Berlin. Wie würde der Minister auf die Vorwürfe reagieren? Hat er vielleicht gar eine neue Botschaft parat, die den Menschen mehr Mut machen könnte?
Zumindest die zweite Frage lässt sich schnell beantworten: Inhaltlich berichtet Spahn kaum Neues. Er bleibt bei dem, was bereits bekannt war: Das Biontech-Werk in Marburg soll im Februar fertig werden und helfen, die Produktion deutlich auszuweiten. Aus den Impfstoffflaschen will man zudem nun sechs statt nur fünf Dosen gewinnen.
Vielmehr nutzt Spahn die knapp einstündige Pressekonferenz für eine regelrechte Verteidigungsrede. »Die Tage des Impfstarts sind Tage der Zuversicht«, sagt er. »Impfen ist der Weg raus aus der Pandemie.«
Er verstehe ja die Ungeduld vieler Bürger, so der Minister. Aber der Impfstoff sei nun mal weltweit ein knappes Gut. Dass es anfangs davon zu wenig gebe, sei immer klar gewesen. Und überhaupt: Schuld an den Engpässen sei nicht, dass man zu wenig Dosen bestellt habe, schuld seien fehlende Produktionskapazitäten.

Spahn beim Besuch eines Impfzentrums in Nürnberg
Foto: Daniel Karmann / dpaEs ist ein Argument, das Spahn derzeit immer wieder vorträgt. Dabei liegt genau hier ein großes Problem. Hätten Deutschland oder die EU frühzeitig deutlich mehr Impfstoff geordert, hätte man dann mit den Unternehmen nicht auch über einen noch massiveren geförderten Ausbau der Produktionsstätten reden können?
Es stellt sich die Frage, warum man in Europa nur so knapp eingekauft hat, dass auf jeden Fall Impfstoffe verschiedener Hersteller benötigt werden, um den Bedarf zu decken. Bei Biontech etwa hat die EU 300 Millionen Dosen in Auftrag gegeben, jetzt wird nachverhandelt. Warum hat man nicht von jedem einzelnen Impfstoffkandidaten von Beginn an so viel bestellt, dass dieser im Zweifel auch als einzige Option für alle genügen würde?
Breite Impfoffensive im Sommer?
Offenbar ging es dabei auch ums Geld. Spahn deutet an, dass es in Europa gerade gegenüber dem teuren und kompliziert zu lagernden Biontech-Impfstoff »eine unterschiedliche Offenheit« gegeben habe. Die Akzeptanz des Impfstoffs habe sich erst erhöht, als klar wurde, wie wirksam das Mittel ist.
Unterm Strich verfestigt sich der Eindruck, dass man sich in der EU in internen Auseinandersetzungen verheddert hat, während andere Staaten bei der Impfstoffbeschaffung entschiedener waren. In Israel sind inzwischen mehr als 14 Prozent der Bevölkerung geimpft, in Großbritannien immerhin etwa 1,4 Prozent.
Spahn wiederum betont sein Versprechen: Allein von Moderna und Biontech werde man 2021 ausreichend Impfstoff für Deutschland erhalten. Doch das kann noch Monate dauern. Der Minister spricht bislang vage von einem »Impfangebot« an alle Interessierten bis zum Sommer – vorausgesetzt, es werden noch weitere Produkte zugelassen.
Doch was, wenn das Virus bis dahin noch heftiger wütet?
Das bevorstehende Halbjahr, so viel scheint klar, kann nicht nur über Spahns Karriere entscheiden – sondern auch über den Zustand der Wirtschaft.
Und über Menschenleben.