Unterricht in der Coronakrise "So wird es ein verlorenes Schuljahr"

Für immer mehr Kinder werden die Schulen geöffnet. Doch jedes Bundesland erlässt andere Regeln, Lehrer sind überfordert. FDP-Politikerin Katja Suding lastet das auch der Bildungsministerin an.
Für Schüler und Schülerinnen einer 12. Klasse in Bayern hat der Unterricht schon wieder begonnen

Für Schüler und Schülerinnen einer 12. Klasse in Bayern hat der Unterricht schon wieder begonnen

Foto: Sven Hoppe/ dpa

Aus manchen Briefen, die Schuldirektoren in diesen Tagen an Eltern verschicken, spricht Panik. So kündigt eine Berliner Grundschule Maskenpflicht an, auch für Erstklässler. Sogar auf dem Schulweg solle die Wiedersehensfreude nur auf Distanz gefeiert werden. Kinder, die sich nicht an die Abstandsregeln halten, müssten abgeholt werden.

Seit dem 27. April kehren in ganz Deutschland schrittweise immer mehr Schülerinnen und Schüler in die Klassen zurück, allerdings meist nur ein oder zwei Tage pro Woche. Jede Schule macht es anders, nicht jede greift gleich zu Maskenpflicht und Drohungen an die Eltern. Die Politik appelliert an die Eigenverantwortung der Schulen, aber lässt sie mit dem Problem allein.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, fordert deswegen einen einheitlichen Rahmen der Politik, damit die Schulen wissen, was zu tun und was möglich ist. "Entscheidend ist, dass die Bedürfnisse der Schüler und Lehrer zum Maßstab werden", sagte Göring-Eckardt dem SPIEGEL. Dass die Bundesländer dabei völlig unterschiedlich vorgehen, sei ein Riesenproblem. "Das untergräbt das Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung."

Es fehlen Fakten

Seit Schulen und Kitas Mitte März geschlossen wurden, geht ein Teil der Kinder in die Notbetreuung. Dass sie dort das Coronavirus verbreitet haben, ist bisher nicht bekannt. Und das, obwohl es sich dabei häufig um Kinder von Ärztinnen oder Pflegern handelt, jenen Berufsgruppen also, die besonders intensiv mit dem Virus konfrontiert sind. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding sagte dem SPIEGEL: "Wir können bei den Schulöffnungen mutiger sein, weil die Erfahrungen in der Notbetreuung keinen Anlass zur Sorge geben."

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In Österreich haben Forscher herausgefunden, dass Schulen und Kitas dort für die Ausbreitung von Covid-19 keine Rolle gespielt haben, auch wurde in Familien kein einziges Kind als Infektionsquelle nachgewiesen. Deutschland hat es bisher unbegreiflicherweise versäumt, die Schulschließungen mit wissenschaftlich eindeutigen Fakten zu unterlegen. Grüne und SPD fordern im Gespräch mit dem SPIEGEL deswegen mehr Daten über das Infektionsgeschehen in deutschen Schulen.

Schüler auf Corona testen

Gerade für die Kleineren sei der nahe Kontakt zu anderen Kindern sehr wichtig, betont die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas. "An den Schulen sollte regelmäßig getestet werden, um herauszufinden, ob die Infektionszahlen in den Familien höher sind oder nicht. Das, was an Teilstudien da ist, muss dringend untermauert werden", sagte Bas dem SPIEGEL.

Eine vielzitierte Studie der Berliner Charité unter Christian Drosten hat zwar belegt, dass die Virenkonzentration bei infizierten Kindern ähnlich hoch ist wie bei Erwachsenen. Eine chinesische Studie zeigt allerdings auch, dass sie sich deutlich seltener anstecken. Das Infektionsrisiko von Kindern liege, so Drosten, als er diese "hervorragende neue Studie" aus China auf Twitter empfahl, möglicherweise nur bei "ungefähr einem Drittel".

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In der Coronakrise wird Bildung für Kinder zur Glückssache. Ein Kind mit Eltern, die zu Hause sind und Zeit für Homeschooling haben, kann den Schulstoff einigermaßen nachholen - anders als Kinder, die durch ihre Eltern weniger Unterstützung erfahren, sei es wegen Berufstätigkeit oder mangelnder Fähigkeiten. Außerdem muss das Kind das Glück haben, dass seine Lehrer mit Digitalplattformen arbeiten können.

Nicht jeder Lehrer oder jede Lehrerin schafft es überhaupt, den Kontakt zu den Schülern zu Hause zu halten. Die Grünen fordern deswegen mehr Kreativität beim Personal. Göring-Eckardt schlägt vor, dass Studenten aushelfen oder Menschen mit Digitalexpertise, die wegen der Krise in Kurzarbeit sind und als Digitalcoach eingesetzt werden könnten. "Das sollten wir ermöglichen. Ich sehe aber nicht, dass das jemand macht."

Die Bildungsministerin ist abgetaucht

Apropos, was macht eigentlich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU)? Sie gab bisher kaum Orientierung, machte lediglich einen Vorstoß zur Maskenpflicht an Schulen , der sich nicht bundesweit durchgesetzt hat. Suding nennt es "erschreckend, wie die Bundesbildungsministerin in den letzten Wochen abgetaucht ist". Sie habe zwar 100 Millionen Euro für Lernplattformen zur Verfügung gestellt, aber die Mittel könnten kaum abgerufen werden. "So wird es ein verlorenes Schuljahr. Und so wird aus der Coronakrise eine Bildungskrise, ausgetragen auf dem Rücken der Kinder."

Es ist nicht nur unrealistisch, dass Grundschüler dauerhaft nur mit anderthalb Meter Abstand auf dem Schulhof Fangen spielen, spaßen und raufen. Es ist auch gefährlich für die seelische Entwicklung, ähnlich wie dauerhaftes Maskentragen. "Kinder in diesem Alter durch Mundschutz und Hygieneerziehung vor Infektionen zu schützen", so schreibt der Virologe Alexander Kekulé in einem Gastbeitrag für "Zeit Online" , "ist illusorisch und hätte das Potenzial, eine ganze Generation psychisch zu traumatisieren".

Sachsen hat das erkannt und einen besseren Weg gefunden. Schüler ab der fünften Klasse werden im Schichtsystem unterrichtet, damit sie die Abstandsregel einhalten können. Jüngere Kinder hingegen, denen man dauerhaftes Abstandhalten nicht zumuten kann, werden in geschlossenen Gruppen betreut und kommen mit anderen Gruppen möglichst nicht in Kontakt, sie haben eigene Pausenzeiten. Und Göring-Eckardt schlägt vor, dass statt der Kinder die Lehrer im Unterricht einen Mundschutz anlegen, wenn sie nahe an die Kinder herantreten.

Immerhin zeigen Schulen jetzt, dass sie bei den Hygienestandards über sich hinauswachsen können. Göring-Eckardt: "Ich höre von Berliner Schulen, dass jetzt zweimal am Tag geputzt wird. Da fragt man sich schon, warum das früher nicht möglich war."

lyr
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