Liberale in der Coronakrise Zielsicher Richtung Ausgang

FDP-Chef Lindner: Wo ist der Ausgang?
Foto: ANNEGRET HILSE/ REUTERSSo wie Bijan Djir-Sarai geht es in diesen Tagen vielen in der FDP. Er erhält Anrufe oder Mails von besorgten Unternehmern, die sich fragen, wie lange die Beschränkungen des öffentlichen Lebens noch dauern werden, wie lange ihre Geschäfte und Betriebe durchhalten müssen. Vom "Fitnessstudiobetreiber bis hin zum großen Mittelständler", erzählt der Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, werde er gebeten, "auf eine Exit-Strategie hinzuwirken".
Seit Parteichef Christian Lindner in Interviews und im Bundestag laut über eine baldige Rückkehr zur weitgehenden Normalität nachdachte, gehen auch andere FDP-Politiker in die Offensive. Jetzt, da weniger der Markt als vielmehr der Staat gefordert ist, besinnt sich die FDP ihrer liberalen Wurzel als Freiheitspartei und setzt sich an die Spitze der Exit-Debatte.
Es ist der Versuch, überhaupt vorzukommen in einer Zeit, in der Schuldenbremse und schwarze Null nur noch Makulatur sind, in der Steuersenkungen und Soli-Abschaffung keine Rolle mehr spielen, in der so wenig Opposition ist wie selten zuvor.
Doch die Rolle des Wächters über die Freiheitsrechte ist in der Krise nicht ohne Risiko - zumal die FDP dabei vor allem die wirtschaftlichen Interessen im Blick hat. Denn wenn es für viele Menschen in Europa schlicht um Leben oder Tod geht, dann ist zumindest kommunikatives Geschick gefragt. Sonst wird es ungemütlich.
Vizeparteichefin Katja Suding twitterte Anfang der Woche den Satz: "Was ist das Leben wert, wenn wir uns die Freiheit zu leben nehmen lassen." Das klang, als habe da ein allmächtiger Staat zugegriffen. Dabei ist die FDP in drei Landesregierungen selbst daran beteiligt, das öffentliche Leben herunterzufahren, zum Schutz der Gesundheit.
Suding erlebte einen Sturm im Netz, in kürzester Zeit gab es mehr als 2500 Kommentare unter ihrem Eintrag. Eine Ärztin aus München schrieb Suding sarkastisch zurück: "Hier die gute Nachricht: Wenn Sie tot sind, plagen Sie derlei Gedanken nicht mehr."
Lindner verteidigt Buschmann
Auch Marco Buschmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, sorgte für Wirbel, als er sich in einem Gastbeitrag für den SPIEGEL Gedanken über die Auswirkungen eines längeren Shutdowns auf die Mittelschicht machte. Seine provokante These, es drohe eine "Revolution" bei Wohlstandsverlusten, war für einen FDP-Politiker ungewöhnlich - und stößt auch in der eigenen Partei auf Kritik.
Nur wenige äußern sie allerdings öffentlich. Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Christopher Vogt schrieb Buschmann auf Twitter an: Das sei zwar "ein durchaus interessanter Aufsatz", aber er halte "es wirklich nicht für die richtige Zeit, um als politisch Verantwortlicher öffentlich über eine mögliche Revolution zu sinnieren". Jetzt gehe es um effektives Krisenmanagement. Und in Anlehnung an einen FDP-Slogan fügte er hinzu: "Mehr German Mut bitte."
FDP-Chef Lindner verteidigte den Beitrag seines Parteikollegen Buschmann. Dessen Text sei "ein zugespitzter, warnender Weckruf", sagte er dem SPIEGEL. Was Buschmann zu den Beschränkungen und der drohenden Revolution schreibe, sei "keine Prognose, sondern ein Appell an die Politik, die gegenwärtige Akzeptanz nicht als dauerhafte Selbstverständlichkeit zu bewerten".
Die Debatte, wie eine weitgehend im Krisenmodus arbeitende Gesellschaft, in der die Arbeitslosigkeit steigt und die Zahl der Anträge auf Kurzarbeitergeld von Tag zu Tag zunimmt, wieder einen Ausweg zu einem halbwegs normalen Alltag findet, ist schwierig zu führen. Wer für eine rasche Lockerung der Ausgangsbeschränkungen eintritt, gerät schnell in Verdacht, dies aus taktischen Erwägungen zu tun und auf Wählerstimmen zu schielen. Jüngst zeigte eine Umfrage, dass zwar eine knappe Mehrheit der Bevölkerung eine weitere Verschärfung der Maßnahmen befürwortet, FDP-Anhänger sie aber mehrheitlich ablehnen.
"Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass viele Unternehmer große Sorgen haben, die Krise nicht lange durchstehen zu können - trotz der angelaufenen Hilfen", berichtet der FDP-Politiker Djir-Sarai. Seine Partei müsse daher solche Sorgen artikulieren, "was nichts damit zu tun hat, einer vorschnellen Aufhebung der Einschränkungen das Wort zu reden".
Eine Gratwanderung ist der Kampf gegen die Pandemie vor allem für jene FDP-Politiker, die unmittelbare Regierungsverantwortung tragen, wie der nordrhein-westfälische Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp. Oberste Priorität hat für ihn weiter die Bekämpfung der Infektionszahlen. Er plädiert aber auch dafür, Konzepte zu entwickeln, "um am Tag X, wenn Öffnungen möglich werden, präzise zu handeln". Dabei gehe es nicht nur um ökonomische Verantwortung, "sondern auch um die individuellen Bedürfnisse der Menschen", sagte er dem SPIEGEL.
Stamp ist zugleich Realist und mahnt eindringlich: "Die Diskussion über die richtigen Strategien darf aber nicht den Eindruck erwecken, nach Ostern sei alles vorbei. Die Krise wird uns allen noch Zeit und viel Opferbereitschaft abverlangen", so der Integrations- und Familienminister.
In NRW wurde unter der schwarz-gelben Regierung mittlerweile ein "Expertenrat Corona" ins Leben gerufen, der Konzepte für einen Rückweg ins normale Leben erarbeiten soll.
FDP-Chef Lindner selbst betonte zu Beginn der Woche, dass sich seine Partei weiter zum Instrument der Kontaktbegrenzungen bekenne, es gehe auch nicht "um Termine" für deren Ende. Gegenwärtig gebe es eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung für die Freiheitseinschränkungen, sie würden auch als verhältnismäßig eingeschätzt.
"Eine klare geschlossene Kommunikation der Regierung und das Signal, dass man wirklich alles unternimmt, um schnellstmöglich zur Normalität zurückzukehren, könnte diese Akzeptanz länger erhalten", sagte Lindner. Im "Tagesspiegel" betonte er am Donnerstag: "Wir wollen keine 100 Tage Kontaktsperre erleben."
Die Bundesregierung hat Rufe nach einer Exit-Strategie bisher stets zurückgewiesen. Am Mittwoch verständigte sich Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder darauf, erst nach Ostern über das weitere Vorgehen zu beraten.
Die FDP hält an ihrer Linie fest, über Auswege schon jetzt zu reden. "Regierungsvertreter sollten nicht versuchen, die Debatte über Exit-Strategien mit dem Hinweis zu unterbinden, dass sie zu früh käme und nur falsche Hoffnungen wecken würde", sagt der niedersächsische FDP-Landesvorsitzende Stefan Birkner zum SPIEGEL.
Birkner will das Thema nicht allein unter wirtschaftlichen Aspekten diskutieren, sondern auch als Teil der Freiheits- und Bürgerrechte. "Nicht derjenige, der die Aufhebung der Grundrechtseingriffe fordere, müsse sich rechtfertigen", sagt er, "sondern derjenige, der sie aufrechterhalten will."