Populisten in der Coronakrise Rechte Verlierer, rechte Gewinner

Rechtsaußen-Parteien profitieren in der Coronakrise nur, wenn sie regieren. In vielen europäischen Ländern sacken sie in den Umfragen ab, zeigt eine Studie. Doch der Bericht warnt vor einem "populistischen Backlash".
Kundgebung der rechtspopulistischen Parteiführer im Mai 2019 in Mailand: Zum Teil empfindliche Umfrageverluste in der Coronakrise

Kundgebung der rechtspopulistischen Parteiführer im Mai 2019 in Mailand: Zum Teil empfindliche Umfrageverluste in der Coronakrise

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Luca Bruno/ AP

Die Corona-Pandemie ist für die AfD ein Problem. Sie kann daraus keinen Nutzen ziehen, im Gegenteil: Seit Ausbruch der Krise verloren die Rechtspopulisten in den Umfragen bis zu vier Prozentpunkte und stehen zwischen neun und zehn Prozent - einer der tiefsten Werte seit dem Sommer 2017.

Mitverantwortlich dafür mag auch sein, dass sich die Partei seit zwei Wochen über den Umgang mit dem "Flügel"-Netzwerk streitet, das kürzlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Parteichef Jörg Meuthen schlug gar eine Teilung der AfD vor - und erntete zum Teil massive interne Kritik.

Interne Konflikte haben der AfD in der Vergangenheit allerdings selten wirklich geschadet. Offensichtlich ist dagegen, dass die Rechtsaußen derzeit in der von Corona bestimmten politischen Debatte kaum vorkommen, thematisch kaum durchdringen.

Ihre Kernbotschaft aus der Flüchtlingsbewegung 2015 - "Staatsversagen" - versuchen einzelne AfD-Politiker zwar auch auf die Coronakrise zu übertragen. Doch Wirkung zeigt das nicht. Angesichts der zahlreichen Maßnahmen von Bund und Ländern (Ausgangsbeschränkungen, Grenzkontrollen, Aufbau von Intensivbettenkapazitäten) verpuffen die ohnehin wenig konsistenten Wortmeldungen, die zwischen staatstragendem Tonfall und schrillem Alarmismus wechseln.

Die AfD findet in der Krise kein Rezept. Die von ihr in den vergangenen Jahren heftig attackierte Große Koalition legt dagegen in Umfragen zu, vor allem die Union, die mit einem Zuwachs von sechs bis sieben Prozentpunkten in kürzester Zeit längst vergessene Höhen erreicht. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), auf die sich die AfD seit Jahren als Hauptgegnerin eingeschossen hat, kommt derzeit auf höchste Beliebtheitswerte.

Die AfD ist mit ihren Sorgen in Europa nicht allein. Wie ein dem SPIEGEL exklusiv vorliegender Kurzbericht  des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zeigt, schwächeln rechte Parteien auch in vielen anderen europäischen Ländern. Zumindest wenn sie in der Opposition sind.

Denn wo rechtsnationale Parteien in Europa regieren, in Polen und Ungarn etwa, da können sie - wie fast alle Regierungen auf dem Kontinent - in der Coronakrise demoskopisch profitieren. "Es ist die Stunde der Exekutive", so IW-Autor Matthias Diermeier.

Die Lage für die Rechtsaußen-Parteien in Europa ist also ambivalent: An der Macht sind sie Krisengewinner, in der Opposition oftmals Verlierer.

Zwar scheint die aktuelle Krise laut IW-Bericht auf den ersten Blick ein fruchtbarer Nährboden für rechtspopulistische Parteien zu sein - ein "schwaches Krisenmanagement der Europäischen Union, hohe Verunsicherung, ein Gefühl der entgleitenden Kontrolle und starke Bilder, die sich instrumentalisieren lassen".

Doch diese Vermutung bestätigen die Umfragewerte bislang nicht. Vor allem in Italien, Spanien, Österreich, Frankreich und Deutschland zeigten Regierungen ein "straffes Krisenmanagement mit massiven Einschränkungen für Wirtschaft und öffentliches Leben". Die AfD etwa dringe mit ihren Forderungen nach geschlossenen Grenzen und der gewohnt harschen Kritik am vermeintlich zu langsamen Krisenmanagement der Regierung nicht durch, so Diermeier.

Ähnliche Kritik verfängt auch anderswo nicht: In Österreich legt die seit Kurzem mit den Grünen regierende ÖVP gegenüber ihrem vormaligen Koalitionspartner FPÖ weiter zu. In Frankreich stiegen die Beliebtheitswerte von Staatspräsident Emmanuel Macron um sechs Prozentpunkte - er inszeniert sich als zupackender Präsident, sprach von einem "Krieg" gegen die Corona-Pandemie.

Macron verwendete damit einen Begriff, den zuvor allerdings die Vorsitzende des rechtsnationalen Rassemblement National, Marine Le Pen, benutzt hatte, wie jüngst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" feststellte. Ihr jedoch brachte die martialische Rhetorik offenkundig keinen Erfolg. Ihre Partei musste bei den jüngsten Regionalwahlen eine empfindliche Niederlage einstecken, allerdings "bei Corona bedingter niedriger Wahlbeteiligung", wie das IW einschränkend konstatiert.

In Norwegen sieht es ähnlich aus. Dort hatte die rechtspopulistische Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) erst im Januar eine Viererkoalition im Streit über eine Rückholaktion für eine norwegische IS-Anhängerin und ihre beiden Kinder aus Syrien verlassen. In der Coronakrise, so das IW, stagniere zwar die bestehende Regierung, weil kleinere Koalitionspartner schwächelten. Aber: Die Fremskrittspartiet verlor in der Opposition nun mehr als 13 Prozentpunkte.

In Schweden beobachtet die Studie ein interessantes Phänomen: Die dortige rot-grüne Regierung, die lange Zeit die weichsten Beschränkungen zur Bekämpfung des Virus angewandt hat und erst seit Kurzem vorsichtig umsteuert, konnte in den Umfragen lange Zeit 15 Prozentpunkte zulegen - während die rechte "Schwedenpartei" acht Prozentpunkte abgab. Ob dieser vom IW festgestellte Befund anhält - die Kritik an der schwedischen Regierung nahm in den vergangenen Tagen zu -, bleibt abzuwarten.

Für Schweden stellt Diermeier fest: "Gründe hierfür könnten sein, dass den Populisten schlichtweg die Lösungskompetenz in der Corona-Pandemie abgesprochen wird oder es aktuell einfach an medialem Interesse für die zuletzt wieder virulente Migrationsfrage fehlt."

Der IW-Bericht bilanziert: In der Krise können bisher insbesondere jene Rechtspopulisten, die in Westeuropa in der Opposition sind, aus der Verunsicherung der Menschen kaum Profit schlagen - "die demokratischen Regierungen hingegen beweisen Handlungsfähigkeit".

Doch wie lange hält dieser Befund an? Der IW-Bericht bleibt an dieser Stelle vorsichtig. Die sich abzeichnende Wirtschaftskrise in vielen europäischen Staaten könnte der "Nährboden für einen populistischen Backlash liefern", heißt es.

Auch die Migrationsfrage dürfte wieder verstärkt in den Fokus rücken. Sollte sich die Situation in der Türkei durch Corona weiter zuspitzen, werde sich "der (mediale) Migrationsdruck an der griechischen Grenze deutlich verschärfen".

Jetzt sei der Zeitpunkt, mahnt IW-Autor Diermeier, sich politisch dafür zu wappnen.

Grafiken: Hanz Sayami
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