Corona-Sammelaktion Doktor von der Leyens Spenden-Sprechstunde

Die von der EU ausgerichtete Geberkonferenz sammelt 7,4 Milliarden Euro für die Erforschung, Herstellung und Verteilung eines Corona-Impfstoffs. Doch die größten Herausforderungen stehen noch bevor.
Von Peter Müller, Brüssel
EU-Kommissionschefin von der Leyen: Wie die stolze Moderatorin einer Spendengala

EU-Kommissionschefin von der Leyen: Wie die stolze Moderatorin einer Spendengala

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POOL New/ REUTERS

Nein, falsche Bescheidenheit kann man Ursula von der Leyen an diesem Montagnachmittag nun wirklich nicht vorwerfen. "Ich glaube, dass der 4. Mai einmal den Wendepunkt im Kampf gegen das Coronavirus markieren wird", sagt die EU-Kommissionschefin, "weil heute die Welt zusammenkommt." Dann kündigt sie an, dass die EU für die Suche nach einem Impfstoff eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen wird.

Von der Leyen, selbst promovierte Medizinerin, wurde in den vergangenen Wochen viel kritisiert, etwa weil Brüssel zu langsam auf die Krise reagiert und zu wenig gegen nationale Alleingänge wie Grenzkontrollen unternommen habe. Die Sammelaktion jedoch wäre ohne die Hilfe und Mitorganisation der EU-Kommission nicht zustande gekommen, entsprechend stolz ist von der Leyen nun.

An diesem Montag will sie einfach glänzen, und sei es auch nur für einen Tag. Willkommen zu Doktor von der Leyens Spenden-Sprechstunde.

Die Moderation zwischen Filmchen und Live-Einspielern der Staats- und Regierungschefs übernimmt sie daher praktischerweise gleich selbst. "Und nun zurück in den Norden, an die Küsten der Ostsee", sagt sie dann und kündigt eine Videobotschaft des schwedischen Premierministers an. Der aktuelle Spendenstand wird rechts unten eingeblendet, als sähe man "Ein Herz für Kinder".

Am Ende stehen, wie erwartet, 7,4 Milliarden Euro. Auch wenn sich auf den ersten Blick nicht sagen lässt, ob jeder Euro davon wirklich frisches Geld ist, ist das erst mal ein schöner Erfolg. Experten halten eine derartige Summe in etwa für nötig, um Impfstoffe, Medikamente und neue Schnelltests zu entwickeln. Die Impfstoffe und Medikamente sollen später zu erschwinglichen Preisen weltweit verfügbar sein - egal wo sie entwickelt wurden und wer dafür bezahlt hat. 

Solidarität und Symbole

Daneben geht es um Symbole. Europa und die anderen beteiligten Länder wollen mit der Aktion zeigen, dass ein Virus, das jeden Menschen befallen kann, auch nur von der ganzen Menschheit gemeinsam bekämpft werden kann.

"Es ist die Menschheit gegen das Virus", sagt der britische Premierminister Boris Johnson knapp.

"Ich finde dies in einer Zeit, in der wir nicht immer multilateral so zusammenarbeiten, wie ich mir das wünsche, ein ganz wichtiges Signal heute", sagt Kanzlerin Merkel.

"Das 'Jeder-für-Sich' wäre ein großer Fehler", sagt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Die ganze Spendenaktion ist also auch ein Ausrufezeichen, gerade gegenüber jenem Land, das noch im Jahr 2014 im Kampf gegen die Ebola-Epidemie einen ähnlichen Versuch unternommen hatte und heute - zumindest was seine Regierung angeht - komplett fehlt: die USA. Präsident Donald Trump hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO zuletzt scharf kritisiert und will nun unter dem Namen "Operation Warp Speed" ein eigenes Programm zur Beschleunigung der Impfstoffentwicklung starten.

Weltweite Propagandaschlacht

Das Geld, das an diesem Montag und darüber hinaus gesammelt wird, soll über die beteiligten internationalen Partner an die Forscher verteilt werden. Als Experten sind neben vielen anderen die internationale Impfstoffinitiative Cepi (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) und Gavi mit an Bord, die von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung gegründete Impfallianz. Sie sollen zudem garantieren, dass es nicht nur bei schönen Ankündigungen bleibt.

Ärmere Länder sollen dabei nicht vergessen werden, wie viele Staats- und Regierungschefs versprechen. Auch das klingt gut, aber natürlich geht es den Europäern an diesem Nachmittag auch darum, in der weltweiten Propagandaschlacht um das Coronavirus einen Punkt zu machen. Das haben offenbar auch die Chinesen gemerkt, neben den USA das zweite große Land, das - weitgehend - abwesend ist.

Zwischenzeitlich hatte es geheißen, dass Ministerpräsident Li Keqiang persönlich an der Spendenschalte teilnehmen sollte. Nun wird nur der chinesische EU-Botschafter zugeschaltet. Er darf kurz vor Schluss erzählen, wie viele Atemschutzmasken die Chinesen weltweit verteilt haben. Die strengen EU-Protokollregeln sehen allerdings vor, dass der rumänische Gesundheitsminister vor dem Diplomaten der Weltmacht sprechen darf.

Die größten Probleme sind noch ungelöst

Die Botschaften der Staats- und Regierungschefs hören sich ähnlich an, jeder erzählt, warum die Situation bei ihm besonders schlimm ist, warum sein Land es besonders gut macht und warum man im Weiteren unbedingt zusammenarbeiten müsse. Zum Beispiel Österreich:

"Sebastian, wir freuen uns auf deine Worte", sagt Ursula von der Leyen.

"Die Lage in Österreich ist derzeit unter Kontrolle", antwortet Kanzler Kurz aus Wien.

Die Zahlen sind an diesem Tag also schön, aber es ist nur ein erster Sprint, wie von der Leyen am Ende selbst sagt, ein Startschuss. 40 Milliarden Euro sollen am Ende nötig sein, um den Impfstoff auf den Weg zu bringen und zu verteilen. Überdies geht es nicht nur ums Geld, stattdessen warten Probleme, die sich nicht mit einer Spendenaktion lösen lassen und bei denen die EU allein wenig tun kann: Wann gibt es den Impfstoff? Welche Pharmakonzerne können ihn zu welchen Bedingungen in ausreichenden Mengen produzieren? Haben ärmere Länder das Geld dafür, oder übernimmt Europa die Kosten? All das ist derzeit völlig offen. 

Dazu kommt: Auch die EU selbst kämpft weiter um die nächsten Schritte beim Kampf gegen Corona, etwa die Frage, wie der Neustart finanziert werden soll. Dazu will von der Leyen demnächst Vorschläge unterbreiten, die den nächsten Mehrjahreshaushalt betreffen. Eines ist sicher: So harmonisch wie bei dieser Spendengala wird es dabei nicht zugehen. 

Am Ende wurde denn auch, wie man es aus dem TV-Abendprogramm kennt, ordentlich überzogen. Statt Punkt 17 Uhr war erst gut eine Stunde später Schluss. Immerhin, eine letzte positive Nachricht hatte Moderatorin von der Leyen da noch für ihre Zuschauer: Popstar Madonna hatte sich zwischenzeitlich gemeldet und auch noch eine Million gespendet.

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