Länder ringen um Corona-Kurs Die Einzelgänger

Reiner Haseloff, Michael Kretschmer
Foto: Florian Gaertner/photothek.net / imago images/photothekMarkus Söder hat seine Rolle in der Coronakrise bekanntlich längst gefunden. Er gibt den Verfechter strenger Regeln, den Mahner schlechthin. Und gerne wird er dabei auch mal ein bisschen pathetisch.
Er könne keine Entwarnung geben, sagte der bayerische Ministerpräsident am Wochenende beim Online-Parteitag seiner CSU. "Corona ist mit voller Wucht, aller Macht wieder da in ganz Europa." Die Pandemie sei, so Söder, "die Prüfung unserer Zeit und unserer Generation".
Zumindest was die Corona-Wucht betrifft, hat Söder wohl recht. Die Zahl der Neuerkrankten nimmt seit Wochen wieder zu, international aber auch hierzulande. Am Samstag meldete das Robert Koch-Institut 2946 Infektionen an einem Tag - so viel wie seit April nicht mehr.
Söders Corona-Problem ist besonders groß. Bayern ist von der Krise stark getroffen. München gilt inzwischen als Corona-Hotspot.
Werden die Menschen nachlässiger?
Doch auch anderswo in der Republik herrscht Alarmstimmung. Und es könnte noch schlimmer werden. Experten warnen bereits vor den kommenden Monaten. Dann nämlich, wenn es draußen kälter wird und sich die Menschen lieber in geschlossenen Räumen als an der frischen Luft aufhalten. "Herbst und Winter können einem schon Sorgenfalten auf die Stirn treiben", sagte kürzlich der Virologe Martin Stürmer.
Obendrein sind die Menschen offenbar über den Sommer etwas nachlässig geworden. Laut einer Umfrage des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) achten immer weniger auf Abstands- und Hygienempfehlungen.
Höchste Zeit also für ein klares Signal, dass sich wieder etwas verändern muss im Kampf gegen Corona?

Kanzlerin Merkel im Frühjahr 2020
Foto: Kay Nietfeld/ dpaAm kommenden Dienstag schalten sich die Regierungschefs der Länder mal wieder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Es wird dabei wohl vor allem um zwei Fragen gehen: Genügen Appelle oder müssen die Bürger wieder mit strengeren Regeln zur Vorsicht bewegt werden? Und braucht es wieder mehr einheitliche Anordnungen für ganz Deutschland?
Derzeit gilt in erster Linie: der Corona-Kampf wird regional geführt, mit passenden Maßnahmen dort, wo das Virus verstärkt grassiert. Die Strategie war auch ein Resultat der immer mühseligeren Ministerpräsidentenrunden, in denen ein breiter Konsens im Umgang mit der Pandemie oft nur noch sehr schwer herzustellen war.
"Verfolgen unseren eigenen Weg"
Versuche, sich auf mehr gemeinsame Regeln im Bund zu verständigen, scheiterten zuletzt. In der jüngsten Runde Ende August wollte Kanzlerin Merkel eigentlich Treffen in Wohnungen und auf privaten Grundstücken auf 25 Personen begrenzen. Auch Söder hatte sich grundsätzlich immer wieder für bundesweite Corona-Standards ausgesprochen. Am Ende konnte sich die Runde nur auf eine maximal dünne Formulierung verständigen. "In Abhängigkeit vom regionalen Infektionsgeschehen", lautete der Beschluss, "sind für private Feiern Beschränkungen zu erlassen, zum Beispiel durch die Absenkung der Höchstteilnehmerzahl".
Und offensichtlich ist man in manchen Bundesländern fest entschlossen, sich auch in Zukunft nicht mehr vorschreiben zu lassen.
Zwei Ministerpräsidenten der CDU ließen bereits vor der Schalte am Dienstag via "Bild am Sonntag" wissen: Es soll alles beim Alten bleiben. "In Sachsen-Anhalt verfolgen wir weiter unseren eigenen Weg", sagte der dortige Regierungschef Reiner Haseloff. In seinem Land seien die Infektionen noch nachverfolgbar. Er sehe keinen Grund, so Haseloff, "darüber nachzudenken, die Maßnahmen wieder zu verschärfen". Fast wortgleich hatte er sich wenige Tage zuvor schon im SPIEGEL geäußert.
Auch Michael Kretschmer aus Sachsen wehrt sich gegen einen neuen Kurs. "Ich setze auf die Eigenverantwortlichkeit der Menschen, die sich jetzt im Herbst verstärkt disziplinierter verhalten werden und müssen", sagte er nun.
Rufe nach Kurswechsel
Dabei werden die Rufe nach einem Kurswechsel immer lauter. Vor allem die Privatfeiern gelten als gefährlich. "Die Menschen stecken sich derzeit hauptsächlich im privaten Umfeld an", sagte Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts in der "Welt am Sonntag", "also auf Partys, Hochzeitsfeiern, Beerdigungen, auch in Gottesdiensten".
Landkreistagspräsident Reinhard Sager plädierte deshalb dafür, für private Feiern generell eine Obergrenze von unter 50 Teilnehmern einzuführen. Andernfalls werde es "logistisch extrem schwierig, die Kontakte nachzuverfolgen", sagte der CDU-Politiker.
Kürzlich hatte auch der Ärzteverband Marburger Bund "einheitliche Regeln für private und öffentliche Feiern aller Art" gefordert.
Daneben drängt der Städte- und Gemeindebund auf eine Ausweitung der Maskenpflicht. Ein Mund-Nasen-Schutz solle überall dort vorgeschrieben werden, wo im öffentlichen Raum der Abstand nicht eingehalten werden könne, also etwa auf belebten Plätzen, hieß es am Sonntag – oder in den Gegenden, wo mehr als 50 Neuinfektionen pro Woche auf hunderttausend Einwohner kommen.
Skepsis nicht nur im Osten
Dass es Widerstand gegen derart konkrete bundesweite Vorgaben gibt, ist jedoch nicht verwunderlich. Insbesondere im Osten gibt es die Sorge, scharfe staatliche Maßnahmen könnten weiter den Rechten in die Hände spiele. Vor allem aber ist der empfundene Handlungsdruck oft geringer. Vielerorts gab es hier bislang nur wenige Infektionen.
Starre zentrale Vorgaben bei Privatfeiern sieht man beispielsweise auch im SPD-regierten Mecklenburg-Vorpommern kritisch. Gerade Haseloff leistete jedoch in der vergangenen Ministerpräsidentenrunde Ende August heftigen Widerstand gegen einen restriktiven Kurs. Der CDU-Mann sperrte sich damals gegen ein Bußgeld für Maskenverweigerer und warb für Zuschauer in Fußballstadien.
Ob die Ministerpräsidenten diesmal auf mehr Geschlossenheit setzen, bleibt deshalb äußerst fraglich. Dort, wo es mehr Sympathien für bundesweite Regelungen gibt, will man noch nicht recht an einen Kurswechsel glauben. "Die Ernsthaftigkeit der Situation ist in den vergangenen Wochen noch deutlicher geworden", heißt es zwar aus dem Umfeld einer Landesregierung. "Doch am Prinzip des regionalen Handelns wird sich wohl nichts ändern."