Lockerung der Maskenpflicht Das Diktat der FDP

Fachleute warnen vor einer Aufweichung der Maskenpflicht, Grüne und Sozialdemokraten ebenso. Doch in der Koalition scheuen sich beide Partner vor einem Konflikt – den Coronakurs bestimmt deshalb die FDP.
FDP-Justizminister Marco Buschmann, SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach

FDP-Justizminister Marco Buschmann, SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach

Foto: Bernd von Jutrczenka / picture alliance/dpa

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Mittwoch, 13.18 Uhr, Karl Lauterbach nimmt seinen Platz auf der Regierungsbank im Bundestag ein. Eine Weile läuft die Debatte da schon, die für den SPD-Gesundheitsminister kaum unangenehmer sein könnte.

Lauterbach selbst will erst einmal gar nichts sagen.

Andere müssen jetzt das erklären, was sie und der Minister nicht wollen, aber trotzdem tun. Es geht um die Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Oder eher: um jene Coronaregeln, die es künftig nicht mehr geben soll.

Da ist Lauterbachs Parteifreundin Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD: »Das vorliegende Gesetz ist ein hart errungener Kompromiss.« Sie selbst hätte es ja »gut gefunden«, sagt sie, »wenn eine Maskenpflicht weiter aufrechterhalten worden wäre«.

Ausdruck der Selbstverzwergung?

Oder Maria Klein-Schmeink, Fraktionsvize der Grünen. Es liege ein Kompromiss vor, »der uns Grüne nicht zufriedenstellt«, sagt sie. »Aber er ist das, was unter demokratischen Bedingungen in der Ampel miteinander verabredet werden konnte.«

Kann man sich deutlicher von dem Ergebnis eigener Politik distanzieren?

Es ist ein Drahtseilakt, den SPD und Grüne an diesem Mittwochnachmittag in Berlin aufführen. Vor allem die Aufweichung der Maskenpflicht halten weite Teile beider Fraktionen für fatal. Auch Lauterbach machte zuletzt keinen Hehl daraus, dass er solche Lockerungen für grundfalsch hält.

Dennoch macht die Koalition genau dafür den Weg frei. Ein Akt, der den Frieden in der Regierung bewahrt, so kann man das sehen. Oder Ausdruck der Selbstverzwergung von SPD und Grünen.

Schließlich verbreitete sich das Coronavirus niemals schneller als in diesen Tagen. Die Inzidenz, der Indikator für die Ausweitung der Krankheit, kletterte zuletzt auf neue Rekordwerte. Am Mittwoch meldete das Robert Koch-Institut (RKI) die Zahl der jüngsten Neuinfektionen in Deutschland: 262.593.

BA.2 ist der neue Pandemietreiber, ein Untertyp der Omikron-Variante, offenbar nochmals ansteckender, aber noch wenig erforscht. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen, zuletzt lange beherrschbar, nimmt wieder zu. Ein neuer, angepasster Impfstoff fehlt bislang, das tatsächliche Ausmaß von Corona-Spätfolgen: ungewiss.

Es gibt viele Gründe, warum man diese Pandemie weiter ernst nehmen sollte, warum Experten gerade jetzt davor warnen, allzu locker zu lassen im Kampf gegen Corona.

Die Regierung aber handelt anders.

Nach dem 19. März sollen bundesweit etliche Corona-Schutzregeln wegfallen, allen voran die Maskenpflicht, zumindest in vielen Bereichen. Nur noch in Bussen und Bahnen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen soll sie generell gelten.

In Supermärkten, Restaurants und anderen öffentlichen Orten dagegen nicht mehr.

Wer sich dort künftig aufhält, lebt also gefährlicher, besonders Menschen, die zur Risikogruppe gehören – oder kleine Kinder, für die es bisher keinen zugelassenen Impfstoff und selten passende Masken gibt.

»Wir haben einfach keinen stabilen Zustand. Und auch wenn man irgendein Datum versprochen hat – das Virus hält sich nicht daran«, sagt etwa die Virologin Sandra Ciesek, die die bevorstehenden Lockerungen kritisiert.

De facto sehen das auch in der Regierungskoalition viele so. Der einzige Koalitionspartner, der mit Verve für genau dieses Ziel kämpft, ist die FDP. Allein die Liberalen drängen auf massive Coronalockerungen, der kleinste Partner in der Ampel also, in den Umfragen derzeit bei neun Prozent. Nur: Wenn es um Corona geht, wird es offenbar gemacht, wie es die Liberalen wollen.

Liberale unter Druck

Das verbreitete Wort vom »Freedom Day« mit Blick auf den 20. März meidet die FDP-Spitze zwar bewusst. Doch der Wunsch nach einem klaren Schnitt ist groß. FDP-Justizminister Marco Buschmann erklärte kürzlich: »Man kann nicht bloß präventiv auf Dauer millionenfach Grundrechte beschränken.«

Die FDP befindet sich freilich in einer schwierigen Lage. Für sie war der Weg in die Ampelkoalition deutlich weiter als für SPD und Grüne. Die Liberalen stehen am stärksten unter Druck, ihren Wählerinnen und Wählern zu beweisen, dass sie sich in der Zusammenarbeit mit den beiden Mitte-links-Parteien nicht verbiegen lassen.

Da kommt die Corona-Freiheitserzählung offensichtlich gerade gelegen. Zumal in den kommenden Wochen wichtige Landtagswahlen anstehen: im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen.

Die Frage ist jedoch vor allem: Warum überlassen SPD und Grüne der FDP in der Coronapolitik ohne ernst zu nehmenden Widerstand das Feld?

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in Berlin

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in Berlin

Foto: Jörg Carstensen / dpa

Das Willy-Brandt-Haus an diesem Montag. Kevin Kühnert steht dort vor Journalisten, der SPD-Generalsekretär. Es geht auch um Corona. Den Begriff eines »Freedom Day« bezeichnet Kühnert als »euphemistisch«. Er erinnert an jene Menschen, die etwa unter Vorerkrankungen leiden. Für diese sei künftig nicht einmal mehr der Supermarkt ein »geschützter Raum«.

Nur: Kühnert leitet daraus keine Gesetzesforderung ab, sondern appelliert an die Eigenverantwortung der Menschen: Es sei für ihn eine »Frage der reinen Vernunft« auch in Zukunft in Innenräumen eine Maske zu tragen, sagt er.

Manche hoffen, die FDP noch zur Vernunft zu bringen, das hörte man in den vergangenen Tagen immer wieder aus den Reihen von SPD und Grünen. Allerdings ist die Bereitschaft zur Eskalation des Konflikts mit der FDP ganz offensichtlich sehr begrenzt. Im Zweifel, so sehen es viele, kann man gegen eine Blockade des Koalitionspartners eben nichts machen.

Zumal nicht jetzt, da die Regierung aufgrund des Kriegs in der Ukraine alle Hände voll zu tun hat. Einen echten Streit in der Koalition will Kanzler Olaf Scholz offenbar nicht riskieren. Wobei Scholz auch schon zu früheren Zeiten nicht den Eindruck erweckt hat, als habe er allzu große Lust, sich den Liberalen in der Coronapolitik entgegenzustellen.

Frust in den Ländern

In den SPD-Ländern gibt es jedenfalls reichlich Unmut. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bekräftigte am Mittwoch seine Kritik an den Plänen der Ampel: »Die Pandemie ist nachweislich nicht vorbei, und sie wird auch Anfang April nicht vorbei sein.« Man brauche nach der Übergangszeit Möglichkeiten, schärfere Maßnahmen zu beschließen.

Die geplante Hotspot-Regelung, nach der in einzelnen Regionen doch noch schärfere Maßnahmen eingeführt werden könnten, reiche angesichts steigender Infektions- und Patientenzahlen nicht aus.

»Es ist praxisfern, dass durch Landesregierung und Landtag spezifische Maßnahmen für einzelne Landkreise oder kreisfreie Städte festgelegt werden sollen«, so Weil. Die Landesregierung müsse die Voraussetzungen für die Gefahr einer dynamischen Infektionslage auch landesweit feststellen können. In der vom Bund vorgesehenen Form handele es sich um eine »Hotspot-Regelungs-Verhinderungs-Regelung«. Andere Genossen sprechen von einer »Illusion«.

Allein: Die Hoffnung, dass sich an dem Gesetz noch etwas ändert, schwindet in den Ländern. Im Bundesrat wiederum hätten sie kaum noch realistische Chancen einzugreifen. Eine Blockade des Gesetzes dort würde bedeuten, dass man am Ende ganz ohne Regelung dastünde.

In der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag wird deshalb zwar auch Streit, aber kein wesentlicher Beschluss erwartet. Auch hier könnte eine Folge des Ukrainekriegs, die große Zahl der Flüchtlinge, die Coronalage überdecken.

Denkbar ist, dass die Länder noch einmal einen Appell an den Bund formulieren. Doch das wäre wohl eher ein Symbol.

Vermutlich nichts, was die FDP zu einer Kurskorrektur bewegen würde.

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