Debatte über Lockerungen der Corona-Regeln "Ganz klar ein Fehler"

Bodo Ramelow will die landesweiten Schutzmaßnahmen in Thüringen aufheben, daran entzündet sich nun eine Grundsatzdebatte. Deutliche Kritik kommt vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach - und aus Bayern.
SPD-Politiker Lauterbach: "Keine Neuigkeiten in Bezug auf die Gefährlichkeit des Virus"

SPD-Politiker Lauterbach: "Keine Neuigkeiten in Bezug auf die Gefährlichkeit des Virus"

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Die geplante Aufhebung der landesweiten Corona-Schutzvorschriften in Thüringen hat eine bundesweite Debatte über den politischen Umgang mit der Pandemie ausgelöst. "Das ist ganz klar ein Fehler", sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach der "Saarbrücker Zeitung" . "Denn wir haben keine Neuigkeiten in Bezug auf die Gefährlichkeit des Virus." 

Thüringen stelle genau jene Maßnahmen infrage, "denen man den gesamten Erfolg im Moment zu verdanken hat", sagte Lauterbach. Er kritisierte, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken relativiere mit der Ankündigung dieser landesweiten Lockerungen die Krankheit.

Ramelow hatte angekündigt, vom 6. Juni an auf allgemeingültige Schutzvorschriften zu verzichten. Damit würden landesweite Regeln zu Mindestabständen, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen nicht mehr gelten. Anstatt dieser Vorgaben soll es dann regionale Maßnahmen abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort geben.

Keine Regeln, kein Krisenstab

Dafür ist ein Grenzwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche im Gespräch. Dieser Wert wird offiziellen Erhebungen zufolge zurzeit nur im Kreis Sonneberg im Süden des Bundeslands überschritten. Den neuen Plänen zufolge soll auch der Landeskrisenstab aufgelöst und durch ein Alarmsystem ersetzt werden, bei dem das Gesundheitsministerium die zentrale Steuerung übernimmt.

Lauterbach verwies darauf, dass es bislang weder ein wirksames Medikament noch eine Impfung gegen Covid-19 gebe. "Von daher gibt es überhaupt keinen Grund, das aufzuheben, was wir mühsam gelernt haben - etwa Abstand zu halten und eine Maske zu tragen."

Kritisch, wenn auch zurückhaltender, äußerte sich auch Lauterbachs Parteikollege Michael Roth. "Der Föderalismus lässt es mal so richtig krachen und zeigt, was in ihm steckt", twitterte der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt. "Wer schützt jetzt die vielen Vernünftigen vor den wenigen Verantwortungslosen?"

Die geplanten Lockerungen in Thüringen sind auch in der dortigen Regierung von Linken, SPD und Grünen offenbar nicht ganz unumstritten. Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) drängt auf Vorgaben des Landes zu Hygiene- und Schutzstandards.

Diese dürften nicht an Kommunen und Unternehmen delegiert werden, warnte der SPD-Politiker: "Das verbietet sich schon deshalb, weil es sonst einen Überbietungswettbewerb um die lockerste und großzügigste Regelung geben würde, wie das ja auch schon zwischen den Ländern auf Bundesebene zu beobachten war."

Ansonsten befürworte er Ramelows Vorschlag. Dieser bedeute ein Aufatmen für Familien, Beschäftigte und in der Wirtschaft. Damit könnten alle Unternehmen und Einrichtungen, für die noch Einschränkungen gelten, wieder öffnen.

Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche kritisierte Ramelows Plan scharf: "Mir scheint das ein Gang aufs Minenfeld", schrieb der FDP-Politiker auf Facebook. "Wo's kracht, da gibt's halt lokal einen zweiten Lockdown. Soll das wirklich unsere Strategie sein in Thüringen?"

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Auch aus anderen Bundesländern kamen zurückhaltende und ablehnende Reaktionen. "Die bayerische Staatsregierung ist entsetzt, dass elementare Schutzmaßnahmen nun aufgegeben werden sollen", sagte Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei.

Die Aufhebung aller Schutzmaßnahmen komme zu früh. "Damit wird Thüringen zu einem Gefahrenherd für wieder steigende Infektionszahlen in ganz Deutschland", sagte Herrmann. Für Bayern sei dies besonders problematisch, da Thüringen ein Nachbarland ist und dessen "Corona-Hotspot Sonneberg" direkt an Bayern grenze. "Wir müssen uns nun überlegen, wie wir als Nachbar damit umgehen", sagte Herrmann.

Aus der FDP kam hingegen Zustimmung: Thüringen gehe "einen mutigen Schritt voran", sagte Fraktionsvize Stephan Thomae. Die weitere Entwicklung müsse wachsam beobachtet werden. "Wenn sich ein Infektionsherd örtlich auf bestimmte Landkreise, Orte oder gar nur Einrichtungen begrenzen lässt, ist es jedoch nicht zwingend erforderlich, ein ganzes Bundesland mit allen Nebenfolgen ins künstliche Koma zu versetzen."

Ramelow hatte seinen Vorstoß mit den niedrigen Infektionszahlen in seinem Bundesland begründet. "Wir haben aktuell 245 Infizierte", sagte er der "Bild am Sonntag". Ausgangspunkt der Schutzmaßnahmen seien jedoch Schätzungen im März gewesen. Damals war man von 60.000 Infizierten ausgegangen.

"Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht - zwingt uns nun aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln. Und das heißt: Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen", so Ramelow. "Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten", schrieb er auf seiner Website.

mxw/dpa
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