Shutdown-Beratungen
Was Wissenschaftler und Politiker zu härteren Corona-Maßnahmen sagen
Die Bundesregierung lotet strengere Einschnitte im Kampf gegen das Coronavirus aus. Aus der Politik gibt es dafür bisher vor allem Rückendeckung – in erster Linie aus Bayern vom »Team Vorsicht«.
Corona-Lockdown (in der Kieler Innenstadt): Wettlauf mit der Zeit
Foto: Chris Emil Janssen / imago images/Chris Emil Janßen
Kein Spielraum für Öffnungen – dafür vielleicht weitere Maßnahmen gegen das Virus: Aus Sorge vor weiter steigenden Infektionszahlen und hochinfektiösen Mutationen will die Regierung schneller als geplant mit den Ministerpräsidenten beraten. Dabei soll es um die Prüfung härterer Corona-Maßnahmen gehen. Mehrere Politiker und Wissenschaftler sprachen sich für den Kurs aus.
Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) befürwortete die Prüfung strengerer Regeln: »Kindergärten komplett runterfahren, Schulen abschließen, wirklich Betretungsverbote in den Pflegeheimen, wenn kein negativer Schnelltest vorliegt – solche Dinge müssen wir besprechen«. Die Infektionszahlen seien durch den derzeitigen Lockdown nicht so zurückgegangen, »wie wir es gewollt haben und wie wir es brauchen«, sagte Kretschmer am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung »Maybrit Illner«.
Angela Merkel will schon kommende Woche und nicht erst wie geplant am 25. Januar mit den Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Die Kanzlerin hatte den vorgezogenen Beratungsbedarf in Sitzungen am Donnerstagabend deutlich gemacht und wurde mit den Worten zitiert, man sei in einem »Wettlauf mit der Zeit« und könne nicht bis zum Monatsende warten.
Dem dringenden Abstimmungsbedarf stimmten auch Teile der Opposition zu. Grünenfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte dem SPIEGEL: »Solange die Infektionszahlen nicht runtergehen, können die Lockdown-Maßnahmen nicht beendet werden«. Zudem würden »weitere Maßnahmen nötig sein, besonders in der Arbeitswelt«, so die Grünenpolitikerin.
Die Grünenfraktion hat für nächste Woche eine Sondersitzung des Gesundheits- und Wirtschaftsausschusses beantragt. »Angesichts der dramatischen Lage kann der Bundestag nicht bis zur nächsten regulären Sitzungswoche abwarten«, ging die Partei auch den vorgezogenen Zeitplan mit.
»Team Vorsicht« und der harte Lockdown
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach bei »Maybrit Illner« von einem Wettrennen, die jetzige Welle schnell genug in den Griff zu bekommen, bevor sich die neuen Virusmutationen stärker ausbreiten. Wenn das nicht gelinge, »dann kommen wir aus dem Lockdown so schnell gar nicht mehr raus«. Ohne Verschärfungen werde dies nicht gelingen. Lauterbach erläuterte, das Durchschnittsalter in den großen Intensivstationen liege derzeit bei 60 Jahren. Darunter seien viele Jüngere, wobei sich Übergewicht als immer stärkerer Risikofaktor für schwerste Verläufe zeige.
Angesichts der Bedrohung durch die stark ansteckende Virusmutation aus Großbritannien forderte Bayerns Ministerpräsident Söder: »Wir brauchen mehr Teststellen, die die Mutation erkennen können.« Außerdem betonte er gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe die Notwendigkeit von FFP2-Masken und eine konsequente Umsetzung des jetzigen Lockdowns. Seine Regierung hat für Bayern eine FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel ab Montag durchgesetzt.
Ob ein harter Lockdown bis Ostern nötig sei, wollte Söder nicht prognostizieren. Aber: »Auch ich bleibe im Team Vorsicht«.
Bei der Auslotung neuer Maßnahmen kommende Woche soll es nach einem Bericht der »Bild«-Zeitung auch um mögliche Einschränkungen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gehen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wies die Meldung gegenüber der Sendergruppe RTL/n-tv aber als falsch zurück. Auch ein, wie von der »Bild« berichtet, bereits bis Ostern angedachter Lockdown sei gegenwärtig nicht geplant, heißt es von der Bundesregierung.
Fast 5200 Covid-19-Patienten auf Deutschlands Intensivstationen
Auch mit der Pandemie betraute Wissenschaftler äußerten sich unterstützend hinsichtlich der vorgesehenen Prüfungen strengerer Regeln. Dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, zufolge reichen die bisherigen Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus nicht aus. In den ARD-»Tagesthemen« appellierte er zudem, die aktuellen Maßnahmen konsequenter umzusetzen.
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, sprach in den Zeitungen der Funke Mediengruppe von weniger als 1000 Covid-19-Intensivpatienten in Deutschland als möglicher Bedingung für Lockerungen. »In Ampelfarben gesprochen: In 11 von 16 Bundesländern ist die Ampel rot, dort gibt es weniger als 15 Prozent freie Intensivbetten«, sagte Marx. Lockerungen dürften erst kommen, wenn sich die Lage deutlich entspannt hätte. »Die Zahl der intensivmedizinisch versorgten Covid-19-Kranken muss dafür bundesweit stabil klar unter 1000 Patienten liegen.« Aktuell werden demnach fast 5200 Covid-19-Patienten in ganz Deutschland intensivmedizinisch behandelt.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat indes davon abgeraten, schon jetzt über einen Corona-Lockdown bis Ostern zu reden. »So weit möchte ich nicht gehen. Gelingt es uns, schnell und nachhaltig unter den Inzidenzwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zu kommen, müssen wir nicht den Frühlingsanfang abwarten, um darüber zu reden, wie wir wieder mehr Normalität schaffen«, sagte der SPD-Politiker der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«.
»Jetzt schon zu sagen, wir sehen uns Ostern wieder, das hielte ich für übertrieben«, so Weil. Entscheidend sei nicht das Datum, sondern die Inzidenzwerte. Er glaube aber nicht, dass bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz mit Merkel Lockerungen besprochen werden.