»Fürchterliches Menschenbild« Wohlfahrtsverband kritisiert Jens Spahn wegen Maskendeals

Das Gesundheitsministerium wollte fragwürdige Schutzmasken an Hartz-IV-Beziehende, Menschen mit Behinderung oder Obdachlose verteilen. Das kritisiert nun auch der Paritätische Gesamtverband.
Jens Spahn auf der Landesvertreterversammlung der nordrhein-westfälischen CDU am Samstag in Düsseldorf

Jens Spahn auf der Landesvertreterversammlung der nordrhein-westfälischen CDU am Samstag in Düsseldorf

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MARCEL KUSCH / POOL / EPA

Im Frühjahr 2020, als die Pandemie ausbrach, schaffte das Bundesgesundheitsministerium für rund eine Milliarde Euro Schutzmasken an, deren Qualität es nicht oder nicht gründlich genug überprüfen ließ. SPIEGEL-Recherchen haben ergeben , dass die Masken aus China offenbar regulär nicht verteilt werden durften – und dass das Ministerium daraufhin versuchte, sie in Sonderaktionen an Hartz-IV-Beziehende, Menschen mit Behinderung oder Obdachlose abzugeben.

Dieser Versuch hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht nur Kritik aus SPD, FDP und von Grünen und Linken eingebracht, die stellvertretende SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte indirekt Spahns Rücktritt. Auch der Paritätische Gesamtverband reagierte entsetzt.

Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider teilte dem SPIEGEL am Sonntag mit: »Dass gerade ein Gesundheitsminister mit dem Gesundheitsschutz und vielleicht sogar Leben von Menschen spielt, ist an sich schon unfassbar. Besonders zynisch wird es, wenn es sich dabei ausschließlich um Leben und Gesundheit von Hartz-IV-Beziehenden, Obdachlosen und Menschen mit Behinderung handelt.«

Schneider fragte, welch »fürchterliches Menschenbild« jemand haben müsse, der Leben und Gesundheit dieser Gruppen offenbar geringer schätze als die anderer Bürgerinnen und Bürger. »Dass nach dem Grundgesetz alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben, scheint in diesem Ministerium keine Rolle zu spielen«, sagte Schneider. »Wir fordern zu diesem Vorgang vollkommene Aufklärung.«

Der Paritätische ist einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege  in Deutschland. Er ist nach eigenen Angaben der Dachverband von mehr als 10.000 eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich.

Zuvor hatte sich die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland dem SPIEGEL gegenüber ähnlich geäußert. Verena Bentele sagte: Das Verhalten im Ministerium zeuge »von einem inakzeptablen Menschenbild«. Dass die Masken in der nationalen Notreserve jetzt »auf das Überschreiten ihres Ablaufdatums warten sollen, um still und heimlich entsorgt zu werden«, mache die Sache nicht besser.

Allenfalls im Schnellverfahren überprüft

Im vergangenen Jahr hatte das Gesundheitsministerium viele Millionen Schutzmasken, die nicht nach europäischen Standards zertifiziert waren. Um die Masken schnell verteilen zu können, sollten sie allenfalls in einem Schnellverfahren überprüft werden.

Dem SPIEGEL liegen interne Papiere, Briefe und Mails vor, die zeigen, dass sich das CDU-geführte Gesundheitsministerium daraufhin mit dem SPD-geführten Arbeitsministerium, das für die Maskensicherheit zuständig ist, einen harten Streit lieferte, weil Spahns Team die fragwürdigen Exemplare unbedingt unters Volk bringen wollte, zur Not auch gratis an besonders bedürftige Personengruppen wie Menschen mit Behinderungen, Wohnungslose oder Menschen, die Grundsicherung beziehen. Das Ministerium von Arbeitsminister Hubertus Heil weigerte sich jedoch zuzustimmen, bevor die fehlenden Prüfschritte nachgeholt seien.

SPIEGEL-Recherchen zufolge sollen die betreffenden Masken nun in der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz eingelagert werden. Von dort sollen sie nur in einem Katastrophenfall ausgegeben werden dürfen.

Gesundheitsminister Spahn wies den Vorwurf zurück, der Bund habe unbrauchbare Masken Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängern anbieten wollen. »Die Schutzmasken, um die es in der aktuellen Diskussion geht, sind intensiv geprüft worden, gemeinsam mit TÜV Nord und Dekra«, teilte er mit. »Auch ohne EU-Zertifikat haben sie nachweislich alle Eigenschaften, die für den Infektionsschutz nötig sind.« Der SPD warf er »wahltaktisches Kalkül« vor, das »empörend« sei.

lov/cos/cte/til/sms
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