Pressestimmen zur TV-Ansprache "Mehr Kraft als eine Höllenpredigt"

In ihrer TV-Ansprache appellierte die Bundeskanzlerin an das Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung in der Coronakrise. Vielen ging das nicht weit genug. Höchstes Lob kommt vor allem von internationalen Medien.
Merkel bei ihrer Ansprache an die Nation

Merkel bei ihrer Ansprache an die Nation

Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS

"Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst": Angela Merkel wandte sich mit klaren, eindringlichen Worten an die deutsche Bevölkerung. Die Coronakrise sei die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, mahnte die Kanzlerin. So reagierten die Kommentatoren auf die Ansprache.

Deutschland

"taz"

"Wenn die Bundeskanzlerin die Bürgerinnen und Bürger jetzt in einer bewegenden Rede an die Nation auffordert, doch bitte zu Hause zu bleiben, reicht das nicht aus. Eine Aufforderung, die das Wort Ausgangssperre vermeidet, ist sogar falsch. Sie legt nahe, Deutschland habe das, anders als seine Nachbarstaaten, nicht nötig. Diese Interpretation wiegt die Menschen in einer Sicherheit, die es nicht gibt. Es braucht klare Auflagen. Dass diese vom Krisenstab bald noch kommen, ist recht wahrscheinlich. Wir machen das eben gründlich. Aber zu langsam. Für alle Maßnahmen muss allerdings eine Bedingung gelten: dass sie nur in der Pandemie zur Anwendung kommen und danach ohne Ausnahme wieder rückgängig gemacht werden."

"Zeit Online"

"Merkel, und das muss man ihr anrechnen, scheint Zwangsmaßnahmen wirklich nur als Ultima Ratio der Politik zu begreifen.  Ganz Naturwissenschaftlerin, glaubt sie an Logik. Eine weitere Erklärung für ihre Haltung liefert sie zwischen den Zeilen selbst mit, als sie die jüngsten Einschnitte in die Reisefreiheit erläutert: 'Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen.' Wer die DDR-Diktatur erlebt hat, der geht vielleicht selbst in Krisenzeiten behutsamer mit Freiheitsentzug um. 'Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung.' Einer von wenigen Merkel-Sätzen zum Einrahmen."

"Stuttgarter Zeitung"

"Es kommt jetzt auf jeden Einzelnen an, die Vorgaben von Politik und Wissenschaft umzusetzen. Ermutigend wäre es, dies gelänge ohne drakonische Zwangsmaßnahmen. Doch sie werden nicht mehr lange auf sich warten lassen, wenn sich das Verhalten nicht ändert. Eine 'Ausgangssperre' wie in Frankreich, von Sicherheitsbehörden durchgesetzt, kennt das Grundgesetz nicht. Über Eilgesetze und Verordnungen kann es sie in der Praxis aber geben, wenn es nötig ist. Zeigen wir der Welt, dass wir so frei sein können, uns selbst zu beschränken!"

"Rheinpfalz"

"Spätestens seit Mittwochabend muss jeder und jedem in diesem Land klar sein, was die Stunde geschlagen hat. Schon allein die Tatsache, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich in einem bislang einmaligen Akt - von den Neujahrsansprachen abgesehen - per Fernsehen direkt ans Volk wendet, zeigt: Die Lage ist ernst, sehr ernst. Wenn das Robert-Koch-Institut jetzt vor bis zu zehn Millionen Corona-Erkrankten warnt, ist klar: Es geht in den nächsten Tagen und Wochen um nichts weniger als den Fortbestand des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systems, wie wir es kennen."

"Nürnberger Nachrichten"

"'Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst': Das waren die Schlüsselsätze aus Angela Merkels Rede an die Nation. Ein vielleicht letzter, im Ton beschwörender bis flehentlicher Appell an die Vernunft der Menschen in Deutschland: Reißt Euch zusammen, auch wenn es schwerfällt - so lässt sich zusammenfassen, was die Kanzlerin anmahnt. Und so vielleicht den nächsten, den drastischsten von vielen schon sehr drastischen Schritten zu intonieren - die Ausgangssperre."

"Hessische Niedersächsische Allgemeine"

"Dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die stets besonnen und ohne viel Pathos auftritt, gestern Abend mit einer Fernsehansprache an uns Bürger wandte, ist ein klares Signal. Es ist nichts mehr normal, es gibt kein Weiter-so-wie-bisher. Die Virologie-Experten steigern täglich ihre Negativ-Einschätzungen. Es gilt, mit dem Einsatz aller Mittel katastrophale Verhältnisse wie in Italien zu verhindern, wo Ärzte in größter Not immer öfter auch Schwerstkranke zur Nichtbehandlung nach Hause schicken müssen. Es grenzt an ein Wunder, wenn nicht schon bald in ganz Deutschland eine Ausgangssperre verhängt werden muss. Deshalb: Abstand halten und zuhause bleiben.

Alle Artikel zum Coronavirus

Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

International

"New York Magazine": "Die Anführerin der freien Welt hält eine Rede - und bringt es auf den Punkt. ... 'Es ist ernst', sagte sie - und diese drei nüchternen Worte haben mehr Kraft als eine Höllenpredigt.  ... Kein Deutscher kann ihren Aufruf zur Selbstdisziplin anhören, ohne daran erinnert zu werden, dass sie in Ostdeutschland unter der Beobachtung der Stasi aufwuchs. 'Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren', sagte sie, 'sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen.' Kein Amerikaner kann diese Ansprache hören, ohne sie den Worten unseres eigenen Präsidenten gegenüberzustellen: 'Ich übernehme überhaupt keine Verantwortung.'"

Bloomberg: "Wenn Angela Merkel sagt, dass es ernst ist, wissen die Deutschen mittlerweile, dass sie es ernst meint. Merkels Rede zur außergewöhnlichen Gefahr durch das Coronavirus war ihre erste Krisenansprache während ihrer über 14 Jahre langen Amtszeit. Wie die deutsche Gesellschaft auf ihre Forderung nach Solidarität reagiert, wird darüber bestimmen, welches Bild von ihrer Kanzlerschaft in die Geschichte eingeht."

"In einer Zeit der Geringschätzung für Fakten, der Falschmeldungen und des Aufstiegs von Populisten mit simplen Lösungen für komplexe Probleme scheint Merkels faktenbasierter Ansatz einer Wissenschaftlerin fast aus der Zeit gefallen. ... Aber ihre Präferenz für Substanz über Stil macht sie zu einer guten Führungskraft in dieser Art von Krise. Sie kennt sich mit den Statistiken, der Wissenschaft und den medizinischen Fakten der Pandemie aus - besonders im Vergleich mit anderen Regierungschefs wie UK-Premierminister Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump."

Timothy Garton Ash, britischer Historiker und Schriftsteller, auf Twitter: "Eine bemerkenswerte TV-Ansprache von Angela Merkel - eine Lehre über Demokratie, Solidarität und individuelle Verantwortlichkeit, vorgetragen mit Klarheit, Stärke und wirklicher Wärme."

Alexander Stubb, ehemaliger Ministerpräsident Finnlands, ebenfalls auf Twitter: "Es gibt Führung, und es gibt Angela Merkel. Das ist, was Krisenkommunikation ausmacht. Transparenz, Empathie und Ermutigung. Angela Merkels Coronavirus-Rede bringt es auf den Punkt - im Gegensatz zu Trump."

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als/ire/dpa
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