Coronavirus Deutsche Außenpolitiker fordern unabhängige Untersuchung in Wuhan

Die chinesische Virologin Shi Zhengli (l.) mit einer Mitarbeiterin im Institut in Wuhan (Aufnahme vom 23. Februar 2017): eigene Untersuchung durchgeführt
Foto:JOHANNES EISELE/ AFP
Es kommt nicht so oft vor, dass Australiens Ministerpräsident mit der Kanzlerin telefoniert. Kürzlich aber rief Scott Morrison in Berlin an, es ging - wie sollte es anders sein - um die Corona-Pandemie, genauer: um ihren möglichen Ursprung. Der konservative Politiker warb gegenüber Angela Merkel für eine Idee, die er auch dem amerikanischen und dem französischen Präsidenten unterbreitete: Eine unabhängige Kommission solle in China die Hintergründe der Virusverbreitung in der Provinzhauptstadt Wuhan aufklären.
Paris und Berlin reagieren bislang reserviert auf den Vorschlag. Regierungssprecher Steffen Seibert betont, zunächst gehe es um die Bekämpfung der Pandemie, bevor man sich mit Verantwortlichkeiten beschäftige - dabei sei eine internationale Zusammenarbeit wichtig. Außenminister Heiko Maas mahnt lediglich "eine konstruktive Rolle" Chinas bei der Aufklärung an. Doch auch in der deutschen Politik - auch in der Koalition - mehren sich die Stimmen, die fordern, den Druck auf Peking zu erhöhen.
Wie diplomatisch heikel das Thema ist, zeigen die erbosten Reaktionen aus China: Der Botschafter in Australien, Cheng Jingye, drohte am Montag mit "gefährlichen Konsequenzen", unter anderem einem Boykott australischer Waren. Die Forderung nach einer Untersuchung sei "politisch motiviert". Australien sieht China seit Langem als Konkurrenten im pazifischen Raum.
Hintergrund des australischen Vorstoßes ist der sich hartnäckig haltende Verdacht, das neuartige Coronavirus könnte aus einem Labor in Wuhan entwichen sein. Seitdem diese Theorie in der "Washington Post" - wenig später begleitet von Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump - genährt wurde, wollen die entsprechenden Mutmaßungen nicht verstummen.
Die renommierte US-Zeitung hatte sich auf interne Depeschen zweier US-Diplomaten gestützt, die im Januar 2018 mehrmals das Wuhan Institute of Virology besucht hatten und damals vor Sicherheitsmängeln warnten. In den Berichten ging es konkret um Arbeiten an einem Fledermaus-Corona-Virus und die Gefahr einer Pandemie.
Die Labor-Theorie wird in China vehement dementiert - und die USA haben dafür keine Belege vorgelegt. Yuan Zhiming, der Leiter des Wuhan Institute of Virology (WIV) und Direktor des nationalen Labors für biologische Sicherheit, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters von "böswilligen" Behauptungen, die "aus der Luft gegriffen" seien.
Die in Wuhan ansässige Virenforscherin Shi Zhengli, eine Expertin für die Untersuchung von Fledermäusen, reagierte selbst alarmiert, fand aber nach internen Nachkontrollen keine Hinweise, die den Verdacht erhärteten. Jüngst beschrieb die Leiterin des Zentrums für neue Infektionskrankheiten am Wuhaner Institut gegenüber einer Journalistin von "Scientific American", dass sie die Genomsequenzen der Erreger von Infizierten mit den Viren in ihrem Labor verglichen hätte - es habe keine Übereinstimmung gegeben. (Lesen Sie hier den Text in "Scientific American" .)
Die Zweifel nehmen dennoch kein Ende. Grund: Die Nachrichten über die Bekämpfung des Virus in China waren lange Zeit widersprüchlich. Ärzte, die im vergangenen Dezember in Wuhan erste Verdachtsmomente auf das Virus meldeten, wurden von lokalen Behörden gemaßregelt. Der mittlerweile an den Folgen seiner Covid-19-Erkrankung gestorbene Arzt Li Wenliang wurde von der Polizei gerügt, weil er angeblich "Gerüchte" über das Coronavirus verbreitet hatte.
Im Verlaufe des Januar steuerte die kommunistische Führung in Peking dann um, ergriff drastische und weltweit beachtete Quarantänemaßnahmen. Inzwischen versucht der Einparteienstaat sein Image mit Hilfslieferungen in alle Welt aufzupolieren.
Deutsche Außenpolitiker bleiben angesichts der massiven Pekinger PR-Anstrengungen misstrauisch, die jetzt auch in einem umstrittenen EU-Report thematisiert werden. Sie plädieren für eine internationale Expertenkommission, die der Labor-Theorie in Wuhan nachgeht. "Eine unabhängige Untersuchung ist schon deshalb angebracht, um Verschwörungstheorien Einhalt zu gebieten", sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid. Er setzt sich damit ein Stück weit von der von seiner Partei mitgetragenen Bundesregierung ab. Wie in anderen Fällen auch - zum Beispiel beim Ebola-Ausbruch in Afrika - könne die internationale Gemeinschaft aus Prüfung unter der Ägide der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schlussfolgerungen ziehen - zur Vermeidung und Bekämpfung von Pandemien. "Dies liegt im Interesse von uns allen - auch von China", so der SPD-Politiker.
Doch wann soll die Untersuchung stattfinden? Auf der abwartenden Linie der Bundesregierung liegt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Nobert Röttgen. Es gebe im Moment andere Prioritäten als die Klärung der Schuldfrage. Aber auch der CDU-Politiker sagt: "Zu einem späteren Zeitpunkt muss es aber eine unabhängige internationale Untersuchung geben - schon aus Gründen der Vorbeugung." Man dürfe diese Frage "weder den Interessen einzelner Staaten" noch den "Verschwörungstheoretikern" überlassen.
Wie weit sind Chinas Erklärungen zu Wuhan zu trauen? Und reicht es, wenn ein Institut in Wuhan, das einen Ruf zu verlieren hat, selbst eine interne Untersuchung vornimmt? Der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour wirft China vor, die Aufklärung derzeit zu verhindern. Die Bundesregierung müsse sich daher "laut denen anschließen, die von der Volksrepublik die überfällige Transparenz über die Entstehung des Virus fordern".
Die WHO steht mitten im Deutungskampf darüber, wer was wann wusste. US-Präsident Donald Trump hält der Uno-Organisation vor, zu spät über das Virus informiert zu haben. Auch wenn Trump von seinen eigenen Fehlern ablenken wolle, so müsse die Rolle der Uno-Organisation davon unabhängig gesehen werden, sagt der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. Die Rolle der WHO im Umgang mit China "muss lückenlos aufgeklärt werden, sonst hat diese wichtige Organisation auf Dauer ein Glaubwürdigkeitsproblem", sagt er.
Der Liberale, der im vergangenen Sommer einen kühlen Empfang als Mitglied einer FDP-Delegation in der Internationalen Abteilung der Kommunistischen Partei in Peking erlebte, macht sich keine Illusionen: Nur internationaler Druck werde Chinas Führung bewegen. Seine Forderung richtet sich an den deutschen Außenminister Heiko Maas. Der SPD-Politiker sollte sich dringend für eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzten - "und zwar eine, die nicht von der WHO selbst geleitet wird".