CSU-Hochburg Rottal-Inn Wo einem der "Lattengustl" um die Ohren fliegt

Der Wahlkreis Rottal-Inn in Niederbayern gehört zu den schwärzesten der Republik. Hier stoßen Stoibers Ost-Attacken auf Begeisterung. Heimat, Religion und Staatsregierung sind fast austauschbar - dennoch rumpelt es im CSU-Paradies manchmal gewaltig.
Von Alexander Schwabe

Landau - Die Lage der Parteizentralen spiegelt die politischen Verhältnisse im Wahlkreis Rottal-Inn wider. Die Räume des CSU-Bundestagsabgeordneten Max Straubinger liegen hoch über der Isar am Marienplatz der Oberstadt von Landau in Niederbayern. Das Wahlkreisbüro seines Konkurrenten Florian Pronold, SPD, liegt weit unten am Spitalplatz. Straubinger holte bei der letzten Bundestagswahl 73,04 Prozent der Erststimmen, Pronold 17,7 Prozent - weshalb ihm die CSUler schadenfroh den Beinamen "Flop" verpassten.

Wenn Straubinger aus dem Fenster schaut, hat er einen Blick über den Gäuboden bis zum Bayerischen Wald. Entsprechend rosig sind seine Aussichten bei der voraussichtlichen Wahl am 18. September: Auch ohne den Stoiber-Faktor von 2002 dürfte er wieder auf ein Ergebnis von über 70 Prozent kommen.

Wenn Pronold aus seinem Wahlkampfbüro schaut, so sieht er lediglich die Metzgerei "Schönhärl" und das leicht verwitterte Gebäude des Schuhmachers "Michtl" auf der anderen Straßenseite. Wenn er scharf hinguckt, kann er im Schaufenster der "Landauer Neuen Presse" schräg gegenüber vom nächsten Event des berühmtesten Sohnes der Gegend lesen: Auf einem Plakat wird die "größte Daniel-Küblböck-Party der Welt" in dessen Heimatstadt Eggenfelden angekündigt, die zu Rottal-Inn gehört. Trostlose Perspektiven.

Pronold gibt sich dennoch optimistisch: "Ich habe die schwierigsten Bedingungen im schwärzesten Wahlkreis Deutschlands - aber auch das größte Entwicklungspotential." Damit sich dieses möglichst nicht entfaltet und der Stimmenunterschied zwischen CSU und SPD bei mehr als 50 Prozent bleibt, bekommt Straubinger Schützenhilfe aus München.

"A netta Moo"

An diesem Tag ist Erwin Huber mit ihm unterwegs. Und von ihm heißt es allerorten: "Des is a netta Moo." Wann immer der Staatsminister der Stoiber-Regierung in seine heimatlichen Gefilde kommt, schwelgt der gemeine Niederbayer im Siebten Himmel. Denn der Huber Erwin ist einer von ihnen, und er streichelt das niederbayerische Ego so sehr, dass dem Wähler in der Provinz gehörig der Kamm schwillt.

Huber lobt Land und Leute über den Schellen-König. Das Bier habe "erste Qualität", BMW - mit rund 20.000 Mitarbeitern im Werk Dingolfing wichtigster Arbeitgeber im Wahlkreis - keine Absatzprobleme, die bayerischen Schüler und die niederbayerischen im Besonderen seien bei Pisa ohnehin die Besten der Republik, in Mathe nur einen Punkt hinter Japan, aber 64 vor Bremen. Die Arbeitsplätze in der Gegend seien gut und sicher (die Arbeitslosenquote liegt bei rund fünf Prozent). "Wir können uns auf die Schulter klopfen", sagt der Staatsminister. Die Erfolgsgarantie liegt für ihn begründet im Himmel wie auf Erden: "Der liebe Gott hat den Niederbayern besonders viel mitgegeben", frohlockt er und außerdem "samma hoid Hund, mia Niederbayern".

Niederbayern - in den fünfziger Jahren noch das Armenhaus des Freistaats - erklärt Huber gern zur "Aufsteigerregion". "Was wir hier bauen, ist Weltspitze", ruft er in die Bierzelte landauf landab, "deshalb dürfen wir auch stolz sein". Kräftiger Applaus. "Wenn i in den USA bin und da 'talke'", sagt der Huber, "do frogt 'der Ami': 'Ja, wos is denn mit Daitschlond los?' Do sog i: 'I kimm aus Bayern.' Do sogt der Ami: 'Bayern is good!'" - wieder Applaus - weltweite Wertschätzung schätzt das Wahlvolk mindestens so sehr wie das Abwatschen von Gysi und Lafontaine als "politische Schaukelburschn".

Laptop und Lederhose

Die CSU hat es geschafft, zu einem Teil des Lebens der Menschen geworden zu sein, weil sie eine Symbiose von Hightech-Fortschritt und heimatlicher Tradition, von Laptop und Lederhose, verkörpert. Die Begriffe Heimat, CSU, Staatsregierung, Stammtisch und Verein sind für viele der 220.000 Einwohner im ländlichen, 2200 Quadratkilometer großen Wahlkreis Rottal-Inn austauschbar.

Den Honoratioren gelingt es immer wieder, den Menschen das Gefühl zu geben, sich um sie zu kümmern. "Der Straubinger Max ist auf jedem Fest und schüttelt jedem die Hand", sagt Susi Süß, Reporterin der "Landauer Zeitung", ganz angetan. Auch Rolf Hinrichs, der Geschäftsführer der gräflichen Brauerei Arco in Adldorf, lobt den Mann, der seit 1994 das Direktmandat im Wahlkreis holt. "Der Straubinger macht was", sagt er begeistert, "der ruft mich an und fragt: 'Wollen Sie nicht ein paar Fass Bier an die CSU-Landesvertretung nach Berlin liefern?'"

Kein Wunder, dass Straubinger bei der Einweihung der neuen Brauereihalle dem Hause Arco die Ehre gibt, sich für die Bierlieferung nach Berlin bedankt, und die gräfliche Linie in einer etwas verqueren Logik in die Tradition der Hoflieferanten stellt.

Das Volk mag es auch, wenn sich Straubinger stolz als "Initiator eines Parlamentarischen Schafkopfturniers in der Bayerischen Landesvertretung" preist, eine Aktion, die bayerische Lebensfreude nach Berlin bringe. Das kommt an in Niederbayern, wo das legendäre "Mir san mir"-Gefühl so extrem ausgeprägt ist, dass sogar die Hauptstädter in München scheel angeschaut werden. "Dia Minganer san die boarischn Praisn", sagt Franz Falter, der Festzelt-Wart der gräflichen Brauerei.

Es liegt nahe, dass in diesem geschlossenen Kosmos die Äußerungen des Ministerpräsidenten Edmund Stoiber über die frustrierten Wähler im Osten und die dummen Kälber, die ihren Metzger selbst wählen, ankommen. Über Semantik lasse sich zwar streiten, räumt Straubinger ein, doch hier sei jedem klar, dass die Linkspartei eine Gefahr für Deutschland sei.

Oberdeppen und Rindviecher

Doch die scheinbar heile Welt in Niederbayern hat Risse. Ein, zwei kurze Unterhaltungen mit Kommunalpolitikern genügen, um Gehässigkeiten und Beleidigungen zu gewahren. "Jo mei, des is a Oberdepp" oder "der is a rechts Rindviech", so äußern sich Politprominente unter dem Siegel der Verschwiegenheit über Politprominente.

Einen SPD-Bundestagskandidaten, der aus der Region, aus Deggendorf, kommt, empfindet die breite Mehrheit als einen politischen Preußen. Hans-Jochen Vogel, ehemaliger Vorsitzender der SPD, räumt ein: "Uns ist es in Niederbayern nicht gelungen, die unmittelbare Präsenz unter den Menschen zu erhalten. Akademiker, die nur fleißig den SPIEGEL lesen oder ihn ständig zitieren, sind für diese Aufgabe weniger geeignet."

Pronold ist von Beruf Rechtsanwalt. Doch obwohl die Machtverhältnisse klar sind, ist der 32-jährige Jurist für den 51-jährigen Straubinger ein Störfaktor. Pronold sagt ganz selbstbewusst: "Er ist fleißiger geworden, seit ich hier bin - das sagen mir CSU-Leute."

Straubinger, der rein äußerlich stark an den polnischen Arbeiterführer Lech Walesa erinnert, demonstriert derweil Gelassenheit. Wenn man ihn auf seinen jungen Konkurrenten anspricht, lehnt er sich im Büro seiner Versicherungsagentur, das auch sein Wahlkreisbüro ist, erst einmal zurück. Er lächelt süffisant, die Fingerspitzen beider Hände tippen vergnügt vor seinem Schnauzer gegeneinander. "Ich halte nichts von ihm", sagt er dann. Politik könne man nicht mit "Mätzchen" machen. Pronold sei eine "vorpubertäre Erscheinung", ein "Politclown" im Stile des FDP-Chefs Guido Westerwelle.

Vor einigen Tagen hatte Pronold Straubinger einen "kleinen Feigling" zukommen lassen. Mit dem Mini-Wodka wollte er sich dafür revanchieren, dass Straubinger nicht bereit war, an einer Podiumsdiskussion mit ihm auf Einladung des DGB teilzunehmen. Doch Straubinger blieb stur: "Mit Leuten, die mich vor der letzten Wahl einen Schläfer und Schnarcher genannt haben, setze ich mich nicht an einen Tisch!"

Die SPD stänkert emsig zurück. Die Kreisvorsitzende Renate Hebertinger nennt den Platzhirsch "mimosenhaft", und Pronold, der die gutbayerische "Kultur des Hinlangens" keineswegs verabscheut, kontert: "Wenn ich bei jedem Angriff beleidigte Leberwurst spielen würde, könnte ich eine Metzgerei aufmachen."

Schwarz wie im Kohlenkeller

Möglicherweise einen ganzen Schlachthof. Denn Pronold wird auch von weiteren Entscheidungsträgern geschnitten in einem Wahlkreis, in dem nach Einschätzung von Lokaljournalistin Süß "sechs Siebtel der Menschen so schwarz sind, dass sie im Kohlenkeller keine Schatten werfen". Er scheint den stramm Schwarzen ein rotes Tuch zu sein. Dreieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl 2002 habe der in Straubing ansässige Verleger der örtlichen Zeitung einen Bann über ihn verhängt, sagt Pronold. Sein Name habe nicht mehr gedruckt werden dürfen. "Stimmt nicht", sagt Verleger Martin Balle, man habe die lokale "Landauer Zeitung" nur angewiesen, "den Pronold auf ein normales Maß zu stutzen". Beim verantwortlichen Lokalredakteur sei dies falsch verstanden worden. Das Missverständnis sei jedoch schnell ausgeräumt worden. "Dass wir jemanden totschweigen, gibt es nicht", so Balle.

"Nein, den Pronold haben wir nicht eingeladen", heißt es bei der Einweihung der neuen Brauereihalle. Der sei ja nicht beliebt. Von Monica Gräfin von Arco auf Valley, eine aus dem Westfälischen nach Adldorf eingeheiratete Dame aus dem Hause Droste zu Vischering, heißt es im Wahlkreis, sie habe der SPD Hausverbot in ihren Bierzelten erteilt. "Stimmt nicht", sagt Geschäftsführer Hinrichs. "Unser Bier fließt durch schwarze und rote Kehlen gleich gut."

Hinrichs - von der einfachen Dorfbevölkerung respektvoll mit "Herr Direktor" angesprochen - will der lokalen Zeitung entnommen haben, dass Pronold bei den "Antichristen" ein Grußwort gesprochen hat. Doch Pronold ist keineswegs mit dem Teufel im Bund. Er machte lediglich dem "Bund für Geistesfreiheit" seine Aufwartung, eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die sich die Trennung von Staat und Kirche auf die Fahnen geschrieben hat, und deren Mitglied er ist.

Dass sich der ehemalige Landesvorsitzende der bayerischen Jusos als Agnostiker sieht und nicht zu den 94 Prozent Katholiken im Wahlkreis Rottal-Inn gehört, gereicht ihm nicht unbedingt zum Vorteil. Und dass er vor rund zehn Jahren in einem Satirebeitrag zum Kruzifixurteil frech vom "Lattengustl" in den Klassenzimmern sprach, haut ihm Straubinger in seinen Wahlreden noch heute um die Ohren.

Dennoch ist bei den Genossen trotz schwarzer Zukunft von Selbstmitleid nichts zu spüren. Sie stecken sich hohe Ziele. "Alles über 20 Prozent wäre super", sagt die Kreisvorsitzende. Und Pronold macht sich Mut: "Wenn man lange genug gegen Windmühlen kämpft, fällt mal ein Flügel ab." Doch Straubinger höchstens ein Zacken aus der Krone.

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