CSU-Parteitag Horst, der Herrscher
München - Kürzlich brachte das CSU-Parteiorgan "Bayernkurier" eine Eloge auf den Vorsitzenden, zu dessen Sechzigstem.
Zugegeben, das klingt jetzt wenig überraschend. Doch Verfasser Peter Hausmann, einst Kohls Regierungssprecher, formulierte darin den schönen Satz, man dürfe heute nicht nur Horst Seehofer gratulieren, "sondern auch der Partei, dass er sich in die Pflicht nehmen ließ".
Man kann getrost davon ausgehen, dass Horst Seehofer selbst das genauso sieht.

CSU-Chef Seehofer: "Begnadeter Instinktpolitiker"
Foto: DDPDenn 2007 wollte die CSU ihn nicht als Vorsitzenden, wählte Erwin Huber - und dann, in der Stunde der 43-Prozent-Not nach der Landtagswahl 2008, blieb nur noch er, der Rebell aus Ingolstadt. Also riefen sie ihn.
Und jetzt müssen sie spuren.
Seehofer duldet keine Nachlässigkeiten. Jeden Dienstag müssen die elf bayerischen Minister und sechs Staatssekretäre zum Rapport in seiner Staatskanzlei antreten. Vollzählig. Offiziell firmiert die Veranstaltung als Kabinettssitzung. Gern gehen eigentlich nur die drei FDP-Regierungsmitglieder hin. Sie können dann zuschauen, wie Seehofer die eigenen Leute zusammenstaucht.
Aktivierende SMS vom Chef
Zuletzt erwischte es Umweltminister Markus Söder und Innenstaatssekretär Bernd Weiß. Weiß musste die Runde wegen eines Termins eine Dreiviertelstunde früher verlassen, schriftlich hatte er sich entschuldigt. Doch als Weiß weg war, soll Seehofer mit Rauswurf im Wiederholungsfall gedroht haben, berichten Teilnehmer. Söder seinerseits war ebenfalls wegen eines Termins formell abgemeldet - Seehofer beorderte ihn dann per SMS aus Nürnberg zurück. Kurz darauf raste Söder auf der A9 gen München.
Überhaupt, die SMS als Herrschaftsinstrument: Wer lange nichts von sich hören lässt - in Presse, Funk oder Fernsehen - der bekommt schon mal eine aktivierende Kurznachricht vom Chef. In der Öffentlichkeit lächelt Seehofer dann sybillinisch und streut Sätze ins Gespräch ein wie diesen: "Pünktlichkeit ist eine Grundtugend bei uns, genauso wie die Anwesenheit."
Horst, der Herrscher.
Wie führt ein Mann die Partei, der ewig Rebell war? Seehofers Stärke liegt im Erspüren von Stimmungen. "Wenn der Seehofer in einen Raum kommt, weiß er innerhalb von Sekunden, wie die Leute ticken. Er ist ein begnadeter Instinktpolitiker", konstatiert ein gegnerischer Fraktionschef voller Hochachtung. Seehofer wandele "auf dem schmalen Grat zwischen Populärem und Populismus", lobt FDP-Koalitionspartner und Vize-MP Martin Zeil.
Wo sich Vorvorgänger Stoiber mit Aktenstapeln fürs politische Leben wappnete, saugt Seehofer Atmosphärisches auf. Stoiber regierte, Seehofer reagiert. Stundenlang kann er im Landtag sitzen und zuhören, auf seinem Tisch keine einzige Akte. Er kann die Stimmung in einem Bierzelt drehen, kann renitente Ärzte und Bauern zum Applaudieren bewegen. Kaum ein deutscher Politiker ist so sprachmächtig wie der nicht studierte Seehofer; die promovierte Naturwissenschaftlerin Merkel schon lange nicht. Wo sie analysiert, hat er seine Instinkte. "Gesunder Menschenverstand", sagt er. Sie kann ihn nicht fassen. Stoiber war auch widerständig - aber berechenbar.
Bei Seehofer weiß Merkel nie, woran sie ist. Er nennt sie die "Herrin" und sich "Messdiener", "Knecht". Merkel steht dabei und weiß nicht, was tun. Soll sie lachen? Seehofer lacht. Eine politische Künstlernatur hat ihn Peter Gauweiler genannt.
Und Künstler leben ihre Stimmungen aus. Merkel habe zehn Ministerpräsidenten, auf die sie achten müsse, "ich hab' schon genug mit mir zu tun", sagt er. Und lacht schallend. Seehofer, der Wankelmütige. Die Bevölkerung ist gegen die grüne Gentechnik? Seehofer dreht die Partei, verordnet eine neue Linie. Den Leuten ist Europa fern und suspekt? Seehofer fordert Volksabstimmungen.
Die Parteifreunde folgen. Weil ihnen Seehofers Kurs ein formidables Europa-Wahlergebnis beschert hat. Weil er die kleine CSU wieder zum mächtigen Widerpart der Merkel-CDU aufgepumpt hat. Und weil er so rasant und unberechenbar Politik macht, dass sie keine Chance haben, ihn zu überholen.
Aus der behäbig-berechenbaren CSU habe er die "Seehofer-Partei" gemacht, schlussfolgerte zutreffend die "FAZ": Schnelle inhaltliche Positionswechsel, drastische Verjüngung. Es ist, als ob in einen seit Jahrzehnten zuverlässig dahintuckernden 200er Diesel-Mercedes ein V8-Aggregat eingebaut worden wäre. Das blubbert jetzt gewaltig und man weiß nicht so recht, ob es das Gefährt nicht irgendwann vor lauter Kraft einfach zerlegt. Eine Menge Vortrieb aber bringt es fürs Erste in jedem Fall.
Poltern gegen die eigenen Leute
Bei allem Wankelmut - eine politische Grundkonfiguration hat Seehofer, der Sohn eines Lastwagenfahrers. Die kleinen Leute stehen im Zentrum, oder wie sie es in Bayern nennen: die Leberkäs-Etage. Beispiel Quelle: Seehofer wollte schnell helfen, CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg meldete ordnungspolitische Bedenken an. Da polterte Seehofer öffentlich gegen den eigenen Mann. In Berlin erwecke man den Eindruck, "als würde die bayerische Staatsregierung leichtfertig mit Steuergeldern umgehen".
Dabei bedient sich der Freiherr derselben Techniken wie einst Seehofer selbst: Er bleibt stur bei seiner Linie, im Zweifel auch gegen die eigene Partei. Guttenberg ist der einzige in der CSU, der sich von Seehofer nicht abhängen lässt, ihm sogar den Kurs diktieren kann. Man wird am Wochenende von Nürnberg mal wieder die Applausintensität für die Protagonisten vergleichen. Fraglich allerdings, ob dabei das Duell Merkel vs. Seehofer im Vordergrund steht. Denn Guttenberg vs. Seehofer könnte auch lohnend sein.
Merkel konnte auf dem letzten CSU-Parteitag das Tandem Huber/Beckstein und deren Forderungen nach der Pendlerpauschale abkanzeln, weil sie gleichzeitig dem Freistaat huldigte : "Bayern ist da, wo der Bund hin will." Die Delegierten jubelten ihr in fast schon masochistischer Vehemenz zu. Durch die Gänge streifte damals Seehofer. "Die Kanzlerin hat sich prächtig präsentiert", sagte er. Und er meinte: Sie hat uns eine Lehrstunde verpasst.
Das soll 2009 nicht passieren. Sicher, Merkel wird Jubel ernten, Wahlkampf bedeutet schwarz-schwarzen Schulterschluss. Und Seehofer wird sich wieder in Knecht-Messdiener-Metaphorik üben. Doch während Merkel 2008 der CSU den Kurs diktieren konnte, nimmt sich die Seehofer-Partei 2009 einfach, was sie will. Merkel mag kein konkretes Datum für Steuersenkungen ins gemeinsame CDU/CSU-Wahlprogramm schreiben ? Macht die CSU eben noch einen eigenen Wahlaufruf.
Konflikte um Steuerentlastung und Europapolitik , Wende bei der grünen Gentechnik, Druck auf die eigenen Leute: Seehofer lebt auf den 27. September 2009 hin, den Tag der Wahl. "Die Wahrheit liegt in der Urne", ist sein Standardsatz. Neulich, auf der offiziellen Feier seines 60. Geburtstags, da sprach Seehofer über "eines meiner letzten großen politischen Ziele". Es folgte dann aber nicht der klassische Wunsch, Bayern noch schöner, stärker und schlauer zu machen, sondern Seehofer wünschte sich Prozente: Er wolle "den Politologen den Gegenbeweis führen, die sagen, das Zeitalter der Volksparteien sei vorbei".
Und wenn er dieses letzte, große Ziel im Herbst erreicht haben sollte, wenn die CSU bei den magischen 50 Prozent landet? Spontane Fluchtgedanken? Nach der Bundestagswahl findet in Bayern vier Jahre keine Wahl mehr statt. Für Seehofer eine Durststrecke. Manche im politischen München meinen, der Ministerpräsidenten-Kandidat der CSU im Jahr 2013 werde vielleicht gar nicht Seehofer heißen.
Quatsch, sagen die Seehofer-Leute. Wenn man den Gegenbeweis in Sachen Volkspartei führen wolle, dann müsse man das bei der Landtagswahl machen. Seehofer wolle doch neben Strauß und Stoiber in die Geschichtsbücher eingehen.