EU-Auswertung Darum ist Deutschland das Topziel für russische Fake News

Mehr als 700-mal haben russische Medien seit 2015 Falschinformationen über Deutschland verbreitet, analysiert die EU in einem Bericht, der dem SPIEGEL vorliegt. Gerade in den vergangenen Wochen sei die Lage eskaliert. Warum?
Von Markus Becker, Brüssel
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsident Wladimir Putin (Foto vom Januar 2020)

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsident Wladimir Putin (Foto vom Januar 2020)

Foto: Pavel Golovkin / EPA-EFE / REX

Kein EU-Land wurde in den vergangenen Jahren häufiger Ziel von Falschinformationen russischer Medien als Deutschland. Das legt ein Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) nahe. Die Auswertung liegt dem SPIEGEL vor.

Der Erhebung zufolge hat die »East StratCom Task Force« des EAD seit Ende 2015 mehr als 700 Fälle registriert, in denen russische Medien Falschinformationen über Deutschland verbreitet haben – mehr als doppelt so viel wie über Frankreich (mehr als 300) und etwa viermal so viel wie über Italien (mehr als 170 Fälle). Spanien war mehr als 40-mal betroffen.

Der Grund dieser Verteilung, so glaubt man beim EAD, ist nicht nur, dass Deutschland das größte Mitgliedsland der EU ist. Sondern auch, dass Moskau Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit offenbar für russlandfreundlicher halte als in anderen EU-Staaten. Der Kreml »beutet die Dialogbereitschaft Europas und Deutschlands aus«, indem er sich stets gesprächsbereit gebe, zugleich aber Desinformations-Attacken gegen Deutschland und andere EU-Staaten erlaube und »Akte der Aggression gegen das russische Volk und Russlands Nachbarstaaten« begehe.

Zwar war Deutschland auch schon das Topziel von Fake News aus Russland, als das Onlineprojekt »EUvsDisinfo « des EAD 2015 seine Arbeit aufnahm. Zudem erhebt der EAD keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Man versuche, eher »Tendenzen und Kampagnen« zu erkennen als jeden Fake-News-Artikel zu erfassen, sagte ein Sprecher.

Dennoch sei die Sache zuletzt eskaliert – insbesondere seit dem Moskaubesuch des EU-Außenbeauftragten und EAD-Chefs Josep Borrell im Februar. Wenige Tage später, so heißt es in dem Bericht, habe »eine Kampagne begonnen«.

Ein Beispiel des EAD: Russische Medien berichteten, die Berliner Polizei habe drei Kinder im Alter von zwei, vier und sechs Jahren gewaltsam aus der Wohnung einer russischen Familie geholt und dem Jugendamt übergeben. Die Polizei gab laut EAD als Grund für die Maßnahme die »aufgefundene Situation in der Wohnung« an – und dass die Beamten von den Eltern getreten, geschlagen und bespuckt worden seien. Laut der nationalistischen russischen Website »Tsargad« rief ein Polizist dagegen angeblich der Mutter zu: »Das ist für Nawalny.«

Im Zusammenhang mit dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny seien zuletzt weitere Fake News verbreitet worden, heißt es im EAD-Bericht. So hätten russische Staatsmedien behauptet, Nawalnys Frau Julija sei kürzlich »für Instruktionen« nach Deutschland gereist. Wenig später hätten russische Medien ein gefälschtes Dokument verbreitet, laut dem Nawalnaja deutsche Staatsbürgerin sei.

Weiteres Kapitel im Streit zwischen Brüssel und Moskau

Nawalny – inzwischen in Russland zu einer Haftstrafe verurteilt – ist überzeugt, dass die russische Führung um Präsident Wladimir Putin für den Anschlag auf sein Leben verantwortlich ist. Nach Recherchen des SPIEGEL und weiterer Medien waren mindestens acht Agenten des russischen Geheimdienstes FSB offenbar am Giftanschlag auf Nawalny beteiligt . Die russische Regierung weist dies von sich.

Der zeitliche Zusammenhang des EAD-Berichts mit der Moskaureise Borrells ist kaum übersehbar. Der Spanier hatte dort die Verletzung von Menschenrechten und den Giftanschlag auf Nawalny kritisiert.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte Borrell danach vor laufenden Kameras gedemütigt;  Russlands Regierung gab zudem die Ausweisung dreier europäischer Diplomaten bekannt – noch während Borrell in Moskau war. Dass der EAD ausgerechnet jetzt über russische Desinformation berichtet, kann als weiteres Kapitel im Streit zwischen Brüssel und Moskau gelesen werden.

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