Streit über Meldegesetz Plötzlich sind alle Datenschützer

Streit über Meldegesetz: Plötzlich sind alle Datenschützer
Foto: Sebastian Kahnert/ dpaBerlin - Hans-Peter Friedrich erfährt dieser Tage, was es heißt, Innenminister zu sein. Sommerpause hin oder her - der CSU-Mann ist an etlichen Fronten unterwegs. Er plant eine Reform der Sicherheitsbehörden. Er will eine Neonazi-Datei aufbauen, um die rechte Gefahr zu bekämpfen. Und als wäre das nicht Arbeit genug, droht ihm jetzt auch noch Ärger bei einem vermeintlich harmlosen Thema: dem neuen Meldegesetz.
Das war vom Kabinett eigentlich längst auf den Weg gebracht. Auch ein besonders heikler Punkt schien gelöst: Nur mit ausdrücklicher Einwilligung, so formulierte es die Bundesregierung, sollten die Adressdaten der Bürger künftig gehandelt werden dürfen. Doch davon hielt der Innenausschuss des Bundestages offenbar nichts. Er verschärfte die Regelung und beschloss, dass die Bürger dem Datenhandel künftig aktiv widersprechen müssten - wohlwissend, dass sich diese Mühe kaum jemand macht. Ende Juni segnete der Bundestag die neue Regelung mit schwarz-gelber Mehrheit ab - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit (die konkreten Folgen für die Bürger lesen Sie hier).
Jetzt wird heftig gestritten. Datenschützer rebellieren gegen das "Geschenk für die Werbewirtschaft", die Opposition schäumt, und CSU-Chef Horst Seehofer kündigt an, das Gesetz im Bundesrat kippen zu wollen. Vor allem Seehofers Wortmeldung sorgte am Montag dafür, dass Friedrich die Orientierung verlor. Während der Innenminister die Parlamentarier am Morgen noch verteidigte, sah das mittags nach einer Sitzung des CSU-Vorstands in München schon ganz anders aus. "Ich gehe davon aus, dass es noch Änderungen geben wird im Bundesrat", sagte Friedrich plötzlich.
Eine kleine Beruhigungspille für die Kritiker.
Friedrichs Glück: So wie er wurde offenbar auch der Rest des Kabinetts von der Debatte überrascht. Erst jetzt scheint die Bundesregierung die Brisanz erkannt zu haben - und distanziert sich von der Widerspruchs-Regelung. Das Parlament habe eine Veränderung vorgenommen, "die nicht mit uns abgesprochen gewesen ist", kritisiert CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Man hoffe, dass der Entwurf doch noch geändert werde und der Datenschutz einen größeren Raum erhalte, sagte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert. Die Botschaft: Wir haben mit der Verschärfung nichts zu tun.
Formulierungshilfe aus dem Innenministerium
Völlig überraschend kann die Volte des Parlaments für die Bundesregierung allerdings nicht gekommen sein. Zumindest Innenminister Friedrich hätte ahnen können, was die Abgeordneten planen. Sein Haus gab den Experten im Bundestag eigens eine sogenannte Formulierungshilfe für die angestrebte Änderung. Am 16. Mai 2012 verschickte das Innenministerium den beteiligten Parlamentariern ein im Referat "Meldewesen" erarbeitetes Papier. Darin enthalten war auch jene umstrittene Widerspruchs-Lösung.
Kritik an der schriftlichen Unterstützung will man im Hause Friedrichs nicht gelten lassen. Es handele sich dabei um einen normalen Vorgang, heißt es. Man sei lediglich "Hilfsorgan" gewesen. Die Initiative für den Änderungsvorschlag sei eindeutig mal aus dem Bundestag gekommen.
Die FDP schlachtet die E-Mail genüsslich aus. Sie gilt den Freidemokraten als ein Beleg dafür, dass das verschärfte Gesetz vor allem auf Druck der CSU zustande kam. Besonders der christsoziale Innenexperte Hans-Peter Uhl sei in Sachen Widerspruchs-Regelung "heftig unterwegs" gewesen, heißt es bei der FDP: "Und der Bundesinnenminister hat sich von ihm dahin bewegen lassen."
In der Union kontert man die Vorwürfe und verweist darauf, dass auch die Liberalen die Verschärfung im Innenausschuss mitgetragen hätten. Der zuständige Berichterstatter der FDP, Manuel Höferlin, habe seine Begeisterung für das neue Regelwerk sogar dokumentiert, heißt es.
FDP-Politiker will "lästige Einwilligungsanfragen" verhindern
Tatsächlich gab Höferlin in der Bundestagsabstimmung Ende Juni eine Rede zu Protokoll, die sich wie ein flammendes Plädoyer für die Widerspruchs-Regelung liest. Die Lösung stelle sicher, dass die Bürger "nicht dauernd mit lästigen Einwilligungsanfragen behelligt" würden, heißt es in der Rede. "Anstatt mit unbestimmten Rechtsbegriffen den Groll der Bürger und die Verunsicherung der Wirtschaft hervorzurufen, haben wir klare Tatbestände formuliert und bei Verstoß empfindliche Bußgelder vorgesehen."
Klar ist: Für die Liberalen, die sich gerne als Hüter der Bürgerrechte inszenieren, ist der Streit um das Meldegesetz mindestens ebenso unschön wie für die CSU. Dass ausgerechnet die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gisela Piltz die Änderungen im Innenausschuss als Obfrau absegnete, irritiert viele in der Partei. Piltz kümmert sich seit Jahren um den Datenschutz. "Das hätte ihr nicht passieren dürfen", heißt es in FDP-Kreisen. "Ich hätte mir einen klareren Kurs von der FDP gewünscht", kritisiert der Chef der jungen Liberalen, Lasse Becker.
Dass ein Großteil der Länder bereits angekündigt hat, das Regelwerk im Bundesrat zu kippen, ist für viele Liberale kein Trost. Der Grund: Viele Landesmeldegesetze kennen nicht einmal die Widerspruchs-Lösung beim Adressdatenverkauf. Becker sagt: "Sollten die Länder das Gesetz blockieren, erwarte ich von jeder Regierung, dass sie ihre eigenen Gesetze angeht."
Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU) warnt die Bundesländer davor, das neue Meldegesetz zu kippen. "Wenn die Bundesländer dieses Gesetz im Bundesrat scheitern lassen, haben wir keinen besseren Datenschutz, sondern gegenüber der bisherigen Rechtslage einen schlechteren", sagt er. Ähnlich sieht es CSU-Kollege Uhl. Er bezeichnet die Debatte als "Sturm im Wasserglas" und fügt mit Blick auf die laxe Handhabung in den Ländern hinzu: "Durch das Bundesmeldegesetz entsteht für alle 16 Bundesländer mehr Datenschutz."
Doch Bosbach und Uhl wissen auch: Wenn selbst die Bundesregierung auf Änderungen pocht, wird das Gesetz in der jetzigen Form den Bundesrat im Herbst wohl kaum passieren. Stattdessen dürfte bald wieder der Vermittlungsausschuss gefragt sein.