DDR-Verklärung "Mit dem Mauerfall aus dem Paradies vertrieben"
Hamburg - Was wissen ost- und westdeutsche Schüler über die DDR? Das war Fragestellung einer Studie, über die SPIEGEL ONLINE im Juli 2008 berichtet hat. In Fragebögen sollten Schüler Aussagen über die DDR zustimmen oder ablehnen, etwa: "Die Stasi war ein Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat." Im zweiten Teil sollten sie dann Wissensfragen beantworten: "Wann wurde die Berliner Mauer gebaut?" Oder: "Die Todesstrafe gab es bis 1987 in der ..."
Etliche der 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen gaben an, dass Willy Brandt und Konrad Adenauer DDR-Politiker waren. Dass es unter Erich Honecker demokratische Wahlen gab. Dass die Stasi ein harmloser Geheimdienst war. Die Mehrheit aller Schüler wusste nicht, wer die Mauer gebaut hat - viele tippten auf die Bundesrepublik oder die Alliierten. In der folgenden Fotostrecke sind die Studienergebnisse zusammengefasst.
Die eklatanten Wissenslücken der Schüler erschreckten den Autor der Studie, den Politologen Klaus Schroeder - und das Ergebnis sorgte für erhebliche Empörung. Nicht weil etliche Schüler keine Ahnung haben, was für ein System die DDR war. Sondern weil viele ehemalige DDR-Bürger offenbar keine Kritik am Honecker-Staat dulden.
"Viele Ostdeutsche begreifen jede Kritik am System als Angriff auf ihre eigene Person", erklärt Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin im Gespräch mit dem SPIEGEL. Und, so Schroeder, gegen eine Darstellung ihrer alten Heimat als "Unrechtsstaat" wenden sich heute offenbar auch Jüngere und Bessergestellte.
Mehr als 4000 Zuschriften hat der Politologe ausgewertet, eine Auswahl der teils aufgebrachten Kommentare zusammengestellt - und dabei Einblicke in die Gedankenwelt der enttäuschten und wütenden Bürger gewonnen.
"Aus heutiger Sicht glaube ich, wurden wir mit dem Mauerfall aus dem Paradies vertrieben", heißt es dort etwa. Das heutige Deutschland wird als "Sklavenstaat" oder "Diktatur des Kapitals" bezeichnet, einige Briefeschreiber lehnen die Bundesrepublik ab, weil sie kapitalistisch oder diktatorisch, jedenfalls nicht demokratisch sei.
Schroeder hält solche Äußerungen für bedenklich: "Ich befürchte, dass sich eine Mehrheit der Ostdeutschen nicht mit dem heutigen gesellschaftspolitischen System identifiziert."
Die Anthologie "Oh, wie schön ist die DDR" erscheint am 20. Juli im Wochenschau-Verlag. Der SPIEGEL druckt Auszüge vorab.