Debakel für Koch Dramatische Zitterpartie in Hessen - Ypsilanti erklärt sich zur Wahlsiegerin

Dramatischer Absturz: Die CDU in Hessen liegt hinter der SPD von Andrea Ypsilanti, die sich zur Wahlsiegerin erklärt. Amtsinhaber Roland Koch kontert, nichts sei entschieden. Denn laut Hochrechnungen gibt es ein Patt im Landtag - oder wegen der Linkspartei noch schwierigere Mehrheitsverhältnisse.

Berlin/Wiesbaden - Das wird ein langer Wahlabend in Hessen. Die Hochrechnungen sehen die CDU von Ministerpräsident Roland Koch knapp hinter der SPD von Herausforderin Andrea Ypsilanti: Demnach kommen die Sozialdemokraten laut ARD auf 37,2 Prozent, die Union auf 36,0 Prozent. Das ZDF sieht die beiden großen Parteien noch näher beieinander. Nach der Prognose der Forschungsgruppe Wahlen kommt die SPD auf 37,2 Prozent, die CDU auf 36,5 Prozent.

Für SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti reichten diese Zahlen, um sich kurz vor 19 Uhr zur Siegerin auszurufen: "Wir haben für eine andere politische Kultur gekämpft, und wir haben gewonnen!", rief sie in den Jubel ihrer Anhänger. "Die Sozialdemokratie ist wieder da." Die SPD habe gezeigt, dass man mit den richtigen Themen Wahlen gewinnen könne. Später fügte sie hinzu, Hessen habe oft knappe Ergebnisse und spannende Wahlabende erlebt, noch werde ausgezählt, aber die SPD sei stärkste Partei. Auch SPD-Chef Kurt Beck verkündete, er gehe von einem Regierungswechsel in Hessen aus.

CDU-Amtsinhaber Roland Koch konterte eine halbe Stunde später: Fernsehauftritte könnten nicht über Wahlergebnisse entscheiden. "Die Regierung wird erst gebildet, wenn am Ende der Landeswahlleiter verkündet." Er sage das "mit Anerkennung und Respekt durchaus für Ergebnisse anderer Parteien". Natürlich sei das CDU-Ergebnis "nicht einfach für uns und auch für mich persönlich". Er erkläre sich den SPD-Erfolg damit, dass die Partei nach vielen Jahren wieder mehr Anhänger für die Wahl mobilisiert habe.

Noch keine klaren Machtverhältnisse im Landtag abzusehen

Ypsilantis und Kochs Problem: Noch ist keineswegs sicher, wer in Hessen künftig in welcher Konstellation regieren wird - es gibt eine Zitterpartie, im Landtag zeichnen sich bisher keine klaren Machtverhältnisse ab.

Die FDP wird laut der Hochrechnungen von ARD und ZDF drittstärkste Kraft: Die Liberalen erreichen in Hessen knapp über 9 Prozent, die Grünen kommen auf weniger als 8 Prozent. Die Linke liegt ganz knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Wegen dieses Einzugs der Linkspartei gäbe es keine Mehrheit für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Sondern nur entweder für eine Große Koalition, eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen oder ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken.

Und selbst wenn es die Linkspartei am Ende doch nicht in den Landtag schafft, droht wegen des knappen Ergebnisses - SPD leicht vor CDU, FDP leicht vor Grünen - ein Patt zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Landtag.

Eine schwarz-gelbe Koalition hatte bereits von 1999 bis 2003 in Wiesbaden bestanden - zuvor wurde Hessen von einem rot-grünen Bündnis regiert. Bei der Landtagswahl im Jahr 2003 hatte die CDU unter Koch mit 48,8 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit errungen. Die SPD musste damals mit 29,1 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt in Hessen verkraften. Die Grüne kamen auf 10,1 Prozent, die FDP auf 7,9 Prozent. Die Linkspartei tritt in Hessen zum ersten Mal an.

SPD und CDU hatten sich in Hessen in den vergangenen Wahlkampfwochen einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Besonders die von Regierungschef Koch geführte Kampagne zum Thema Jugendkriminalität hatte für emotionale Auseinandersetzungen gesorgt. Das linke Lager hatte Koch vorgeworfen, mit ausländerfeindlichen Ressentiments zu spielen.

In einer ersten Reaktion wollte der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) die Hoffnung auf einen Wahlsieg seiner Partei noch nicht aufgegeben. Im ZDF sprach er von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD. Die Stimmenverluste der Christdemokraten erklärte er damit, dass es der Partei nicht gelungen sei, ihre Wähler ausreichend zu mobilisieren.

Hessens CDU-Fraktionschef Christean Wagner zeigt sich vom Ergebnis seiner Partei bei den Landtagswahlen enttäuscht. "Wir haben uns die Prognosen besser vorgestellt", kommentierte Wagner im ZDF die Stimmenverluste für seine Partei. Die CDU sei aber sehr besorgt darüber, dass Ministerpräsident Roland Koch (CDU) in diesem Wahlkampf "als Rassist, Hetzer und Brandstifter diffamiert worden ist", sagte Wagner. Auch CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg warf dem politischen Gegner eine "dramatische Diffamierung" von Roland Koch im Wahlkampf vor.

Hessens SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt bezeichnete das gute Wahlergebnis für die SPD als "Verdienst" von Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti. "Es ist eine Sensation", sagte Schmitt nach der ersten Prognose im Hessischen Rundfunk. Dies sei ein "perfekter Abend". Ob es zum "Wunder" reiche, werde sich noch zeigen.

Der Landes-Geschäftsführer der Grünen in Hessen, Kai Klose, dagegen legte sich bereits fest. "Die klare Botschaft des Tages ist: Roland Koch ist abgewählt", sagte Klose nach der ersten Hochrechnung. "Wir haben in den letzten Wochen unter der Polarisierung zwischen den beiden Großen ein Stück weit gelitten und Federn gelassen", kommentierte Klose das Abschneiden seiner Partei.

Die Wahlbeteiligung lag laut ARD-Vorhersage mit 65 Prozent knapp über den 64,6 Prozent vor fünf Jahren. In Hessen waren rund 4,37 Millionen Bürger zur Wahl aufgefordert.

phw/AFP/dpa/AP

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