Debatte über Arabiens Zukunft Merkel gibt Ägyptern Revolutionstipps

Merkel in München: Authentizität qua eigener Geschichte
Foto: dapdDie Kanzlerin kennt sich da aus. Sie hat ja auch schon eine Revolution hinter sich. "Wenn Sie in einem solchen Umbruchprozess sind, dann kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen", sagt . Sie denkt an ihre eigenen Erfahrungen während der Wende in der DDR. Und sie bringt das jetzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit Blick auf die in Erinnerung.
Die Ex-DDR-Revolutionärin Merkel hat eine Botschaft für die Oppositionellen auf Kairos Tahrir-Platz und anderswo: Macht mal schön langsam und ordentlich, eins nach dem anderen. Dann klappt's auch mit dem Übergang zur Demokratie.
Und das geht so:
Merkel-Lektion 1: In der Ruhe liegt die revolutionäre Kraft
Ach, die Kanzlerin von heute weiß noch zu gut, wie ungeduldig die Oppositionelle Merkel von damals war: "Wir haben keinen Tag warten wollen, wir wollten die D-Mark sofort, wir wollten mit der Einheit nicht warten", berichtet sie in München. Am 3. Oktober 1990 sei man dann aber doch ganz froh gewesen, dass ein paar Leute die Sache ordentlich durchdacht hätten. Heißt für Ägypten heute: "Wandel muss gestaltet werden."
Merkel-Lektion 2: Erst die Strukturen, dann die Wahlen
Eine geordnete Machtübergabe in Kairo - das ist Merkels zentrale Forderung. Und freie Wahlen? "Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch", sagt sie. Zuerst einmal brauche es Strukturen. Auch hier hat sie ein Beispiel von 1989/90 parat. Ihre damalige Partei, der "Demokratische Aufbruch" (DA), habe zwar gute Ideen gehabt, konnte die Gesellschaft mangels Strukturen damit aber nicht durchdringen: "Meine Partei hatte am Ende 0,9 Prozent."
Merkel-Lektion 3: Die Ägypter mal machen lassen
Es sei ein erster guter Schritt von Ägyptens Präsident
gewesen, dass er keine weitere Amtszeit mehr anstrebe, sagt Merkel. Das genügt ihr und den anderen Europäern offenbar, eine explizite Rücktrittsforderung an Mubarak hat bisher keiner formuliert. Merkel sagt denn auch, ein "totales Machtvakuum im Übergangsprozess" sei eine missliche Sache. Klar ist: Es werde sich "qualitativ etwas ändern" in Ägypten, "aber an welchem Tag und wie schnell", das müssten eben die Ägypter selbst entscheiden. Denn sie weiß ja noch, wie das vor gut 20 Jahren mit den besserwisserischen Wessis war: "Wenn damals westdeutsche Berater zu uns kamen und der Ton nicht stimmte, dann haben wir auf den Hacken kehrt gemacht - und raus aus dem Zimmer."

Proteste in Ägypten: Tag 12 des Volkzorns
Merkels Trick mit der Authentizität qua eigener Geschichte wirkt. Im Publikum in München gratulieren sie ihr. Wenigstens einen Moment hat die Kanzlerin die zögerliche Haltung insbesondere des Westens gegenüber den Demonstranten in Ägypten vergessen gemacht. Erst am Freitag hatte man sich schließlich in der EU darauf verständigt, entschieden den Übergang zur Demokratie zu fordern - ohne dabei Mubaraks Schicksal zu erwähnen.
Auch die Amerikaner leisteten sich einen tagelangen diplomatischen Blackout. Hinter den Kulissen wurde zwischen Washington und Kairo um Ägyptens Zukunft gerungen, nun ist jenes Szenario das wahrscheinlichste, in dem Vizepräsident Omar Suleiman die Macht übernehmen soll. Zumindest zu Beginn der Krise, so ist zu hören, hätten darüber im Weißen Haus noch harte Richtungskämpfe getobt. Erst Mubaraks unbewegliche Haltung habe in Washington für späte Einsicht gesorgt: Der Despot müsse weg.
Nur: So direkt sagen will das noch immer keiner. Doch, halt! Da ist ja noch US-Senator John McCain, Obamas einstiger republikanischer Gegenkandidat. "Ich denke, Mubarak muss gehen", sagt er in München. Und setzt kühl hinzu: Der Mann sei ein Garant der Stabilität gewesen, aber nun brauche man einen friedlichen Übergang. Im Gespräch mit dem SPIEGEL warnt McCain vor einer Beteiligung der islamistischen Muslimbruderschaft an einer Übergangsregierung in Ägypten. "Die Muslimbruderschaft ist eine radikale Gruppe, der es in erster Linie darum geht, die Scharia anzuwenden", sagt er. "Sie ist durch und durch antidemokratisch, vor allem in Bezug auf die Rechte von Frauen."
Guttenberg setzt in München den Ton
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist zu beobachten, wie Staatenlenker um die richtige Formulierung mit Blick auf den langjährigen Verbündeten Mubarak ringen. Wie manche noch abwarten wollen. Und wie andere Schritt für Schritt deutlicher werden. Neben McCain war das auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der zwar in seiner Eröffnungsrede am Freitag den Namen Mubarak ebenfalls nicht erwähnte, aber keinen Zweifel daran ließ, dass man Diktaturen nicht einfach aus Stabilitätsgründen weiter tolerieren kann. Damit setzte er das Thema der Konferenz.
Merkel steigt dann am Samstag voll darauf ein, obwohl sie eigentlich über die euro-atlantische Sicherheitsgemeinschaft reden sollte. Weit deutlicher etwa als der blass wirkende Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon oder der eloquente britische Premier David Cameron schließt die Kanzlerin an Guttenberg an.
Es gebe eine "rote Linie", bei der man keine Kompromisse mit einem Regime machen dürfe - und das seien die Menschenrechte, die Würde eines jeden einzelnen Menschen, sagt sie. "Das bedeutet, dass wir bei jeder Form von Zusammenarbeit - und da müssen wir uns fragen: Haben wir das immer ausreichend getan? - diese Menschenrechte im Auge haben." Es gebe ein Spannungsverhältnis zwischen wertegebundener Außenpolitik und der Verpflichtung, für Stabilität zu sorgen. Aber, sagt Merkel, die Beachtung der Menschenrechte dürfe nie außen vor bleiben.
Die Kanzlerin pathetisch. Das gibt es nicht allzu oft. Gab es übrigens auch in der Wendezeit eher selten bei Merkel. Denn mal ehrlich: So ungeduldig war die damals 35-Jährige dann doch nicht. Beispiel gefällig? Als sie am 9. November 1989 das erste Mal von der neuen Reiseregelung für DDR-Bürger hörte, packte sie ihre Sachen.
Und ging erst mal in die Sauna.