Florian Gathmann

Debatte über Dienstpflicht Ein Jahr fürs Gemeinwohl würde Deutschland guttun

Florian Gathmann
Ein Kommentar von Florian Gathmann
Die Wehrpflicht ist passé – dabei sollte es trotz des russischen Überfalls auf die Ukraine bleiben. Die Alternative ist die allgemeine Dienstpflicht. Davon würden alle profitieren, auch die Bundeswehr.
Junge Menschen bei der Feuerwehr, in der Pflege, bei der Bundeswehr und beim Technischen Hilfswerk

Junge Menschen bei der Feuerwehr, in der Pflege, bei der Bundeswehr und beim Technischen Hilfswerk

Foto: Ostalb Network / picture alliance / dpa / Political-Moments / photothek / IMAGO

Annegret Kramp-Karrenbauer hatte als CDU-Chefin und Verteidigungsministerin einen schweren Stand. Aber Kramp-Karrenbauer, inzwischen Polit-Pensionärin, darf eine Idee für sich in Anspruch nehmen, über die derzeit wieder diskutiert wird: eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen.

Was Kramp-Karrenbauer im Sommer 2018 noch als CDU-Generalsekretärin vorgeschlagen hatte, war schon damals eine gute Idee – und sie ist es nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nun erst recht.

Auch wenn es in den vergangenen Tagen sogar Rufe nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht gab, die seit 2011 ausgesetzt ist: Das wird wohl nicht passieren. Vor allem deshalb nicht, weil in einer gleichberechtigten Gesellschaft nicht ausschließlich junge Männer zum Dienst verpflichtet werden können.

Genau darin liegt der Charme einer allgemeinen Dienstpflicht: Das Konzept sieht im Groben vor, junge Männer und Frauen für ein Jahr zu einem Dienst an ihrem Land zu verpflichten – bei der Bundeswehr, der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk, im Pflegebereich und so weiter.

»Ein zutiefst bürgerlicher Gedanke«

Es sei »ein zutiefst bürgerlicher Gedanke, seinem Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen«, sagte Kramp-Karrenbauer seinerzeit zur Begründung ihres Vorstoßes.

Besser kann man es nicht ausdrücken.

Was hält eine Gesellschaft zusammen, die immer mehr unter Druck gerät? Der russische Überfall auf die Ukraine macht auch in Deutschland vielen Angst. Was geschieht als Nächstes? Was droht uns noch? Die vergangenen zwei Jahre hat uns die Coronapandemie in Atem gehalten, elementare Fragen wurden plötzlich verhandelt: Wo endet die Freiheit des Einzelnen – wo die Macht des Staats? Auch im Kampf gegen die Klimakrise werden diese Fragen berührt.

Es geht auch um die Identifikation mit einem Gesellschaftsmodell, in dem so gut wie alle Fragen erlaubt sind, in dem es aber klare Grenzen gibt: Man kann sie in den Artikeln 1 bis 19 des Grundgesetzes nachlesen.

Was also könnte es Besseres geben, als ein Jahr, in dem junge Menschen sich mit dieser Gesellschaft verbinden – egal auf welche Weise: Wer sein Land im Zweifel an der Waffe verteidigen möchte, auch angesichts neuer Bedrohungen, könnte zur Bundeswehr gehen, andere würden sich lieber für Katastrophenfälle ausbilden lassen oder kranke und alte Menschen pflegen.

Das konstituierende Element eines Dienstjahres für die Gesellschaft wäre auch deshalb umso wichtiger, weil es immer mehr junge Deutsche mit Migrationsgeschichte gibt: Sie wachsen oft mit dem Gefühl auf, nicht wirklich dazuzugehören. Bei ihnen könnte eine allgemeine Dienstpflicht erst recht identifikationsstiftend wirken.

Die Argumente gegen das Konzept sind bekannt:

  • Ein Pflichtjahr bedeute einen schweren Einschnitt in die persönliche Freiheit, Klagewellen wären die Folge.

Mag sein. Aber dafür gibt es den Rechtsstaat.

  • Die entsprechenden Strukturen müssten erst wieder aufgebaut werden, weil etwa die Kreiswehrersatzämter der Bundeswehr abgewickelt wurden.

Auch das stimmt. Aber unüberbrückbar erscheint diese Aufgabe nicht.

  • Die Bundeswehr sei gegen die Idee einer Dienstpflicht, auch aus dem Pflegebereich sei vor allem Ablehnung zu hören.

Richtig ist, dass sich gerade erst Generalinspekteur Eberhard Zorn gegen die Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen hat. Und auch die Idee der Dienstpflicht stößt bei der Bundeswehr auf wenig Zuspruch, vor allem aus rechtlichen Bedenken. Andererseits sind die Nachwuchsprobleme der Truppe offensichtlich und werden häufig beklagt, vor allem mangelt es der Bundeswehr an jungen Soldatinnen und Soldaten mit höheren Schulabschlüssen. Auch dafür könnte die Dienstpflicht als Vehikel dienen.

  • Man würde jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens stehlen.

Das liegt im Auge des Betrachters. Zumal Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss in Deutschland ohnehin immer jünger werden, was daran liegt, dass die Schulzeit (Abitur nach 12 statt 13 Jahren) und die Studiendauer verkürzt wurden.

Aber klar ist: Wegen all dieser Argumente bräuchte es eine große politische Kraftanstrengung, um trotzdem eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen. Diese Kraft, das deutet sich bereits an, ist nicht vorhanden, zu diffus sind die Meinungen in Regierung und Opposition.

Schade für Deutschland.

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