Debatte um Gewalt und Moral Koch fordert mehr Achtung vor deutschen Sitten
Berlin - Erst Jugendgewalt, dann die Moral: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch fährt seinen populistischen Wahlkampf auf Hochtouren. Seit Tagen macht er Stimmung für die Verschärfung des Jugendstrafrechts, heute appelliert er an Einheimische und Ausländer, mehr Respekt vor traditionellen Sitten und Werten zu zeigen.
In einem heute veröffentlichten Thesenpapier schreibt Koch, in Wohnvierteln mit hohem Zuwandereranteil müsse es "klare Spielregeln" geben: "Das Schlachten in der Wohnküche oder in unserem Land ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung gehören nicht zu unserer Hausordnung." Deutsche Sitten und Gebräuche dürften nicht einfach über Bord geworfen werden, betonte Koch: "Die Sprache im Miteinander muss Deutsch sein." Die Deutschen würden die Zuwanderer mit offenen Armen aufnehmen, Integration von Ausländern könne aber nur funktionieren, wenn es klare Regeln für das Zusammenleben gebe. Wer derartige Spielregeln verletze, müsse mit Konsequenzen rechnen.
Koch forderte auch von den Deutschen eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte wie Anstand, Disziplin, Fleiß, Ordnung und Pflichtgefühl. Der wachsende Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft erfordere zudem ein Mehr an Rücksichtnahme: "Die Achtung vor dem Alter muss eine gelebte Tugend sein." Dazu gehöre es, älteren Menschen im Bus den Platz anzubieten oder ihnen beim Tragen der Einkaufstasche zu helfen.
Thema für den Wahlkampf geeignet?
Koch muss am 27. Januar in Hessen eine knappe absolute Mehrheit verteidigen. Alle Umfragen deuten derzeit auf schwere Verluste für die CDU hin. In den vergangenen Wochen hatte der Ministerpräsident bereits mehrfach durch Kritik an Ausländern auf sich aufmerksam gemacht. So forderte er ein Burka-Verbot für islamische Mädchen an hessischen Schulen. Nach einem Überfall auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn kritisierte Koch, es gebe zu viele kriminelle junge Ausländer.
Mit der Forderung nach einem schärferen Jugendstrafrecht ist die Union allerdings auf Ablehnung gestoßen. Neben SPD und Opposition wiesen heute auch Richterbund und Anwaltverein Vorschläge wie "Warnschussarrest", schnellere Abschiebung ausländischer Straftäter und kürzere Gültigkeit des Jugendstrafrechts zurück. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zeigte sich allerdings offen für Erziehungscamps, solange sie sich nicht an US-Vorbildern orientierten.
Selbst aus der CDU gab es Kritik: Innenminister Wolfgang Schäuble deutete an, dass er eine konsequentere Durchsetzung der bestehenden Gesetze einer Verschärfung des Strafrechts vorziehe. Schäuble verwies darauf, dass etwa die beiden Jugendlichen, die in einer Münchner U-Bahn einen Rentner brutal zusammengeschlagen hatten, schon mehrfach straffällig geworden seien. Unter diesem Aspekt "ist es möglicherweise gar nicht so sehr eine Frage der Verschärfung von Gesetzen, sondern eine Frage der konsequenten Anwendung der Gesetze - auch durch die Gerichte", sagte der CDU-Minister.
Im hessischen Wahlkampf entwickelt sich die Jugendkriminalität unterdessen zu einem zentralen Thema. SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti warf Ministerpräsident Koch (CDU) Populismus vor. Das Thema Jugendgewalt brauche eine differenzierte Betrachtung und eigne sich nicht für den Wahlkampf. In Sachen Moral formuliere Koch Erwartungen, denen er selbst nicht gerecht werde, sagte der hessische SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt: "Roland Koch ist von den aktiven Politikern in Deutschland derjenige, der am meisten zum Ansehensverlust der Politik beigetragen hat." Koch stehe für Verleumdung, Wortbruch und das Verbreiten von Pogromstimmung und solle sich mit moralischen Ansprüchen zurückhalten. Koch verteidigte sein Vorgehen gegen die Kritik. Die demokratischen Parteien dürften solche Themen nicht radikalen Parteien überlassen, sagte der CDU-Politiker.
"Wegsperren ist kontraproduktiv"
Koch hatte nach dem brutalen Überfall auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, der unter anderem die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren sowie eine Erhöhung des Höchststrafmaßes von zehn auf 15 Jahre vorsieht.
Die SPD lehnt solche Verschärfungen ab. "Wir sehen keinen Bedarf für gesetzliche Änderungen", bekräftigte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Seine Parteikollegin Zypries erklärte aber, dass sie Erziehungscamps für sinnvoll halte, "wenn sie auf gegenseitigem Respekt beruhen". So genannte Boot Camps nach US-Muster, in denen Jugendliche "gedemütigt und erniedrigt" würden, lehnte Zypries aber ab.
FDP-Präsidiumsmitglied Wolfgang Gerhardt rief die Gerichte dazu auf, das bestehende Strafmaß auszuschöpfen. "Es gibt genügend Gesetze", sagte er. "Was mich geradezu verrückt macht, ist, wenn es Urteile gibt, die das Strafmaß nicht ausschöpfen." Auch Grüne und Linkspartei wandten sich gegen schärfere Strafen. "Wegsperren ist kontraproduktiv", sagte die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke.
"Die Formel ist schlicht falsch"
Der Deutsche Richterbund kritisierte die aktuelle Debatte als überflüssig. "Die Diskussion gaukelt den Menschen Zusammenhänge vor, die es nicht gibt", sagte der Vorsitzende Christoph Frank. "Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch." Die Politik erliege hier erneut der Versuchung, Fragen des Strafrechts für schnelle und plakative Botschaften zu missbrauchen, kritisierte der Oberstaatsanwalt. "Das Thema ist aber viel zu ernst, um vor Wahlen immer wieder instrumentalisiert zu werden."
Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familienrecht im Deutschen Anwaltverein, Ingeborg Rakete-Dombek. Es fördere die Glaubwürdigkeit von Politik nicht, "solche Patentrezepte ganz kurz vor Wahlen zu äußern", sagte sie.
Politiker aus anderen Bundesländern brachten weitere Maßnahmen gegen Jugendkriminalität ins Gespräch. Der Hamburger Justizsenator Carsten Lüdemann will die Untersuchungshaft für jugendliche Straftäter verschärfen. "Wir werden in Kürze eine Gesetzesinitiative zur Verschärfung der Untersuchungshaft vorlegen, um insbesondere jugendliche Gewalttäter bei brutalen Messerattacken leichter aus dem Verkehr ziehen zu können", sagte der CDU-Politiker. Die bayerische Justizministerin Beate Merk kündigte für alle Großstädte des Freistaats die Einsetzung speziell ausgebildeter Staatsanwälte an.
ffr/AP