Der neue Bundestag 614 Gesichter und Geschichten
Hamburg - Am Anfang waren sie nur ein großes Kuchendiagramm, unterteilt in schwarze, rote, grüne, gelbe und diesmal auch lilafarbene Stücke: die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. 614 sind es in der kommenden Wahlperiode, elf mehr als in der vergangenen. Heute, wenn sie sich im Plenarsaal des Berliner Reichstages zur konstituierenden Sitzung treffen, bekommen sie ein Gesicht.
Viele von ihnen werden aufgeregt sein wie am ersten Schultag, weil sie zuvor noch nie auf den bundestagsblauen Sesseln Platz genommen haben, für andere ist alles reine Routine. Wer sind diese 614 Politiker, die in den kommenden vier Jahren das Volk vertreten sollen? SPIEGEL ONLINE hat einen Blick in die Statistik und die Biografien der Abgeordneten geworfen.

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Die Frischlinge kommen
Im neuen Bundestag sitzen 614 Abgeordnete, 16 Überhangmandate eingerechnet. 161 Neulinge treten ihre erste Wahlperiode an. Abgesehen von der Linkspartei, deren Vorgängerpartei PDS im letzten Bundestag nur durch die beiden Direktmandate von Petra Pau und Gesine Lötzsch vertreten war, und die jetzt erstmals in Fraktionsstärke einzieht, weist die Fraktion der FDP den höchsten Newcomer-Anteil auf: 24 der 61 Abgeordneten nehmen zum ersten Mal im Plenarsaal Platz, das entspricht mehr als 39 Prozent. Bei den Grünen sind 13 von 51 Fraktionsmitglieder neu dabei, bei der SPD 40 von 222. Der verhältnismäßig geringste Frischlingsanteil findet sich bei der Union: Nur 35 der 226 Abgeordneten von CDU und CSU sind neu gewählt worden.
Abschied
Abgesehen von einigen Mitgliedern der rot-grünen Bundesregierung werden noch eine ganze Reihe prominenter Gesichter dem parlamentarischen Leben fehlen. Etwa die CDU-Politiker und Ex-Minister Volker Rühe, 62, und Wolfgang Bötsch, 67, die grüne Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer, 62, ihr Fraktionskollege Rezzo Schlauch, 57. Oder von der SPD die langjährige Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, 68, und der einstige Kanzlerkandidat und ehemalige SPD-Chef Rudolf Scharping - sie alle haben nicht mehr kandidiert.
Junge Wilde und alte Hasen
Der statistische Parlamentarier kommt auf 49,3 Lebensjahre und ist damit seit der letzten Legislaturperiode weder älter noch jünger geworden. 109 der 614 Abgeordneten sind unter 40, das entspricht einem Anteil von etwa 18 Prozent. 13 sitzen auch im Rentenalter von über 65 Jahren im Bundestag. Als Alterspräsident wird erneut Noch-Innenminister Otto Schily, 73, (SPD) die konstituierende Sitzung des 16. Bundestages eröffnen. Jüngste Abgeordnete bleibt die Studentin Anna Lührmann, die mit 22 Jahren schon ihre zweite Wahlperiode für die Grünen antritt. Das Durchschnittsalter der einzelnen Parteien schwankt zwischen 50,8 Jahren bei der CSU und 46,3 Jahren bei den Grünen. Die dienstältesten Abgeordneten sind Wolfgang Schäuble (CDU) und Herta Däubler-Gmelin (SPD): Seit 1972 sind die beiden dabei.
Glückspilze und Pechvögel
Bundestagsabgeordnete für zwei Wochen? Ohne je im Plenarsaal gesessen zu haben? Die Nachwahl in Dresden machte es möglich. Sie hat nämlich nicht nur dem CDU-Direktkandidaten Andreas Lämmel zum verspäteten Sprung ins Parlament verholfen, sondern auch zu Verschiebungen bei den über die Landeslisten in den Bundestag einziehenden Abgeordneten geführt. Nur 14 Tage konnte sich die FDP-Politikerin Petra Müller, 45, aus Aachen auf die politische Bühne in Berlin freuen, dann verlor sie dank des sensationellen Abschneidens der Liberalen im Dresdner Wahlkreis 160 ihr Mandat. Freuen durfte sich ihr Parteifreund Christoph Waitz aus Markkleeberg, der jetzt Mitglied der FDP-Fraktion ist. Raus ist auch der nordrhein-westfälische CDU-Politiker Caius Julius Caesar, 54, der zunächst über die Landesliste einen Sitz ergatterte. An seiner Stelle zieht nun Anette Hübinger, 50, aus Neunkirchen an der Saar nach Berlin.
Frauen sind unterrepräsentiert
Der neue Bundestag ist wieder ein bisschen weniger weiblich als der alte. 31,8 Prozent oder 195 der Abgeordneten sind Frauen. Im alten Bundestag waren es mit 32,5 Prozent allerdings nur wenig mehr. Den größten Frauenanteil weist dank Quote die Fraktion der Grünen auf: Mehr als die Hälfte der Mitglieder sind weiblich. Nur knapp unter der 50-Prozent-Marke liegt die Linkspartei. Bei CDU und CSU stellen die Frauen dagegen nur knapp ein Fünftel der Abgeordneten.
Polizisten, Bäcker, Pfarrer
Der Bundestag scheint eine Dienstleistungsgesellschaft zu sein: 563 der Abgeordneten haben angegeben, bislang einen entsprechenden Beruf ausgeübt zu haben, das sind rund 92 Prozent. Eine differenzierte Darstellung steht allerdings noch aus. So zählt die statistische Auswertung des Bundeswahlleiters darunter 25 Lehrer, 57 Juristen oder 7 Mediziner. Ein Blick in die Biografien der einzelnen Abgeordneten verrät etwas mehr: Jürgen Herrmann und Clemens Binninger etwa, beide von der CDU, sind Polizisten, Reinhold Hemker (SPD) ist Pfarrer, Ernst Hinsken (CSU) Bäckermeister, Norbert Schindler von der CDU ist Winzer und der SPD-Abgeordnete Detlef Müller gelernter Lokomotivführer.